Auf dem Papier hätte der zweite Tag der offiziellen MotoGP-Testfahrten 2024 in Sepang für Ducati kaum besser verlaufen können. Mit Weltmeister Francesco Bagnaia, Teamkollege Enea Bastianini und Pramac-Mann Jorge Martin brachten die Italiener alle drei ihrer Stammfahrer auf einer Desmosedici GP24 in die Top Fünf, wobei alle drei auch unter der bisherigen Ducati-Bestzeit aus dem Malaysia-Qualifying im Vorjahr landeten. Bastianini fuhr in 1:57.134 Minuten den neuen Rundenrekord, Martin (0,139 Sekunden) und Bagnaia (0,335 Sekunden) lagen nur unweit zurück.

Nachdem Vizeweltmeister Jorge Martin schon den Testauftakt am Dienstag mehr als zweieinhalb Zehntel vor Pedro Acosta und KTM angeführt hatte, knüpften die Roten damit unmittelbar an ihre Leistungen des Vortages an. Und doch war die Stimmungslage in Borgo Panigale am Mittwoch eine gänzlich andere. Denn das von Teamchef Gigi Dall'Igna angekündigte Aero-Update im Bereich der Verkleidung, welches Testfahrer Michele Pirro im Shakedown bereits ausprobierte, konnte die hohen Erwartungen nicht überall erfüllen.

Jorge Martin klagt: Neue Verkleidung bringt kaum Vorteile

"Ich bin ziemlich gut in den Tag gestartet, mein Gefühl war zu Beginn fantastisch. Dann haben wir mir der Arbeit an der neuen Verkleidung begonnen", bilanzierte Martin im Interview beim MotoGP-Format 'After The Flag' vielsagend. "Es war letztlich kein leichter Tag. Wir haben die neue Verkleidung immer und immer wieder ausprobiert. Normalerweise kannst du, wenn du etwas Neues testest, direkt entscheiden, ob es gut oder schlecht ist. Heute war das aber schwer, ich habe kaum Vorteile der neuen Verkleidung gespürt. Wir haben viel versucht, um ein besseres Gefühl zu bekommen, letztlich haben wir den richtigen Weg für diese Saison aber noch nicht gefunden."

Der Pramac-Pilot ist also alles andere als glücklich mit Ducatis neuer Verkleidung. Dabei handelt es sich im Übrigen um eine Kombination und Weiterentwicklung der beiden im Vorjahr verwendeten Versionen. Im Werksteam kamen sogenannte 'Downwash'-Kanäle zum Einsatz, im Kundenteam Pramac Racing eine eher bauchige Variante. 2024 sollen beide Teams wieder mit identischer Variante an den Start gehen. Bastianini und Martin testeten die neue Verkleidung bereits ab dem Vormittag, nach der inoffiziellen Mittagspause rückte auch Bagnaia in den Nachmittagsstunden noch damit aus.

"Die neue Verkleidung zieht das Motorrad beim Fahren ein wenig nach unten und, auch wenn das Bremsgefühl etwas besser ist, habe ich im restlichen Teil der Strecke ziemlich damit zu kämpfen", beschreibt Martin seine Eindrücke der Funktionstests und steht damit völlig konträr zu den Aussagen seines Markenkollegen Enea Bastianini, der deutlich mehr Gefallen an der neuen Verkleidung gefunden hat. Der Mann mit der Startnummer 23 erklärte gegenüber 'MotoGP.com': "Die Arbeit mit meinem Team war richtig gut. Wir haben das Setup etwas angepasst und die neue Aero-Lösung sowie einen neuen Auspuff ausprobiert. Das Motorrad fühlte sich gut an, speziell mit der neuen Aero. Das freut mich."

Jorge Martin gefällt die neue Ducati-Verkleidung bislang nicht, Foto: LAT Images
Jorge Martin gefällt die neue Ducati-Verkleidung bislang nicht, Foto: LAT Images

Ducati-Werkspiloten widerlegen Jorge Martins Kritik

Anders als Martin, der seine schnellste Rundenzeit des Tages noch in den Morgenstunden mit der 2023er-Version gefahren war, gelang Bastianini seine Rekordrunde mit der neuen Verkleidung. "Die Zeitattacke am Ende war nicht schlecht. Die zweite Runde war noch besser, aber ich bin in Turn 9 etwas zu viel Risiko eingegangen", scherzt er und meint also, dass sogar noch mehr möglich gewesen wäre. Daher überrascht auch folgende Einschätzung nicht: "Für mich ist das 2024er-Bike überall besser als das 2023er-Bike. Aber es ist zu früh, um ein endgültiges Fazit zu ziehen. Wir müssen dieses Gefühl erst in Katar und auf anderen Strecken bestätigen. Aber heute war ein guter Tag sowohl auf eine Runde als auch im Longrun."

Weltmeister Francesco Bagnaia schlug sich am Mittwochabend in seiner Medienrunde auf die Seite seines Teamkollegen. Er verriet: "Die neue Verkleidung hat ein wirklich gutes Potenzial, auch wenn ich denke, dass wir das Setup ein wenig ändern müssen, um das Gefühl noch ein bisschen zu verbessern." Zwar erkannte auch der gebürtige Turiner die Schwierigkeiten, die Markenkollege Martin im Kurvenbereich hatte, er meint aber: "Du hast mehr Abtrieb auf der Geraden, sodass du weniger Wheelie bekommst. Auf der Bremse ist das Motorrad etwas steifer, aber ich denke, dass man das mit dem richtigen Setup korrigieren kann. Dann fährt sich das Bike wieder leichter und du hast zusätzlich das Potenzial, weniger Wheelies zu haben."

Im Werksteam wird die neue Ducati-Verkleidung bevorzugt, Foto: LAT Images
Im Werksteam wird die neue Ducati-Verkleidung bevorzugt, Foto: LAT Images

Pramac muss umplanen: Keine Zeit für Verkleidungstests in Katar

Während sich Bagnaia und Bastianini am Donnerstag, dem letzten Testtag in Sepang, damit vollkommen auf den restlichen Testplan fokussieren können, muss im Pramac-Team umgeplant werden. Eine Entscheidung bezüglich der neuen Verkleidung hat Priorität. "Wir könnten sie in Katar [Katar-Test, 19. - 20.02., Anm.] erneut probieren, aber wir haben einfach nicht genug Zeit. Sie müssen es schnellstmöglich wissen, um produzieren zu können. Daher müssen wir morgen eine Entscheidung treffen", erklärt Martin. "Vielleicht können wir das Gefühl verbessern, indem wir einige Änderungen am Motorrad vornehmen. Wir haben jedenfalls noch einiges an Arbeit vor uns. Ich möchte aber auch nicht zu viel Zeit verlieren, denn wir haben morgen noch viele Dinge zu probieren."