Die Formel-1-Rennleitung hat 2022 nach elf Rennen eine klare Tendenz zum kompromisslosen Umgang mit den Regeln an den Tag gelegt. Mit eine Folge nach dem katastrophalen Ende des Vorjahres in Abu Dhabi. Doch die neue Führung ist unter den Fahrern nicht unbedingt populär.

Seit Wochen gibt es immer wieder Kritik. Öffentlich begann der Unmut ab Australien, als die Rennleitung erinnerte, dass Schmuck und Unterwäsche im Auto absolut verboten seien. Keine neue Regel, aber eine, die davor jahrelang von allen Beteiligten als nicht wichtig abgetan und lasch ausgelegt wurde. Das Schmuck-Thema zog sich über mehrere Rennen und durch mehrere Aufschübe.

In Australien kristallisierte sich schon heraus: Wer Regeln streng auslegen will, der halst sich viele Fragen dazu auf. Erst recht in einem komplexen Umfeld wie der Formel 1. Die freitagabendlichen Fahrerbriefings begannen länger zu werden. "Das war das längste Fahrerbriefing meines Lebens", beklagte sich Lewis Hamilton. Etwas, das in Österreich schließlich dazu führte, dass Sebastian Vettel entnervt aufgab und das Briefing vorzeitig verließ.

Wieder war es zu einem langen Hin und Her gekommen. Diesmal waren dem Vernehmen nach die weiße Linie an der Boxeneinfahrt und die Track Limits Thema. Wieder lief es wie schon in Australien auf das Gleiche hinaus: Lange Diskussionen.

Die schärfere Straf-Auslegung in der Saison 2022 sorgt ebenfalls für Diskussionsbedarf. Die Berechenbarkeit der Stewards-Entscheidungen kochte in Österreich wieder hoch. "Es gibt weder Verantwortlichkeiten noch Erklärungen zu den Entscheidungen", bemängelt George Russell. Die vier Stewards in der Formel 1, welche über Strafen entscheiden, werden nach dem Rotationsprinzip nämlich von Rennen zu Rennen ausgetauscht. Strafen nachträglich durchzugehen ist daher schwierig. "Ich will nicht von Schuld sprechen, aber es ist fast so, als ob die Schuld an jemand weitergegeben wird, der nicht da war", sagt Russell.

Formel-1-Kollegen verstehen Vettels Österreich-Ausbruch

"Ich dachte einfach, dass wir uns bei ein paar Dingen im Kreis bewegt haben", erklärt Mick Schumacher die kontroverse Situation um Vettel in Österreich. "Es wurde irgendwie länger als notwendig." Daniel Ricciardo ergänzt: "Seb war offensichtlich ein bisschen frustriert mit dem Hin und Her. Er hatte offensichtlich eine sehr deutliche Meinung darüber."

"Ich verstehe die Reaktion von Seb vollkommen, und ich denke, da gab es noch einige weitere Fahrer, die daran dachten, dass sie das Briefing verlassen sollten", meint Schumacher. Nur Vettel tat es - und bekam dafür Ärger. Die Stewards luden ihm am Samstag vor, und belegten ihn mit einer 25.000-Euro-Strafe. Auf Bewährung, sie wird erst beim nächsten Verstoß schlagend. Vettel habe zum einen gegen die Anwesenheitspflicht verstoßen, zum anderen in seiner Rolle als F1-Fahrer mit Vorbildwirkung ein schlechtes Bild abgegeben.

Sebastian Vettel beim Österreich GP, Foto: LAT Images
Sebastian Vettel beim Österreich GP, Foto: LAT Images

Vettel, am Sonntag darauf angesprochen, wollte das nicht kommentieren: "Fragt die FIA." Die gleiche Antwort gab er auf die Nachfrage nach dem konstruktiven Gespräch mit Rennleiter Niels Wittich, welches er nach dem Zwischenfall laut der offiziellen Stewards-Entscheidung gehabt hatte.

Strenge Regelauslegung in der Formel 1 ist schwer

Dass zähe Briefings die Fahrer zunehmend nerven, ist nicht überraschend. Der Zeitplan an einem Rennwochenende ist knapp bemessen. Das Fahrerbriefing findet üblicherweise am Freitagabend statt, in Österreich erst um 19:30 Uhr. "Ich will nicht für Seb sprechen, aber wir müssen zu den Ingenieuren", erklärt Ricciardo. "Manchmal geht es hin und her, und dann gibt es immer Diskussionen, und wenn es dann länger dauert und keine klare Antwort dabei rauskommt, denken sich sicher einige: 'Ich muss los.'"

Kompromisslose Regelauslegung ist für die Formel 1 also nicht so simpel, wie man sich nach dem lockeren Ansatz der letzten Jahre erhofft hatte. Situationen wie der Freispruch von Max Verstappen in Monaco für das "Überfahren" der Boxenausfahrt aufgrund eines Widerspruchs zwischen dem Reglement und den (aus dem Vorjahr kopierten und nicht an die neuen Regeln angepassten) Event-Notizen des Rennleiters stärken das Vertrauen nicht.

Auch wenn der Frust der Fahrer zunimmt, so nehmen in Österreich erst einmal alle Abstand davon, die neue Rennleitung öffentlich zu verurteilen. Der Dialog zwischen den Parteien ist zäh, aber es gibt ihn noch. Dass man ihnen nämlich gar nicht zuhören würde, das verneinen die Fahrer. Aber auf ewig zähe Streitereien über die immer gleichen Themen hat man wohl keine Lust.