Die MotoGP sei schlimmer als die Formel 1, kritisierte vor kurzem der zweifache Weltmeister Casey Stoner. Zumindest im Bereich Aerodynamik muss man dem Australier wohl mittlerweile zustimmen. Während die Formel 1 die Aerodynamik mit ihrem Reglement von 2022 regulierte, sprießen in der Motorrad-WM die Flügel nur so aus den Maschinen. Bei den Tests zur Saison 2024 in Sepang erlebte diese Eskalation einen neuen Höhepunkt.

Am Heck von Trackhouse-Pilot Miguel Oliveira sahen wir erstmals ein Luftmessgitter, wie es aus der Formel 1 seit Jahren bekannt ist. An allen Ecken und enden werden Flügelchen und Aero-Bauteile an die Bikes geschraubt. Diese Entwicklung erschwert nicht nur das Hinterherfahren und das Überholen, auch die Werke machen das Leben für ihre Teams und Fahrer damit immer schwerer.

Flügel am Heck der LCR-Honda
Aus dem Heck der Honda wachsen Flügel ohne Ende, Foto: LAT Images

Aero-Tests: Die komplizierte Suche nach der richtigen Balance

"Wir spielen hier im wahrsten Sinne des Wortes mit dünner Luft", kommentierte KTM-Pilot Jack Miller den Aero-Wahnsinn. Im Paddock weiß man noch gar nicht so richtig umzugehen mit dem ganzen Flügelsalat. "Wir müssen verstehen, welches die besten Teile sind, denn wir haben zwei völlig unterschiedliche Flügel, die vorne viel mehr Abtrieb haben. Hinten haben wir drei verschiedene Kombinationen, mit großen Flügeln", berichtete Aprilias Aleix Espargaro über die komplizierte Suche nach dem richtigen Paket.

Das Aussortieren dieser Aero-Pakete ist heutzutage essentiell. "Wir müssen viele verschiedene Kombinationen ausprobieren, weil sie das Motorrad komplett verändern. Sie machen das Motorrad entweder richtig schwer oder geben Stabilität, bei manchen verliert man beim Bremsen, bei anderen gewinnt man beim Bremsen. Es ist nicht einfach, die beste Kombination zu finden", seufzt der Aprilia-Kapitän. "Am Anfang war uns nicht klar, wie wichtig die Aerodynamik ist, aber in den letzten 4 oder 5 Saisons haben wir verstanden, wie die Aerodynamik das Verhalten des Motorrads verändern kann", berichtet der Spanier aus seinem reichen Erfahrungsschatz

Aleix Espargaro musste viele Aero-Kombinationen ausprobieren, Foto: LAT Images
Aleix Espargaro musste viele Aero-Kombinationen ausprobieren, Foto: LAT Images

Aerodynamik verändert alles am MotoGP-Bike

Auch für Miller ist die Aero-Übernahme der MotoGP in vollem Gange: "Es wirkt sich überall auf das Motorrad aus. Der Antrieb, der maximale Schräglagenwinkel, das Umlegen des Motorrads, das Bremsen." Das geht so weit, dass selbst die Dominatoren von Ducati dem ganzen nicht immer Herr werden. Beim Test waren die Piloten in zwei Lager gespalten, was die richtige Wahl der Verkleidung des Bikes angeht.

"Es gibt so viele Variablen, die beim Testen dieser Dinge eine Rolle spielen. Deshalb ist es auch so schwer, ein vernünftiges Paket zusammenzustellen, weil es so viele Variablen zwischen den einzelnen Komponenten gibt", berichtet Miller. Und dies wird zumindest bis 2027 - wenn ein neues Reglement greifen kann - wohl nur noch schlimmer werden. Auch Millers Arbeitgeber KTM geht immer wieder neue Wege. In Sepang war nun ein Frontflügel auf der Radabdeckung zu sehen.

Flügel auf der Frontradabdekung von KTMs MotoGP-Bike
KTM testete einen Frontflügel auf der Radabdeckung, Foto: LAT Images

Erlösung erst 2027? MotoGP vor schweren Zeiten

Mit etwas Galgenhumor könnte man wohl sagen, das Motto heißt: Lasst uns überall einen Flügel dranschrauben, wo Platz dafür ist. Mehr als Galgenhumor bleibt den Fans aber aktuell wohl auch nicht. Nicht nur empfindet die Mehrheit von ihnen diese Bikes als wenig schön, es leidet wie erwähnt auch der Sport. In Kombination mit der zunehmenden Überforderung der Reifen durch den generierten Anpressdruck werden die Motorräder zudem immer kritischer, Verletzungen häufen sich in besorgniserregendem Maße. Und dann tun Sprints und Starts auch noch ihr Übriges dazu.

Doch die Hersteller müssen mitziehen, wenn sie sportlichen Erfolg haben wollen. Aerodynamik ist nun einmal das Entwicklungsfeld, welches die größten Zeitgewinne verspricht. Die Lösung kann nur über das Regelwerk kommen. Nicht umsonst forderte bspw. Aprilia-Boss Massimo Rivola mehrfach eine Regulierung der Aerodynamik noch vor dem neuen Regelwerk, und das obwohl Aleix Espargaro der Meinung ist, sein Werk habe eine der besten Aero-Abteilungen. Ob solche Schritte wirklich vor 2027 eingeleitet werden, ist fraglich. Dorna und FIM haben sich mit der Problematik bisher nur in Bezug auf das neue Reglement beschäftigt.

Bis die MotoGP dem Aero-Wahnsinn einen Riegel vorschiebt, geht es munter weiter. Hier könnt ihr in unserer Test-Analyse lesen, wie das aktuelle Kräfteverhältnis in der Entwicklungsschlacht aussieht.