Dienstagvormittag in Barcelona, kurz vor der Mittagspause des zweiten Formel-1-Testtags 2016. Daniel Ricciardo fährt aus der Box. Es dauert nicht lange, da bemerkt der erste Beobachter die violett markierten Reifen an seinen Red Bull. Es sind die neuen Ultrasofts! Mit einem so frühen Einsatz der neuesten Kreation aus der Pirelli-Reifenschmiede hatte kaum jemand gerechnet. Doch dann fährt plötzlich auch noch Sebastian Vettel mit den sich farblich mit seinem rot lackierten Ferrari stark beißenden Pneus auf die Strecke.
Ricciardo setzt sofort eine überlegene Bestzeit, Vettel unterbietet noch einmal um mehr als eine halbe Sekunde. Damit ist der Deutsche schon am zweiten Testtag bis auf wenige Tausendstel genauso schnell wie die Bestzeit der gesamten Testfahrten des Vorjahres, immerhin aufgestellt von Mercedes-Pilot Nico Rosberg.
Doch wieso die überraschend frühe Premiere des neuen Reifen, der eigentlich nur für extrem langsame Kurse und das Qualifying gedacht ist? Wieso auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya, der eher einen Mix aus mittel- bis schnellen Kurven bietet? Wieso zu einer Zeit, in der es noch nicht um Performance-Runs, sondern Zuverlässigkeit und Systemchecks geht? Ganz einfach.
Deadline zur Reifenwahl steht bevor
Wie Motorsport-Magazin.com bereits am Mittwochabend aus sicherer Quelle erfahren hatte, soll der Ultrasoft nun auch in Kanada zum Einsatz kommen. Dafür müssen die Teams bereits in der kommenden Woche ihre Reifenwahl festzurren. Also dachten sich Ferrari und Red Bull wohl, es könne nicht schaden, vorher zumindest mal ein paar Kilometer auf der neuen Mischung gefahren zu sein.
"Zuerst waren wir überrascht, ja. Aber mit der bevorstehenden Reifenwahl für Montreal wollen die Teams vielleicht einfach frühzeitig schon Daten haben. Die Deadline ist nächsten Donnerstag, es war gutes Wetter, also haben sie das genutzt", erklärt Pirellis Mario Isola schließlich zum Testabschluss am Donnerstagabend. Generell müssen die Teams ihre Reifen im Voraus bestellen - acht Wochen bei europäischen Rennen, 14 bei Übersee-Grands-Prix.
Wie viel schneller ist der Ultrasoft?
Überrascht zeigte sich Isola derweil auch hinsichtlich der Performance. "Dazu sei gesagt, dass dies nicht der richtige Kurs für Ultrasofts ist. Dennoch waren die Reifen nach fünf oder sechs Runden noch in guter Verfassung", meint er. Tatsächlich bauten die Pneus schon nach einer schnellen Runden deutlich ab.
Wie lang die Reifen in Kanada halten werden, vermag Isola noch nicht einzuschätzen. "Das ist schwer zu sagen. Das Ziel in Abu Dhabi waren 15 Runden, um einen Vergleich zu geben. Das sind mehr oder weniger 25 Prozent des Rennens und würde damit die aggressivste Option darstellen", sagt er.
Im Qualifying-Trimm jedoch erwiesen sich die Ultrasofts als herausragend. Der Vorteil gegenüber des Supersofts fiel durchaus signifikant aus. "Wenn man sich Ferrari anschaut circa 0,8 Sekunden", sagt Isola. "Das ist aber wohl etwas überschätzt. In Abu Dhabi war es weniger. Ich denke daher, irgendwo zwischen 0,5 und 0,8 Sekunden. Das war auch mehr oder weniger das Ziel." Im Abschluss-Zeitentableau der gesamten vier Tage in Barcelona jedenfalls gingen drei der vier Top-Zeiten auf das Konto der Ultra-Pneus - die bei Testfahrten üblich begrenzte Aussagekraft gilt jedoch auch hier.
Pos | Fahrer | Team | Zeit | Tag | Reifen |
1 | Sebastian Vettel | Ferrari | 1:22.810 | 2 | Ultrasoft |
2 | Nico Hülkenberg | Force India | 1:23.110 | 3 | Supersoft |
3 | Kimi Räikkönen | Ferrari | 1:23.477 | 4 | Ultrasoft |
4 | Daniel Ricciardo | Red Bull | 1:23.525 | 2 | Ultrasoft |
5 | Sergio Perez | Force India | 1:23.650 | 2 | Supersoft |
Pirelli-Motorsportdirektor Paul Hembery gibt sich dennoch überschwänglich: "Unsere größte Neuigkeit war das Debüt des violetten P Zero Purple Ultrasoft-Reifen, der die schnellste Zeit des Tests markiert und jene Extra-Performance gebracht hat, die wir angestrebt hatten - obwohl Barcelona nicht die Art Kurs ist, die besonders dafür geeignet ist."
Das sagen die Fahrer zum neuen Ultrasoft
Und die Fahrer? Bei Ferrari hielten sie sich bedeckt, keine ergiebigen Kommentare von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen, der am letzten Testtag ebenfalls eine Ultrasoft-Bestzeit markierte.
Daniel Ricciardo war da auskunftsfreudiger. "Es hat sich einfach wie ein weiterer Schritt zusätzlich zu dem Supersoft angefühlt und sich wie eine noch weichere Mischung verhalten, das ist gut. Er war standfest und du kannst einfach ein bisschen mehr Grip erwarten. Es hat sich nicht komisch angefühlt, es gab nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Der Ultrasoft war ein guter, kleiner Schritt. Es war hier nicht so relevant, da die Strecke so kalt ist, aber es war gut, ihn mal aufzuziehen und zu verstehen", schildert Ricciardo Eindrücke und Beweggründe in einem Atemzug.
Auch Nico Rosberg nimmt Stellung. Gefragt, ob er Mercedes diesbezüglich gegenüber Ferrari jetzt nicht im Nachteil sehe, antwortet der Deutsche Motorsport-Magazin.com: "Das ist kein Problem, denn was lernt man hier schon? Das ist nicht die Strecke für Ultra, es ist eiskalt da draußen. Deshalb ist das sehr begrenzt.". Auch nicht im engen letzten Sektor? "Bis dahin ist der Reifen schon k.o.", winkt Rosberg ab.
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