Konter dringend erforderlich: Trotz zwei eigentlich überlegenen Leistungen zuletzt in Spanien und Monaco hat Charles Leclerc die WM-Führung in der Formel-1-Tabelle 2022 eingebüßt. Kein Fahrer der beiden bisherigen Top-Teams Red Bull und Ferrari punktete in den beiden vergangenen Rennen schlechter als der Monegasse. Selbst Lewis Hamilton und George Russell im allmählich aufstrebenden Mercedes schrieben mehr Zähler an. Die Folge: Max Verstappen ist dem Ferrari-Piloten in der Gesamtwertung um neun Punkte enteilt, noch dazu drückt nun auch noch Sergio Perez von hinten. Nur noch sechs Punkte fehlen dem Monaco-Sieger vor dem Rennen in Baku auf Leclerc.
Ein Rennen, das Perez' Höhenflug rein statistisch gesehen nur noch erweitern könnte. So trägt der Mexikaner den inoffiziellen Titel des erfolgreichsten F1-Piloten in Aserbaidschan (Baku-Zeitplan, TV-Programm und Live-Streams zum Formel-1-Rennen hier) überhaupt. Als einer von nur fünf Fahrern reihte sich Perez im Vorjahr mit seinem Debütsieg für Red Bull in die noch kurze Siegerliste in Baku ein. Anders als die vorherigen Sieger Rosberg, Ricciardo, Hamilton und Bottas gelangen 'Checo' zusätzlich allerdings gleich zwei weitere Podien (2016, 2018).
Formel 1 Baku: Nutzt Ferrari endlich sein verbessertes Paket?
Ganz anders Max Verstappen. Der Niederländer stand in Baku noch nie auf dem Podium. Im Gegenteil. Gleich drei von fünf Rennen beendete der WM-Führende nicht einmal. Erst im Vorjahr schied Verstappen, souverän führend, mit einem Reifenschaden aus. Nur so gelang es seinem Teamkollegen, sich zum fünften verschiedenen Sieger des genauso oft ausgetragenen Baku-Rennens zu krönen. Folgt 2022 mit Charles Leclerc der sechste unterschiedliche Sieger?
Schlecht erscheinen die Voraussetzung nicht. So sicherte sich der Monegasse schon im 2022 längst nicht siegfähigen Ferrari die Pole Position für den Aserbaidschan-GP. Übrigens ebenfalls als fünfter unterschiedlicher Polesetter. Im Rennen war Leclerc mit unterlegenem Material dann machtlos, doch genau das sieht 2022 ganz anders aus. Insbesondere zuletzt. Sowohl in Spanien als auch Monaco war die Kombination F1-75 und Leclerc in Sachen Pace unschlagbar - wären da nicht ein Motorschaden und eklatante Strategiefehler Ferraris gewesen.
Formel 1 Baku: Monaco und Monza verschmelzen
Ganz klar zeigte sich in Barcelona der Effekt des dort eingeführten ersten etwas größeren Upgrades für den Ferrari F1-75, der seine Traktionsstärke aus langsamen Kurven heraus danach auch in Monaco ausspielte. Der jüngere Trend und Leclercs schon im Vorjahr ersichtliche Baku-Stärke sprechen also für gute Konterchancen des Monegassen am Kaspischen Meer.
Allerdings weist der 6,003 Kilometer lange Baku City Circuit eine gänzlich andere Charakteristik als Barcelona und Monaco auf. High-Downforce-Pakete wie zuletzt sind über die 20 Kurven der drittlängsten Strecke im Formel-1-Kalender 2022 längst nicht gefragt. Stattdessen ist ein kniffliger Kompromiss für fast ausschließlich 90-Grad-Kurven im ersten Sektor, ein erst enges Altstadt-Geschlängel, gefolgt von Highspeed-Kurven im zweiten Sektor und der berühmten 2,2 Kilometer langen Vollgas-Passage im letzten Sektor zu treffen. Nicht umsonst heißt er gerne, Baku vereine die Extreme von Monaco und Monaco auf einer Strecke. Aerodynamische Effizienz ist daher so sehr gefragt wie auf kaum einer zweiten Strecke im Kalender.
Topspeed vs. Downforce in Baku: Trickst Red Bull Ferrari wieder aus?
"Während Baku und Monaco beide Straßenkurse sind, erfordern sie doch eine ganz andere Herangehensweise, wie man das Auto abstimmt", erklärt McLaren-Teamchef Andreas Seidl, insbesondere auf Basis der langen Gerade am Ende der Runde. "Das erfordert ein Setup mit reduziertem Downforce, was auf Straßenkursen selten ist."
Die große Gefahr für die zuletzt wieder erstarkte Ferrari-Pace: Verleiht in Baku wieder Red Bull die besseren Flügel? Immerhin lässt sich die Charakteristik der Strecke am ehesten noch mit Jeddah vergleichen. Dort siegte Verstappen, weil Red Bull die clevere Abstimmung wählte. Nachdem Ferrari die Bullen beim Saisonauftakt in Bahrain noch mit dem besseren Kompromiss zwischen Endgeschwindigkeit und Abtrieb überlistet hatte, konterte Red Bull in Saudi-Arabien aus dem Stand. Das Konzept, auf einen flacheren Heckflügel und mehr Topspeed zu setzen, erwies sich für Verstappen als größter Trumpf im Kampf um den Sieg mit Leclerc.
Red Bulls größte Sorgen: Qualifying und DRS-Probleme
Folgt in Aserbaidschan die Wiederholung? Genau darauf hofft Verstappen. "Ich freue mich darauf, nach Baku zurückzukommen, denn dort habe ich nach dem vergangenen Jahr noch eine Rechnung offen", sagt der Niederländer. Verstappen weiß genau um die alles entscheidende Frage: "Es ist eine knifflige Strecke mit großen Bremszonen und einem knappen Auslauf. Das beste Setup für das Auto zu finden, wird schwierig, wenn es darum geht, dass wir den richtigen Flügel-Level finden."
Sticht Red Bull Ferrari dabei aus, ist dennoch längst nicht alles gewonnen. Mindestens zwei Sorgen treiben das Team aus Milton Keynes in Baku um. "Es wird auch interessant, ob wir unsere Performance über eine Runde für das Qualifying besser hinbekommen können, denn da fehlt es uns etwas", schildert Verstappen die erste Sorge oder Schwäche. Die zweite heißt DRS. Auch wenn es in Monaco zuletzt keine Probleme gab, hat Red Bull das technische Versagen des Klappflügels in Barcelona nicht vergessen.
DRS-Problem offenbar gelöst? Absoluter Härtetest in Baku
Dort wollte sich das Blatt an Verstappens RB18 zunächst im Qualifying nicht öffnen und raubte dem Niederländer eine bessere Chance auf Pole. Trotz schneller Reparatur-Versuche Red Bulls kehrte das Problem daraufhin über weite Strecken des Rennens zurück. Offenbar wirkte schlicht eine zu große Kraft auf den Flügel ein, die die Mechanik überforderte. Hatte es Red Bull beim Versuch, Gewicht einzusparen, an der falschen Stelle übertrieben? Das legte jüngst Chefingenieur Paul Monaghan nahe. "Unser DRS-Problem war selbstverschuldet, wenn wir ehrlich sind", gesteht der Brite englischsprachigen Medienberichten zufolge. "Wir haben jetzt unsere eher schmerzhafte Lektion gelernt."
Doch gibt es auch eine Lösung? Immerhin könnte zuletzt schlicht der Monaco Circuit womöglich weiter existierende Probleme kaschiert haben. Dort öffnet das DRS bei einer Geschwindigkeit von nur rund 160 km/h - längst keine so große Herausforderung wie jene, die nun in Baku bevorsteht. Die finale Antwort wird Red Bull also in Aserbaidschan erhalten, wenn das DRS bei 300 km/h öffnen muss. Das weiß auch Monaghan, wenngleich der Brite durchaus von einer nachhaltigen Lösung durch einen "phänomenalen Job" der Ingenieure binnen kürzester Zeit spricht. "Aber ich denke es wäre töricht, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Wir wissen, was wir falsch gemacht haben. Es lag in unserer Zuständigkeit, es zu beheben. Aber soweit denke ich, dass es in Ordnung sein sollte."
Ferrari baut in Baku auf starke Power Unit
Selbst wenn Red Bull die Probleme an dieser Front abstellen kann, ist in Baku allerdings längst nichts gewonnen. Trotz der zuletzt bitteren Rückschläge strotzt die Konkurrenz jedenfalls weiter vor Vertrauen in die Stärke des eigenen Pakets. Nicht zuletzt in die 2022 stärkste Power Unit im Feld. Insbesondere ihr Hybridsystem will die Scuderia in Baku ausspielen. "Wegen der Natur der Strecke muss die Power Unit vielseitig sein", sagt Nicola Bariselli, verantwortlicher Ingenieur für den Einsatz des Antriebsstrangs an der Strecke.
Bariselli weiter: "Der Fahrer will, dass sie in den engen und langsamen Abschnitten angenehm zu fahren ist, ohne dabei Energie zu verschwenden, da es entscheidend ist, in der Lage zu sein, diese auf den langen Geraden abzurufen. Auch die Maximalleistung ist entscheidend, vor allem wenn es um die Beschleunigung aus den zahlreichen langsamen Kurven geht, sowohl auf eine schnelle Runde im Qualifying als auch im Rennen."
Formel 1: Reifenabbau in Baku wieder Siegfaktor Nummer eins?
Etwas mehr Power heißt auch immer: Etwas mehr Flügel ist möglich. Das führt direkt zurück zum in Baku so wichtigen Setup-Kompromiss, wird nicht zuletzt das Reifenmanagement das Rennen entscheiden. Hier bestachen im bisherigen Saisonverlauf sowohl Ferrari als auch Red Bull schon mit Vorteilen. So hielten die Reifen der Roten in Melbourne und Barcelona weitaus besser, dafür hielten die Bullen das schwarze Gold in Imola und Miami besser am Leben.
Mit Blick auf das Vorjahr entschied sich Red Bull in Baku zuletzt eher für etwas mehr Flügel. So verlor Verstappen zwar das Qualifying gegen Leclerc und Hamilton mit deutlich kleineren Flügeln am Ferrari respektive Mercedes, konterte im Rennen allerdings mit dem klar schnelleren Rennauto - dank deutlich geringeren Reifenabbaus. Gerade in Baku wird das auf lange Distanz belohnt, bietet der Asphalt des Straßenkurses nur sehr wenig Grip. Das allein lässt die Autos bereits zum Rutschen neigen und die Reifen leiden. Kommt noch ein unruhigeres Handling wegen flacher Flügel hinzu, geht der Abbau schnell durch die Decke. Auch Graining ist so alles andere als ausgeschlossen, hat Pirelli für Baku noch dazu die weichsten Mischungen im Sortiment vorgesehen.
Formel 1 Baku: Was ändert der Ground Effect? Und was kann Mercedes?
Die Gretchenfrage jedoch: Bleibt das alles auch mit den 2022 neuen Formel-1-Autos inklusive Ground Effect so? Insbesondere die Longruns im Training dürften an diesem Freitag ganz besonders spannend werden. Und dann ist da natürlich noch Mercedes als große Unbekannte in der Baku-Gleichung. Finden die Silberpfeile zurück zu ihrer starken Barcelona-Form oder zeigt sich auf dem nächsten Straßenkurs dieselbe Mercedes-Problematik wie zuletzt in Monaco?
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