1. Wer ist der inoffizielle Sieger der Testfahrten?
Ohne Umschweife: Mercedes. Die Wunderwaffe der Jahre 2014 und 2015 hat offenbar nun noch bessere Munition an Bord und hat in Sachen Zuverlässigkeit den Vogel abgeschossen - im positivsten Sinne. Runde um Runde spulten die beiden Fahrer ab, stellten neue Kilometerrekorde während Testfahrten auf und Probleme gab es schier gar keine. Die beste Zeit des F1 W07 auf Medium-Reifen lag nur 2,057 Sekunden hinter Top-Runde von Sebastian Vettel - auf ultraweichen Pneus.
Die Konkurrenz jedenfalls ist gewarnt. "Die Mercedes-Dominanz ist noch nicht zu Ende. Sie sind sehr, sehr stark", warnte Fernando Alonso. "Wenn sie das Potenzial ausschöpfen, sind sie vermutlich stärker als je zuvor - sogar stärker als in den vergangenen beiden Jahren." Für den Mercedes-Aufsichtsratsvorsitzenden Niki Lauda sind alle Spekulationen aber noch viel zu früh. "Das ist alles nur blöde Rederei. Jeder fährt sein Testprogramm. Wir haben ein Testprogramm, bei dem wir lange fahren wollen und müssen, um alles auszuprobieren" sagte er im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com.
2. Wer war der Rundenkönig von Barcelona?
Rundenkönig bei den Teams war ganz klar Mercedes. Die Silberpfeile legten an den vier Tagen 677 Runden zurück. Damit entsprechen die zurückgelegten Kilometer mehr als zehn Renndistanzen und beinahe einem kompletten Lebenszyklus der Power Unit. Im teaminternen Duell zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton ging es dabei sehr eng zu. Mit 343 Runden absolvierte der Brite elf Umläufe mehr als sein Teamkollege. Jeder für such fuhr trotz geteilter Arbeit mehr als McLaren, Manor oder Haas. Hamilton absolvierte zudem eine Runde mehr als Renault mit beiden Piloten.
3. Was ist Ferraris Bestzeiten-Flut wert?
Noch sehr wenig. Zwar erzielte Ferrari an drei von vier Testtagen die Bestzeit - ohne die aufwendigen Reparaturen des Benzinsystems des neuen SF16-H an Kimi Räikkönens erstem Einsatztag wären es mutmaßlich gar vier geworden -, doch gibt es gleich mehrere Variablen, welche die scheinbare Top-Frühform relativieren.
Erstens das Problem am Mittwochmorgen selbst - denn Mercedes leistete sich in Sachen Zuverlässigkeit, trotz Marathon-Programms, nicht die geringste Schwäche, während Ferrari am Donnerstagnachmittag durch ein neuerliches Problem, diesmal mit der Kühlung, viel Zeit verlor. Zweitens die generelle Faustregel bei Testfahrten: Unterschiedliche Programme der Teams, verschiedene Spritladungen und Streckenbedingungen schmälern die Repräsentativität der Zeiten. Drittens hat Mercedes die gesamte Woche über auf den Einsatz der drei weichsten Reifenmischungen verzichtet. Ferrari experimentierte unterdessen sogar schon mit dem neuen Ultrasoft.
Dieser Reifen war es dann auch, der Vettel am Dienstag zur Gesamtbestzeit der Testwoche und Räikkönen zur überlegenen Tagesbestzeit am Donnerstag verhalf. Die Vettel-Zeit rangierte dabei auf Augenhöhe mit der Bestzeit der gesamten Testfahrten des Vorjahres von Nico Rosberg. Dessen Teamkollege Lewis Hamilton zeigte sich davon unbeeindruckt. "Ich war nicht überrascht. Ich habe gehört, dass gestern einige die ultraweichen Reifen ausprobiert haben. Wir konzentrieren uns nur auf unsere Aufgaben und unsere Tests. Ich bin wirklich happy mit unserem Plan. Der hat uns in den vergangenen Jahren großartige Ergebnisse beschert", kommentierte der Weltmeister am Mittwoch.
Trotz alledem steht fest, dass sich Ferrari im Winter abermals gemausert hat. Zumindest, wenn man den Aussagen der Fahrer Glauben schenkt. "Es war nicht der leichteste Tag und schmerzhaft, Zeit zu verlieren, aber das erste Gefühl im Auto ist ziemlich gut", sagte Räikkönen nach seinem ersten Einsatz. "Es fühlt sich schon jetzt besser an als das, was wir vergangenes Jahr hatten. Es gibt noch viel zu tun, aber das Handling ist schon gut. Ich bin sicher, dass da jede Menge Potential drin steckt." Sebastian Vettel stimmte zu: "Es gibt noch jede Menge, das kommt, aber bis jetzt ist es schon ein sehr, sehr großer Schritt nach vorne in jedem Bereich."
4. Warum war McLaren so zufrieden?
Die Antwort auf diese Frage ist ziemlich einfach: Weil sie viele Kilometer fahren konnten. Zwar war der letzte Tag nach drei Runden wegen eines Kühllecks frühzeitig beendet, doch bis dahin hatte McLaren bereits mehrere Renndistanzen hinter sich. Auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com erklärte McLaren-Teamchef Eric Boullier: "Im letzten Jahr waren die fehlenden Testkilometer ein größerer Nachteil bei der Entwicklung waren als die fehlende Motorleistung."
Zumindest in dem Punkt läuft es in diesem Jahr schonmal deutlich besser als 2015. 1289 Kilometer fuhr McLaren in Barcelona um genau zu sein. Das sind 362 Kilometer mehr als beim ersten Barcelona-Test und dem Test in Jerez zusammen. Das Team aus Woking kann also relativ optimistisch in den zweiten Test starten. Wenn dann nichts mehr leckt, gibt es noch mehr Runden.
5. Wie lief das Haas-Debüt?
281 Runden und damit mehr als McLaren und Manor standen am Ende der ersten Testfahrten in Barcelona auf dem Konto der US-Amerikaner. "Wir hatten nicht angenommen, dass wir diese Woche so viel fahren können und sogar eine gesamte Renndistanz abspulen können", erklärte Teamchef Günther Steiner. "Das war cool und gibt uns ein gutes Gefühl."
Ganz reibungslos verliefen die ersten Ausfahrten allerdings nicht. Haas sorgte für die erste rote Flagge der Testfahrten, als Romain Grosjean ohne Fremdeinwirkung den Frontflügel verlor. Nachdem das Team nachgebessert hatte, blieb der Flügel jedoch da, wo er sein sollte. Zudem traten kleinere temperaturbezogene Probleme auf und Esteban Gutierrez rollte an Tag 4 mit einem Elektronikdefekt aus.
Insgesamt war die Zuverlässigkeit der Haas-Boliden jedoch beachtlich und auch bei der Performance sorgte der Neuling für ein erstes Ausrufezeichen. An Tag 2 erzielte Grosjean die zweitbeste Zeit des Tages. Zwar sind die Testzeiten grundsätzlich nicht besonders aussagekräftig, es ist aber in jedem Fall ein gutes Zeichen, dass das Team nicht weit zurückliegt.
6. Wie funktionierte das Renault Comeback?
Gleichzeitig gut und schlecht. Das war besonders ärgerlich für Jolyon Palmer, der die ersten zwei Tage im neuen Boliden saß. Am Montag war nach 37, am Dienstag nach 42 Runden Feierabend. Palmer schilderte Softwareprobleme am Montag. Dienstag quittierte ein Renault-Aggregat den Dienst. "Das Problem hat uns zurückgeworfen", gestand Palmer, gab aber gleichzeitig zu, dass das Team nicht erwartet hatte, am ersten Tag 100 Runden zu beenden.
Am dritten und vierten Tag gelang es Renault dann jedoch in die dreistelligen Rundenbereiche zu kommen. Am Mittwoch schien es jedoch nach 110 Runden auch Probleme bei Kevin Magnussen zu geben. Doch der Däne stellte klar: "Die Stopps waren nur Vorsichtsmaßnahmen, weil in den Daten ein paar Dinge falsch ausgesehen haben. Wir haben das Auto nur zur Sicherheit gestoppt, es gab kein Problem." Mit 153 Runden sicherte sich der Däne zum Testabschluss noch einmal das Fleißkärtchen.
7. Wie verkauften sich Wehrlein und Haryanto?
Manor setzt 2016 gleich auf zwei Rookies. Pascal Wehrlein, amtierender Meister der DTM, und Rio Haryanto, Gesamt-Vierter der GP2 2015, erhielten die Cockpits beim letztjährigen Hinterbänkler-Team. Während Wehrlein neben seinem Talent auch durch die Unterstützung von Mercedes zu seinem ersten Stammcockpit kam, setzte sich Haryanto dank staatlicher Gelder aus Indonesien im Wettbieten durch.
Die Testfahrten in Barcelona bestätigten bislang den Eindruck, dass Manor einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht hat. Dank Mercedes-Motor und Getriebe von Williams scheint zumindest der Anschluss an das Mittelfeld gelungen zu sein. Wehrleins Bestzeit vom Dienstag war bereits sechs Sekunden schneller als die schnellste Quali-Runde von Will Stevens in Barcelona 2015. Auch wenn derlei Vergleiche momentan schwierig sind, so ist ein Aufwärtstrend unverkennbar. Und die Fahrer? Die Ausgangslagen könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Wehrlein noch im letzten Jahr Testfahrten für Mercedes und Force India bestritt, war Haryanto zuletzt nur in der GP2 aktiv. Klarer Vorteil Wehrlein also.
Und das spiegelte sich nicht nur auf dem Zeitenmonitor, sondern auch auf der Strecke wider. Wehrlein prügelte an den ersten beiden Tagen seinen Boliden um die Strecke und quetschte alles heraus. "Ich habe einfach versucht, so schnell wie möglich zu fahren. Heute hat es auf jeden Fall mehr Spaß gemacht", gab Wehrlein nach seiner starken Performance am Dienstag zu Protokoll. Teamkollege Haryanto tat sich dagegen deutlich schwerer. Der 23-Jährige drehte sich am Mittwoch zunächst ohne Folgen und absolvierte immerhin 77 Runden. dabei war er sogar leicht schneller als Wehrlein am Montag auf den gleichen Reifen. Am Donnerstag aber zahlte er Lehrgeld und krachte rückwärts in die Reifenstapel. Frühes Aus nach 51 Runden.
8. Wie sehr war Sauber mit altem Auto im Nachteil?
Sauber wusste auch mit dem C34 der vergangenen Saison bei den Testfahrten etwas anzufangen. Unter anderem experimentierte das Team mit dem Setup und dem Verhalten des Autos beim Überfahren der Kerbs. Auch die Reifen ließen sich mit den Referenzdaten aus dem vergangenen Jahr gut unter die Lupe nehmen. "Wir haben ein paar gute Daten gesammelt, die wir nächste Woche übernehmen und am neuen Auto verwenden können", zeigte Felipe Nasr auf. Die ersten vier Testtage in Barcelona dienten demnach nicht nur dazu, den Rost abzuschütteln.
Einen großen Nachteil hat Sauber dennoch. Dem Team bleiben nur vier Testtage mit dem neuen Auto. Für große Pannen und Verzögerungen ist demnach keine Zeit. "Es ist wichtig, dass ab dem Einsteigen alles funktioniert und zuverlässig ist", sagte Marcus Ericsson gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Wenn alles wie geplant funktioniert, bin ich sicher, dass wir gut vorbereitet nach Melbourne gehen", gab er sich vorsichtig optimistisch. "Aber sollten wir natürlich Probleme bekommen, kann das Szenario anderes aussehen."
9. Wieso wechselten sich Hamilton und Rosberg an den einzelnen Testtagen ab?
Für Mittwoch war bei Mercedes Lewis Hamilton als Fahrer vorgesehen, für Donnerstag Rosberg. Doch dann twitterte das Team überraschend, dass sich die Piloten die letzten beiden Tage der ersten Testwoche jeweils teilen würden. Rosberg fuhr am Mittwochvormittag, der Brite nachmittags, am Donnerstag umgekehrt. Hintergrund: Für den vierten Testtag war zunächst Regen angesagt (der dann aber gar nicht fiel). Um beiden Fahrern - positiv wie negativ - gleiche Bedingungen zu geben, wurde das Teilzeit-Modell gewählt.
Rosberg fand das gut. "Wenn ich einen halben Tag mache, kann ich mich mehr reinhängen," so der Deutsche. Niki Lauda nannte im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com einen angeblichen weiteren Grund für die Planänderung: "Das Problem ist, dass den Fahrern langweilig wird." Doch Hamilton widersprach: Testen sei nicht langweilig. Der Weltmeister räumte gegenüber Motorsport-Magazin.com aber ein: "Es ist nicht wie ein Rennen, wo du jemanden schlagen kannst und eine Strategie hast."
10. Warum fuhr Celis an zwei Tagen?
Eigentlich sollte der Entwicklungsfahrer nur am ersten Tag der Testfahrten in Barcelona im Cockpit des VJM09 sitzen. Doch dann kam er überraschenderweise auch am Finaltag zum Einsatz. Eine offizielle Erklärung zur neuen Einteilung der Fahrer gab es von Force India nicht. Daher lässt sich nur vermuten, dass es mit finanziellen Vereinbarungen zu tun hat. Bereits zu Beginn der Testfahrten hatte Stammfahrer Sergio Perez gesagt: "Aus Sicht des Teams ist es absolut verständlich. Es hilft, weil es finanzielle Vorteile bringt."
Chef-Renningenieur Tom McCullough war jedoch auch bemüht, das Talent des 19-jährigen Mexikaners hervorzuheben. "Seine Herangehensweise war sehr reif und er hat seinen Speed im Verlauf des Tages stetig aufgebaut", lobte er nach Tag 1 im Auto. Zudem habe das Team Celis auf die Abläufe vorbereiten können, die er für einige Freitagseinsätze kennen muss.
11. Wie beurteilen die Fahrer die neuen Pirelli-Reifen?
Pirelli stand 2015 bei den Fahrern in der Kritik. Der Hersteller reagierte und baute eine Lage ein, die die Piloten warnt, wenn der Reifen sein Ende erreicht. Dann gibt es Gripverlust. "Du kannst es definitiv spüren, besonders auf dem Soft-Reifen. Sobald du eine gewisse Menge Gummi abgefahren hast, wird es sehr schwierig, auf der Strecke zu bleiben", bestätigte Sergio Perez. Lewis Hamilton passt das nicht. "Der Reifen ist definitiv nicht besser. Er fühlt sich härter an und gibt mir keinesfalls mehr Grip. Ich bevorzuge den aus dem vergangenen Jahr", schimpfte er.
Mit den Ultrasofts kam zudem erstmals die neue Mischung zum Einsatz. Von Daniel Ricciardo gab es dafür Lob. "Er war standfest und du kannst einfach ein bisschen mehr Grip erwarten. Der Ultrasoft war ein guter, kleiner Schritt." Am Dienstag hatten Sebastian Vettel und er mit diesen Pneus die Spitzenzeiten geholt. Nico Rosberg probierte die neue Mischung gar nicht und warnte vor der Aussagekraft dieser Testfahrten für die neuen Reifen: "Das ist nicht die Strecke für Ultrasofts, es ist eiskalt da draußen."
12. Ist der Sound besser?
In der Theorie ja. Neben dem zentralen Auspuffrohr gibt es jetzt bei den meisten Teams zwei zusätzliche Wastegate-Pipes, Renault setzt auf eins, das dafür etwas größer sein muss. Die Messergebnisse waren vielversprechend: Vier Dezibel waren die Motoren auf dem Prüfstand lauter. Die Praxis: Ernüchternd. Subjektiv konnten wir - wenn überhaupt - nur einen kleinen Unterschied ausmachen. Die meisten Fahrer sprachen von einer kleinen Verbesserung, Nico Hülkenberg sah - oder besser - hörte es wie wir.
Ausführlichere Hintergründe zu den zusätzlichen Auspuffrohren gibt es hier:
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