Haben Sie das Honda-Aus schon verdaut?
Dr. Helmut Marko: Ja, es bleibt eh nichts anderes übrig, als wieder in die Zukunft zu schauen.

Wird es eine Zukunft geben? Sie haben bei unseren letzten Gesprächen stets betont, dass sie beim neuen Concorce Agreement jährlich aussteigen könnten - je nachdem, was Honda macht…
Dr. Helmut Marko: Jetzt arbeiten wir in erster Linie an einem Ersatz des Honda-Triebwerks. Da sind wir dabei und wollen bis Ende November eine Lösung haben.

Und wenn es die nicht gibt?
Dr. Helmut Marko: Das erste Ziel ist es: Was ist das Optimum für uns auf der Motorenseite?

Von Mercedes haben Sie schon eine Absage erhalten. Damit war aber zu rechnen, oder?
Dr. Helmut Marko: Nachdem sie schon fast das halbe Feld ausrüsten, war das nicht verwunderlich, ja.

Die Zeit drängt: Dr. Helmut Marko und Christian Horner suchen einen Motor für Red Bull, Foto: LAT Images
Die Zeit drängt: Dr. Helmut Marko und Christian Horner suchen einen Motor für Red Bull, Foto: LAT Images

Damit bleiben drei Möglichkeiten: Ferrari, Renault und ein eigener Motor.
Dr. Helmut Marko: Richtig.

Eigener Motor klingt charmant, aber wie realistisch ist das?
Dr. Helmut Marko: Der eigene Motor ist die Priorität. Die ist aber nur zu realisieren, wenn es spätestens mit Ende 2021 zu einer kompletten Einfrierung des Motors und des Umfelds kommt.

Heißt, sie werden in nächster Zeit politische Lobbyarbeit für einen kompletten Engine-Freeze betreiben?
Dr. Helmut Marko: Das ist für uns ganz klar. Dieses komplexe Triebwerk ist schon schwierig genug, wenn man nur Wartung und Zusammenbau übernimmt. Da sind wir gerade am eruieren, wie das von unserer Seite möglich ist. Aber eine Weiterentwicklung ist, wenn man so ein Technologiezentrum wie Sakura nicht hat, nicht möglich. Das wollen wir weder aufbauen, noch können wir das finanzieren. Wir wollen oder können es nicht finanzieren.

Wenn sie die Motoren spätestens Ende 2021 einfrieren, müsste die Formel 1 dann nicht auf synthetische Kraftstoffe verzichten?
Dr. Helmut Marko: 2022 erhöht sich der Anteil von 5 auf 10 Prozent.

Aber ist dafür nicht ein neuer Motor nötig?
Dr. Helmut Marko: Da gehen die Meinungen auseinander. Aber es ist kein neuer Motor notwendig.

Wissen Sie, was Mercedes' scheidender Motorenchef Andy Cowell in Zukunft macht? Ist er bei Ihrem Projekt vielleicht eine Option?
Dr. Helmut Marko: Ich weiß es nicht. Aber zuerst müssen wir wissen, was wir machen. Dann werden wir natürlich schauen, wer für dieses Projekt in Frage kommt. Wobei klar ist, dass wir es in unseren Standort bei Red Bull Technology eingliedern würden. Dann schaut man, dass man die bestmöglichen Leute dafür kriegt.

Mercedes' scheidender Motorenpapst Andy Cowell ist die heißeste Personalie der Formel 1, Foto: Mercedes AMG
Mercedes' scheidender Motorenpapst Andy Cowell ist die heißeste Personalie der Formel 1, Foto: Mercedes AMG

Klappt der eigene Motor nicht, wer wäre Ihre Präferenz: Renault oder Ferrari?
Dr. Helmut Marko: Da müssen wir noch genauere Gespräche führen. Aber die Priorität liegt beim Honda-Projekt. Da sind auch viele Fragen mit Honda abzuklären. Die Gespräche finden im Laufe Oktober/November statt.

Bis dahin wird es keinen konkreten Kontakt mit Renault oder Ferrari geben?
Dr. Helmut Marko: Man weiß eh, was im Raume steht. Solange Honda eine Möglichkeit ist, werden wir mit den anderen beiden nicht konkret sprechen.

Red Bull: Keine Hoffnung auf Hilfe von Volkswagen

Haben Sie noch die Hoffnung, dass der Volkswagenkonzern - in welcher Form auch immer - als Rettung kommt?
Dr. Helmut Marko: Nein. Da ist wieder die Komplexität dieses Triebwerks. Dieses Triebwerk hat derartige Kosten verursacht - und die monotonen Rennen… Da kann man Mercedes keinen Vorwurf machen, aber sie haben einfach die beste Arbeit getätigt. Aufgrund dieser Komplexität kann man nicht innerhalb eines Jahres oder dergleichen so etwas aufholen.

Könnte man die Honda IP da nicht möglicherweise mitnehmen?
Dr. Helmut Marko: Schwer. Und dann müssten Sie ein Werk finden, dass das für diese kurze Periode macht. Das tut sich niemand an. Erstens finanziell und zweitens ist es so eine komplexe Sache, dass selbst Autohersteller, die auf diesem Gebiet Erfahrung und Know-how haben, nicht garantieren können, dass sie ad hoc erfolgreich sind. Diese Motorregelung hat der Formel 1 nichts Gutes gebracht.

Sie wollten die Regeln ja von Anfang an wieder ändern. Bei der Regel-Revolution für 2021 stand das Thema mal ganz oben auf der Prioritätenliste. Dann haben Sie den Honda-Werksmotor bekommen und den Kampf aufgegeben.
Dr. Helmut Marko: Richtig.

Rächt sich das jetzt?
Dr. Helmut Marko: Ich glaube, so wie die Situation jetzt ist… Wir brauchen Vorlaufzeit. Zuerst muss das neue Motorenreglement einmal stehen. Wobei klar ist, dass dieser neue Motor deutlich einfacher sein muss. Dass vielleicht auf Standardteile - ein Standard-KERS beispielsweise - zurückgegriffen werden muss. Und dann vielleicht 100 Prozent synthetische Kraftstoffe. Da braucht man aber Mal zu 100 Prozent exakte Regeln. Und dann werden sich Firmen, die derzeit noch nicht in der Formel 1 sind, das ansehen. Unter zwei bis drei Jahren Vorlaufzeit wird das schwer möglich sein. Es ist aber für niemanden interessant, in eine so hochkomplexe und hochpreisige Entwicklung zu gehen. Sie kennen ja die Summen, die pro Jahr notwendig sind. Von der Erstentwicklung gar nicht zu sprechen.

Honda-Schock! Steigt auch Red Bull aus der Formel 1 aus? (16:16 Min.)

Wenden wir den Blick von den Motoren auf das aktuelle Auto. Am Nürburgring lief es gut, aber es war noch immer nicht genug für Mercedes. Muss man jetzt alles auf 2021 setzen?
Dr. Helmut Marko: Wir sind näher gekommen, das ist ganz klar. Das Auto ist vorhersehbarer. Ich würde den Nürburgring aufgrund dieser Temperaturen doch auch wieder als außergewöhnliches Rennen bezeichnen. Man hat ja gesehen, wie mannigfach die Mercedes-Leute im Lenkhäusl das DAS bedient haben. Wie weit da der Vorteil schlagend wurde, lässt sich nur abschätzen, aber Nachteil war es keiner.

Heißt, bei Ihnen geht die Entwicklung für dieses Jahr noch weiter?
Dr. Helmut Marko: Die geht für dieses Jahr noch weiter, weil das Auto nächstes Jahr gleichbleibt. Natürlich ist es anders, aber generell: Alles, was man - und das war schon immer unsere Philosophie - an Verbesserungen in der Saison noch erzielen kann, können wir noch ins nächste Jahr mitnehmen.

Mercedes gibt an, schon auf 2021 umgestellt zu haben. Haben Sie keine Angst, dass sich die Geschichte dann wiederholt und sie zu Beginn im Hintertreffen sind?
Dr. Helmut Marko: Die ganze heurige Saison kann man nicht als normal hinstellen. Es waren zwei Sachen überraschend: Der nochmals gewaltige Schritt von Mercedes, der - so glaube ich - darauf zurückzuführen ist, dass sie sich nicht sicher waren, ob Ferrari mit seinem System durchkommt und weiter so fahren kann. Da haben sie Anstrengungen in ungeheurem Ausmaß unternommen und haben deutlich mehr dazugewonnen als Honda. Honda hat das, was sie uns versprochen haben, gehalten. Aber mit dem Mercedes-Schritt waren wir wieder im Hintertreffen.

Und dann hatten wir Korrelationsschwierigkeiten zwischen Windkanal und Wirklichkeit. Die haben wir aufgrund dieses Rennkalenders nicht so schnell aufholen können. Wenn man drei Rennen hintereinander hat, muss man froh sein, wenn man mit den normalen Einsatzarbeiten durchkommt. Aber wir sind nun deutlich besser. Ohne Safety Car und dergleichen hätten wir am Nürburgring das ganze Feld überrundet.

Albon unter Druck: Wechselt Hülkenberg zu Red Bull?

Aber nur mit einem Fahrer… Sie haben bislang die schützende Hand über Alexander Albon gehalten. Zuletzt haben sie im Interview mit Sport1 andere Töne angeschlagen. Habe ich das richtig interpretiert?
Dr. Helmut Marko: Wir brauchen einen wettbewerbsfähigen Fahrer. Die Performance in Sotschi war dem nicht gerechtfertigt. Nürburgring war durchwachsen, aber deutlich besser. Dass dann ein Stein den Kühler durchschlägt, ist Pech. Der Bremsplatten… Der Speed beim Aufholen war wieder halbwegs in Ordnung.

Nico Hülkenberg und Sergio Perez sind beide eine Option für Red Bull, Foto: Sutton
Nico Hülkenberg und Sergio Perez sind beide eine Option für Red Bull, Foto: Sutton

Sie sagten zuletzt, dass Albon solange nicht in Frage gestellt wird, solange die Entwicklung positiv ist. Das war sie aber zuletzt nicht…
Dr. Helmut Marko: Naja, er war am Nürburgring schon deutlich näher an Verstappen dran.

Bis wann möchten Sie eine Entscheidung treffen?
Dr. Helmut Marko: Da ist keine Eile geboten. Die Piloten, die Ihr uns immer ins Cockpit schreibt - ob englische oder deutsche Medien - sind beide verfügbar. Was ich so weiß, sind ziemlich alle Sitze vergeben. Beziehungsweise ist nicht für jedermann ein Haas-Cockpit interessant. Wobei die beiden Haas-Cockpits auch schon mehr oder minder vergeben sein sollen.

Wer wäre Ihnen denn lieber: Hülkenberg oder Perez?
Wir nehmen den, der für das Team der aussichtsreichere ist. Da wird man genau anfangen, das zu analysieren - prophylaktisch. Es geht nicht darum, wer mir lieber ist, sondern wer im Gesamtpaket der bessere ist.

Nico Hülkenberg haben Sie sogar schon am Freitag des Nürburgring-Wochenendes angerufen, als Alexander Albon ein unschlüssiges Testresultat hatte. Könnte er 2020 noch als Ersatz bei Ihnen zum Einsatz kommen?
Dr. Helmut Marko: Die nächsten zwei Rennen ist der Buemi vor Ort. Dann müssen wir schauen. Wir haben mit Sergio Sette Camara einen Reservefahrer, der aber in Japan fixiert ist. Mit Buemi gibt es noch ein paar Abstimmungen, welche der drei letzten Rennen er besuchen kann. Danach werden wir das aussortieren. Hülkenberg war logisch, der war wegen RTL in Köln. Da ist es ganz normal, dass man den Hülkenberg anruft.