Hält die makellose Mercedes-Bilanz beim Russland GP auch in der Formel-1-Saison 2019? Bis dato haben die Silberpfeile alle fünf Grands Prix seit des Sotschi-Debüts im Jahr 2014 gewonnen. Doch in diesem Jahr fliegen Lewis Hamilton und Co. mit einer für Mercedes-Verhältnisse regelrechten Durststrecke ans Schwarze Meer. Zuletzt siegte Ferrari, nach zuvor elendig langer Erfolglosigkeit, gleich dreimal in Folge.

In Spa und Monza gelangen die roten Triumphe weitgehend erwartet. Beide Kurse passten perfekt zum aerodynamisch effizienten SF90 und der starken Power Unit unter seinem Kleid. Aber auch in Singapur? Nein. Beim Nachtrennen war Ferrari sogar Außenseiter. Weil die Strecke das genaue Gegenteil erforderte. Eigenschaften wie in Ungarn, wo die Scuderia hoffnungslos hinterherfuhr.

Ferrari-Wunder in Singapur: Wie viel brachte das Update?

Ein auffälliges Update, insbesondere an der Nase, jedoch begleitete in Singapur die Ferrari-Überraschung. Die Longruns am Freitag sahen noch schwach aus, doch im Qualifying stand plötzlich Charles Leclerc ganz vorne. Dank einer starken Strategie wurde daraus im Rennen sogar ein Doppelsieg - der erste eines Teams überhaupt in Singapur.

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Doch zeichnete dafür tatsächlich das Upgrade verantwortlich? Hat Ferrari damit seine Schwäche in Sachen maximalen Abtriebs auf einen Schlag ausradiert? Genau daran zweifelt die Formel 1 nahezu geschlossen. "Es ist unwahrscheinlich, dass sie ein massives Upgrade gebracht haben, das 20 bis 30 Punkte Abtrieb bringt", sagt etwa Lewis Hamilton.

Ferrari: Upgrade allein machte nicht den Unterschied

Schon der nun unmittelbar bevorstehende Russland GP in Sotschi, Saisonrennen 16, wird finale Antworten bringen. "Nach drei Siegen in Serie brennen wir jetzt darauf, nach Russland zu kommen und zu überprüfen, ob unsere neuesten Updates auf einer erneut anderen Strecke funktionieren", sagt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. Heißt: Funktioniert hat das Upgrade also offenbar tatsächlich. Das hatte auch Sebastian Vettel in Singapur bereits bestätigt.

Allerdings führt bereits Ferrari selbst den Überraschungssieg in Singapur nicht darauf zurück. Zumindest nicht ausschließlich. "Die Aero-Upgrades waren ein Schritt nach vorne, aber das kann nicht alles erklären, was wir da gesehen haben", so Binotto. "Singapur ist auch ein ganz besonderer Kurs ... mit den Mauern ... da machen auch die Fahrer den Unterschied."

Weiche Reifen, Bummeltempo & One-Lap-Pace halfen Ferrari

Nur mehr oder weniger Mut im Cockpit ist dabei jedoch noch längst nicht der einzige oder größte Faktor. Ein weiterer sind die Reifen. In Singapur standen den Teams die weichsten Mischungen der Range überhaupt zur Verfügung, noch dazu waren die Reifendrücke niedriger als gewohnt. Beides soll vor allem Ferrari geholfen haben, steigt so die Bedeutung des mechanischen Grips im Verhältnis zum aerodynamischen.

Schon in Russland sieht das wieder anders aus. Statt C3-C5 gibt es C2-C4. Härter als in Singapur, härter auch als im Vorjahr in Sotschi. Pirelli möchte so vor allem dafür sorgen, dass die Teams auch im Rennen härter attackieren können. Etwas, das es in Singapur überhaupt nicht zu sehen gab. Das extreme Bummeltempo zu Rennbeginn kaschierte die wahre Rennperformance des Teams.

Wolff: Ferraris Rennpace im Nirgendwo

Wäre die Ferrari-Pace im Rennen genauso dramatisch schwächer gewesen als die Mercedes' wie zuvor am Freitag? Vielleicht nicht ganz so extrem, aber durchaus vorstellbar. "Du konntest sehen, dass sie in Sachen Rennpace im Nirgendwo waren, aber aus dem Stand sehr schnell", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

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Mit Letzterem zielt er auf das starke Qualifying. "Sie haben das Auto für eine Runde getunt und das war gewaltig", so Wolff. "Wenn wir dann weniger Safety Cars gehabt hätte, hätten wir am Ende ein gutes Auto gehabt - und vielleicht eine Chance, das Rennen sogar noch zu gewinnen", so Wolff.

Ferrari trifft Arbeitsfenster: Wichtiger als Update

"Aber es war nicht die richtige Strategie", ergänzt der Österreicher. Wer alles auf das Ferrari-Update zurückführe, mache es sich zu leicht. "Es geht darum, ein insgesamt starkes Paket zu haben und die Dinge richtig hinzubekommen."

Auch dieser Faktor spielte in Singapur offenbar mit hinein. Also nicht nur die schon genannten Größen Fahrer, Update, Reifen und Bummelfahrt zu Beginn. "Die Balance hat sich in den vergangenen Rennen verbessert. Es geht nicht nur um die Updates, sondern darum, das Beste aus deinem Paket zu holen", bestätigt Binotto.

Binotto: Auto ja schon lange vorher mal siegfähig

"Wir hatten ja schon vorher ein Paket, das Pole holen konnte, wir hatten auch Siegchancen. Aber wir haben zu viele Fehler gemacht, zu viele Gelegenheiten liegen gelassen", erinnert der Ferrari-Teamchef. "Wenn du dir die erste Saisonhälfte ansiehst, dann gab es Rennen die wir hätten gewinnen können und bei denen wir gute Performance gezeigt haben."

Genau das stimmt die dank der drei Siege ohnehin beflügelte Scuderia nun weiterhin zuversichtlich. "Wir haben mit dem Auto gute Fortschritte erzielt, besonders in Sachen Performance auf High-Downforce-Strecken", sagt Charles Leclerc.

Leclerc sieht Ferrari überall stark, Hamilton fürchtet um WM

"Es gibt keinen Grund, warum wir es in den nächsten Rennen nicht auch schaffen sollten. Das Auto hat sich verbessert, also gibt es vielleicht noch mehr Rennen, in denen wir schnell sein können", ergänzt Binotto. "Wir scheinen jetzt auf verschiedensten Streckenlayouts konkurrenzfähig zu sein", bestätigt Leclerc. "Es schaut gut aus. Wir waren jetzt innerhalb von drei Wochen auf zwei Strecken mit gegensätzlichen Charakteristka und auf beiden waren wir schnell."

Das fürchtet auch Hamilton. "Vielleicht hatten sie das ganze Jahr über ein gutes Auto und es befand sich nicht im richtigen Arbeitsfenster. Ihr Auto funktioniert jetzt eindeutig überall gut", meint der Weltmeister.

Russland GP: Duell Ferrari vs. Mercedes beginnt von Null

Überall? Also auch gleich in Russland. "Sotschi besteht aus langen Geraden", erinnert Binotto. Also erst recht Ferrari-Land. Doch ganz so leicht ist nicht. Binotto: "Und einer sehr glatten Oberfläche, sodass wieder nicht leicht ist, das Maximum aus den Reifen zu holen." Genau das fällt Ferrari besonders schwer. Von einem offensichtlichen Treffer in Singapur allein lässt man sich da nicht blenden. "Außerdem verlangt der Kurs eine völlig andere Setup- und Aero-Konfiguration als Singapur", ergänzt Binotto.

Der Kampf gegen Mercedes also wieder bei Null. So sieht es auch Mercedes. "Dieses Team hat schon mehrmals bewiesen, dass es seine Schwächen in Stärken umwandeln kann. Genau das haben wir uns auch diesmal vorgenommen", sagt Wolff.

"Das mindert aber keineswegs die Stärke unserer Gegner. Die zurückliegenden sieben Rennen haben gezeigt, dass wir uns in einem engen Kampf befinden. Wir müssen in jedem Bereich unser Bestes geben, um auf der obersten Stufe des Podests zu stehen."

Red Bulls Durchhänger: Max Verstappen hat 'Ideen'

Red Bull, vor der Sommerpause noch Mercedes-Sparringspartner auf Augenhöhe, nun dreimal von Ferrari abgelöst, gibt es allerdings auch noch. In Russland fürchtet Max Verstappen jedoch eine schwierige Aufgabe. "Das Streckenlayout ist nicht gerade so toll für uns", sagt der Niederländer. "Ferrari war außerdem in Singapur schon sehr schnell und in Sotschi werden ihnen die Geraden liegen."

Zumindest besser dastehen als zuletzt so überraschend in Singapur will Verstappen jedoch. "Ich habe schon ein paar Ideen bezüglich unserer Performance am vergangenen Wochenende, die wir analysieren werden. Dann verbessern wir uns in Russland hoffentlich."

Formel 1 Sotschi 2019: Vierkampf im Mittelfeld?

Auch hinter den Top-Teams geht es in Russland sicher wieder spannend zu. Im Mittelfeld schlug McLaren in Singapur nach den Renault-Big-Points in Monza zuletzt gleich zurück. Die langen Geraden des Sochi Autodroms könnten nun jedoch wieder den Franzosen in die Karten spielen. Doch McLaren lässt sich davon nicht verunsichern. "Das Auto funktioniert gut und das Team ist fokussiert", sagt Carlos Sainz.

"Wir haben in Singapur eine gute Renn- wie Quali-Pace gezeigt. Das hat bewiesen, dass die Updates, die wir über die Saison gebracht haben, ihren Job gemacht haben", ergänzt Teamchef Andreas Seidl. "Jetzt müssen wir sicherstellen diese Performance in die letzten Saisonrennen mitzunehmen." Eng werde es allerdings, weiß Lando Norris. "Deshalb wird es der Schlüssel sein, das Maximum aus den unerwarteten Gelegenheiten zu machen, um vor der Konkurrenz zu bleiben", sagt der Youngster.

Dieser Satz könnte auch gut aus Hinwil kommen. Die Sauber-Crew von Alfa Romeo Racing ließ in dieser Saison bereits mehrfach gute Möglichkeiten aus. "Trotzdem haben wir in den letzten Rennen, in oft schwierigen Umständen, Punkte geholt. Das ist positiv", sagt Teamchef Frederic Vasseur. "Aber wir hätten mehr holen können und sollen ..."

An dem eigenen Paket zweifelt bei Alfa jedoch niemand. "Unser Auto verbessert sich und wir haben schon gezeigt, dass wir an der Spitze des Mittelfelds mitkämpfen können. Unser Bestreben ist nun, das bei jeder Runde dieser Saison zu schaffen. Sotschi gibt uns nun die Gelegenheit, beide Autos in die Punkte zu bringen [...] Ich bin zuversichtlich, dass wir konkurrenzfähig sein können."

Genau das gilt neben McLaren, Renault und Alfa Romeo jedoch auch noch für Racing Point, das - zuletzt in Singapur mit großen Update ausgerüstet - unter seinen Möglichkeiten blieb, in Russland jedoch schon im Vorjahr stark geliefert hatte.

Formel 1 Sotschi 2019: Der Wetterbericht

Einen massiven Einfluss auf alle genannten Vor- und Nachteile der einzelnen Pakete hätten feuchte Bedingungen. Genau die sind für das Wochenende tatsächlich angesagt. Vor allem am Freitag herrscht eine recht hohe Regenwahrscheinlichkeit. Auch das Qualifying könnte auf nasser Strecke über die Bühne gehen. Einzig für den Rennsonntag deutet aktuell alles auf beste Bedingungen im russischen Sommerparadies von Sotschi.

Formel 1 Sotschi 2019: Die Reifenwahl

Wie bereits oben beschrieben, bringt Pirelli nach Sotschi die mittelharte Version der verfügbaren Reifen. C2-C4 stellen zudem eine härtere Wahl als im Vorjahr dar. Maximal weich gewählt haben ihre zehn freien Sätze dennoch längst nicht alle Teams. Mercedes geht sogar sehr konservativ zu Werke.

Formel 1 Sotschi 2019: Die Strecke

Das Sochi Autodrom bietet von allem etwas. Zwei lange Geraden, die ewige Linkskurve drei, viele 90-Grad-Kurven, erst mittelschnell im zweiten, dann langsam im dritten Sektor. Low-Downforce überwiegt, dennoch ist ein guter Kompromiss zu finden. Weitere Besonderheiten: Nirgendwo ist die Renndistanz länger, zudem ist die Durchfahrtsgeschwindigkeit der langen Boxengasse erneut auf nur 60 km/h beschränkt. Mehr-Stopp-Strategien werden also bestraft.

Formel 1 Sotschi 2019: Der doppelte Schumi

Ein Blick auf das Rahmenprogramm lohnt sich in Sotschi ganz besonders. Nicht nur, weil Formel 2 und Formel 3 zurückkehren, Letztere in Russland sogar ihr Saisonfinale bestreitet. Sondern vor allem, weil in der Formel 3 ein gewisser David Schumacher sein Renndebüt im Rahmen der Königsklasse gibt. Der Sohn von Ralf Schumacher bestreitet also gemeinsam mit Cousin Mick Schumacher (Formel 2) den ersten doppelten Schumi-Aufritt seit dem Brasilien GP 2006 mit Michael und Ralf Schumacher.

Formel 1 Sotschi 2019: Zeitplan und TV-Programm

Das TV-Programm beim Russland GP tanzt nicht aus der Reihe. RTL, n-tv, Sky, ORF & Co. übertragen alles regulär. Augen auf aber beim Zeitplan. Durch die Zeitverschiebung startet das Qualifying eine Stunde früher als bei Europarennen, also um 14 Uhr. Das Rennen beginnt sogar schon um 13.10 Uhr MEZ.