Obwohl man Nico Rosbergs Rücktrittserklärung nun schon ein Wochenende sacken lassen konnte, wirkt es noch immer unrealistisch. Ein 31-Jähriger beendet von heute auf morgen seine Karriere auf dem Höhepunkt.

Es dauerte ungefähr so lange, bis die ersten kritischen Stimmen zum Rücktritt aufkamen, wie Toto Wolff auf die Anrufe potentieller Nachfolger warten musste. Auf den ersten Blick wirkt es tatsächlich befremdlich, dass ein Mensch in der Blüte seines Lebens, der vor kurzem noch seinen hochdotierten Vertrag um zwei Jahre verlängert hat, einfach 'Tschüss' sagt.

Ich darf mich glücklich schätzen, Nico Rosberg die letzten drei Jahre, die er sich permanent im WM-Kampf mit Lewis Hamilton befand, begleitet zu haben. Da fällt der Unterschied zwischen Hamilton und Rosberg eben schnell auf.

Der eine ist ein Vollgastier, eine Lebemann, ein Racer. Der andere ist Rosberg. Es ist kein Geheimnis, dass Rosberg nicht der talentiertere Rennfahrer von beiden ist. Das ist auch nicht böse gemeint, ganz im Gegenteil. Rosberg hat Hamilton geschlagen, weil er es mehr wollte als alles andere. Weil er so hart an sich gearbeitet hat, dass er es letztendlich geschafft hat.

Rosbergs To-Do-List: Atemtechnik, Mentaltrainer und Kart

Rosberg war schon immer der Malocher unter den Rennfahrern. Doch im WM-Kampf ist er noch einmal über sich hinausgewachsen. Er hat an seiner Atemtechnik gearbeitet, hat sich einen Mentaltrainer zugelegt und hat sich im vergangenen Winter sogar ein Kart gekauft. Einfach um in Schuss zu bleiben, weil es in der Formel 1 ja kaum Testfahrten gibt. Anfang des Jahres war er eigenen Aussagen zufolge im Kart schneller als vor 15 Jahren, als er in diesem Gefährt noch um Weltmeisterschaften gefahren ist.

Rosberg siegte für seine Familie, Foto: Sutton
Rosberg siegte für seine Familie, Foto: Sutton

Rosberg musste nach dem US GP 2015 den Schalter umlegen. Er hatte sich nach dem GP so sehr über Lewis Hamilton und auch über sich selbst geärgert, dass er sich fest vornahm, von nun an auch ein wenig Arschloch auf der Strecke zu sein. Spanien, Österreich, Deutschland und China haben das in diesem Jahr gezeigt. Das war nicht der Instinkt-Rennfahrer Rosberg, sondern die geplante Konfrontation.

Das alles sind kleine Anekdoten, die zeigen, wie hart Rosberg für den Erfolg gearbeitet hat. Das kleine bisschen Talent, die pure Racecraft, das, was ihm auf Ausnahmetalent Hamilton gefehlt hat, hat er sich mühsam erarbeitet. Der Vollständigkeit halber, obwohl es selbstverständlich ist: Rosberg ist talentiert hoch 10, aber eben das kleine bisschen weniger als beispielsweise ein Hamilton. Für die angeborenen Talente kann ein Mensch nichts, deshalb muss man Rosbergs Erfolge menschlich umso höher anrechnen.

Wer so viel Energie in das Projekt Weltmeisterschaft steckt, kann das möglicherweise nicht ewig machen. Rosberg hat die letzten drei Jahre extrem malocht - und die Jahre zuvor waren sicherlich auch kein Kinderspiel.

Rosberg verzichtet auf viel Geld

Aber Rosberg hat noch einen Vertrag. Er könnte zwei Jahre weiterfahren, könnte 30 Millionen Euro und mehr einstreichen. Er muss ja nicht noch einmal so hart arbeiten, das Geld bekommt er auch für einen zweiten oder dritten Platz. Und genau das ehrt Nico Rosberg so sehr. Auch wenn er schon viel Geld verdient hat und wir uns sicher keine Sorgen um ihn machen müssen: Der Mensch will von Natur aus immer mehr. Und wenn 30 Millionen zum Greifen nah sind, warum nicht mitnehmen?

Rosberg hat sich dagegen entschieden, weil er nur fahren will, wenn er 100 Prozent gibt. Das aber will er nicht mehr. Er will jetzt Vater und Ehemann sein. Aus Racer-Sicht hört sich das alles befremdlich an, deshalb kann ich die Kritik von einigen Rennfahrern auch verstehen. Aus menschlicher Sicht allerdings nicht. Dass die Formel 1 kein Ort für viel Menschlichkeit ist, macht Rosbergs Entscheidung umso bemerkenswerter. Respekt und Glückwunsch, Nico!