Max Verstappen war in der Formel-1-Saison 2017 nicht der einzige Youngster, der das Tempo richtig anzog. Während der ohnehin schon als Shooting Star geltende Niederländer seinen Red-Bull-Teamkollegen Daniel Ricciardo in den Schatten stellte, sorgte bei Force India ein anderer Rohdiamant für Aufsehen. Esteban Ocon klebte Sergio Perez ab dem ersten Rennen an den Fersen und machte diesem in der zweiten Saisonhälfte das Leben richtig schwer.

Mit 83 Zählern in seiner ersten vollen Formel-1-Saison trug Ocon maßgeblich zu Force Indias erfolgreicher Verteidigung von Platz vier in der Konstrukteurs-WM 2017 bei. Was für den Franzosen selbst jedoch viel wichtiger ist: Vor dem Finale in Abu Dhabi liegt er mit dieser Ausbeute nur elf Zähler hinter seinem Teamkollegen Sergio Perez. Der als Podestjäger bekannte Mexikaner hatte bis zur Sommerpause noch relativ deutlich die Oberhand.

"Ich weiß, woran ich noch arbeiten muss. Es gibt immer Dinge, die du noch verbessern kannst. Auf die fokussiere ich mich und nicht darauf, was ich schon kann", erklärt der Mercedes-Junior, dem in der ersten Saisonhälfte von Perez klar seine Grenzen aufgezeigt wurden. In den ersten elf Rennen unterlag er dem Garagen-Nachbarn im Qualifying mit 2:9. Sein erster teaminterner Erfolg kam in Bahrain nur zustande, weil Perez im Q1 durch eine gelbe Flagge an seiner schnellen Runde gehindert wurde.

"Ich musste ab einem gewissen Punkt viel am Qualifying arbeiten, denke aber, dass ich mich deutlich verbessert habe", erklärt Ocon im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. " Checo und ich sind nun mehr oder weniger gleichauf. Es hängt jetzt mehr von der Strecke ab, während das Qualifying zu Anfang der Saison noch einer meiner schwächsten Punkte war und ich nur die Racepace hatte."

Ocon wird um Chance auf ersten Formel-1-Rekord gebracht

Bei der Rennpace musste sich Ocon zwar auch mächtig strecken um mit Perez mitzuhalten, doch er bestach 2017 vor allem mit Konstanz. Bis zum Grand Prix von Brasilien legte er eine beeindruckende Serie hin, die mit seinem Debüt beim Großen Preis von Belgien 2016 für Manor ihren Anfang nahm. Ab dem ersten Auftritt in der Formel 1 beendete Ocon jedes einzelne seiner Rennen. Zwei fünfte Plätze in Spanien und Mexiko stehen für ihn als Highscore zu Buche.

Nach der unverschuldeten Kollision mit Romain Grosjean in Interlagos war bei Nummer 28 jedoch Schluss. Bis zum Rekord von Nick Heidfeld hätten ihm noch sechs Zielankünfte gefehlt. Bis dahin hatte er 2017 bis auf Monaco jedes der 18 zuvor ausgetragenen Rennen in den Punkten beendet. "Er ist ein intelligenter junger Mann und ein toller Racer", lobt ihn Force-India-Geschäftsführer Otmar Szafnauer.

Dass das Team dem Jungspund in seinem ersten vollen F1-Jahr unter die Arme greifen müssen würde, war den Bossen bei Force India von vornherein klar. Doch gerade Ocons Auffassungsgabe war es, die bei der Entscheidung für ihn und gegen Pascal Wehrlein Ende 2016 den Ausschlag gab. "Es gibt keinen Ersatz für Erfahrung. Du brauchst jemanden, der dir Dinge erklären kann, dann lernst du viel schneller", verweist Szafnauer auf den erfahrenen Perez.

Lernen konnte Ocon allerdings nicht nur von Perez' Arbeitsweise. "Du kannst Dinge in den Daten sehen, aber du kannst auch von außen viel erkennen", so Ocon. "Ich kenne einen Fahrer-Coach mit dem ich damals bei Prema zusammengearbeitet habe, der sehr viel sieht. Sein Feedback ist wichtig und du kannst auf diese altmodische Weise immer noch sehr viel lernen. Daten bringen viel, denn du kannst viele Details sehen. Aber alles verraten sie dir nicht."

Esteban Ocon und Sergio Perez gerieten 2017 mehrfach aneinander, Foto: Sutton
Esteban Ocon und Sergio Perez gerieten 2017 mehrfach aneinander, Foto: Sutton

Machtkampf zwischen Ocon und Perez eskaliert

Ob Lernphase oder nicht: Ocon wurde für Perez schon nach kurzer Zeit zu einem Problem. In Montreal war der Youngster erstmals auf Augenhöhe mit dem Teamkollegen. Am Kommandostand fragte er einen Positionswechsel an, da er glaubte, die bessere Pace für ein Überholmanöver gegen Daniel Ricciardo zu haben. Perez wurde von den Strategen informiert, verweigerte sich aber. Ein Rennen später krachte es beim Chaosrennen in Baku erstmals.

Ocon suchte nach einer Safety-Car-Phase seine Chance und drückte Perez am Ausgang von Kurve 2 in die Mauer. Letzterer musste das Rennen später beenden, Ocon rettete noch einige WM-Punkte ins Ziel. Der Ärger war groß, denn ein Podium wäre Force India an diesem Tag völlig verrückten Sonntag fast schon garantiert gewesen. Beim ersten Vorfall ließ die Teamführung dennoch Milde walten.

Wenige Wochen später wiederholte sich der teaminterne Zwist in Belgien allerdings. Auf der Ardennenachterbahn von Spa-Francorchamps gerieten Perez und Ocon gleich zweimal aneinander. Beide Male ging die Berührung scheinbar von Perez aus, beziehungsweise hätte er sie verhindern können. Doch Ocon trug mit seiner kompromisslosen Herangehensweise auch seinen Teil zu den Kollisionen bei. Danach wurde jeglicher Zweikampf von Seiten der Force-India-Bosse untersagt.

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Ocon dreht an den richtigen Schrauben

In der Garage kehrte danach Frieden ein und nach der Sommerpause wurde bei Ocon ein deutlicher Aufwärtstrend sichtbar. "Es ist wichtig, dass du deine Energie in das steckst, was dich wirklich nach vorne bringt", lautet sein Ansatz, den er mit seiner Performance in der zweiten Saisonhälfte eindrucksvoll unter Beweis stellte. Acht Grands Prix nach der Sommerpause hat er im Qualifying-Duell auf 7:12 aufgeholt.

Tatsächlich konnte der 21-Jährige seinen Stallgefährten dabei auf bestimmten Rennstrecken besonders häufig ausstechen. "Ich habe auf Oldschool-Strecken mehr Spaß", so Ocon, der unter anderem auf Klassikern wie Budapest, Monza, Sepang und Suzuka am Samstag jeweils die Oberhand behielt. Das Nachwuchstalent aus Évreux in der Normandie ist kein Fan der modernen Stop & Go-Rennstrecken.

"Ich bin auf den alten Rennstrecken besser, als auf den neuen mit diesen 90-Grad-Kurven", erklärt er. Die modernen Grand-Prix-Kurse machen es für seinen Geschmack schwieriger, die Ideallinie zu finden: "All diese neuen Kerbs auf die du einfach so fahren kannst, das macht es nicht leicht." Auf den klassischen Layouts sei die richtige Linie dagegen viel intuitiver zu finden.

"Auf den alten Kursen musst du normalerweise kleine Tricks finden, wie du die Kerbs am besten nimmst, damit das Auto nicht versetzt oder aus der Spur gerät", erklärt Ocon. "Auf den neuen Strecken ist das alles egal, da kannst du fahren wohin du willst." Beim Finale auf dem Yas Marina Circuit wird sich Ocon noch ein letztes Mal in diesem Jahr mit einer der bei ihm weniger beliebten Strecken auseinandersetzen müssen. Um Perez in der Gesamtwertung noch abzufangen, wird er dort ein absolutes Top-Resultat brauchen.

Seine Duftmarke hat er in der Formel 1 mit dieser Saison aber in jedem Fall schon hinterlassen. 2018 wird der Kampf zwischen ihm und dem etablierten Teamkollegen unvermindert weitergehen. Ocons Welpenschutz wird dann abgelaufen sein und der Youngster wird alles daran setzen, sich für ein Cockpit bei den Silberpfeilen zu empfehlen. Perez wiederum hat dasselbe Ziel und wird auch im zweiten Jahr um keinen Preis klein beigeben. Das Duell bei Force India verspricht also auch für nächste Saison ein Höchstmaß an Spannung.