Die ersten offiziellen MotoGP-Testfahrten des Jahres 2024 in Sepang sind Geschichte. Nachdem die Stammfahrer von Honda und Yamaha durch das neue Concession-Reglement schon im Shakedown vergangene Woche mitmischen konnten, brachten sich von Dienstag bis Donnerstag auch die restlichen Stars der Königsklasse auf Betriebstemperatur. Motorsport-Magazin.com analysiert, wie sich die einzelnen Fahrer und Hersteller im ersten Schlagabtausch des Jahres geschlagen haben.

Anmerkung: Die MotoGP befindet sich natürlich noch in einer frühen Phase der Saisonvorbereitung. Bis zum Auftaktrennen in Katar sind es noch knapp vier Wochen, zudem wartet vom 19. bis 20. Februar noch ein weiterer, zweitätiger Test auf dem Losail International Circuit. Die Erkenntnisse aus diesem Artikel sollen daher keine Prognose für das gesamte MotoGP-Jahr 2024 darstellen, sondern vielmehr eine erste Trendbestimmung sein.

Die Rundenzeiten

Ein Blick auf Gesamtwertung des Sepang-Tests zeigt, Ducati machte 2024 dort weiter, wo die MotoGP-Weltmeister im Vorjahr aufhörten: Sie dominierten. Francesco Bagnaia fuhr in 1:56.682 Minuten nicht nur die absolute Bestzeit, sondern auch einen neuen Rundenrekord. Verglichen mit der bisherigen Bestmarke - Bagnaias Polezeit aus dem vergangenen Herbst - verbesserte sich der Italiener um sagenhafte 0,809 Sekunden. Eine ordentliche Ansage des Titelverteidigers, zumal ihm nur Jorge Martin, Enea Bastianini und Alex Marquez nahekamen. Die Desmosedici scheint also auch 2024 das stärkste Bike zu sein. Marc Marquez konnte sich auf einer seiner vermeintlichen Problemstrecken immerhin schon auf 0,588 Sekunden an die Bestzeit annähern.

Wie schon im Vorjahr etablierte sich 2024 erneut Aprilia im Sepang-Test als erster Ducati-Verfolger. Aleix Espargaro verlor als Fünfter nur knapp vier Zehntel auf die Bestzeit, war zugleich aber auch der einzige Aprilia-Pilot, der auf dem neuen Motorrad wirklich konkurrenzfähig war. Maverick Vinales und Miguel Oliveira lagen am Donnerstag deutlich weiter zurück. Hinter dem italienischen Duo etablierte sich KTM als dritte Kraft, Speerspitze Brad Binder fehlten in Sepang rund sechs Zehntel auf Ducati. Besonders bemerkenswert: Superrookie Pedro Acosta bewegte sich beinahe auf Augenhöhe mit Binder und deutlich vor Jack Miller.

Die kombinierte Zeitenliste des MotoGP-Tests in Sepang:

Pos.FahrerTeamZeit/Rückstand
1BagnaiaDucati Lenovo1:56.682
2MartinPramac Ducati0.172
3BastianiniDucati Lenovo0.233
4Alex MarquezGresini Ducati0.256
5Aleix EspargaroAprilia Racing0.409
6Marc MarquezGresini Ducati0.588
7Brad BinderRed Bull KTM0.625
8Di GiannantonioVR46 Ducati0.661
9AcostaGasGas Tech30.683
10MirRepsol Honda0.692
11QuartararoMonster Energy Yamaha0.843
12VinalesAprilia Racing0.846
13NakagamiLCR Honda1.083
14MillerRed Bull KTM1.169
15BezzecchiVR46 Ducati1.185
16RinsMonster Energy Yamaha1.197
17ZarcoLCR Honda1.260
18OliveiraTrackhouse Racing1.318
19MariniRepsol Honda1.326
20Augusto FernandezGasGas Tech32.058
21Raul FernandezTrackhouse Racing3.538

Honda bestätigte die eigenen Fortschritte und konnte sich in Person von Joan Mir bereits auf weniger als sieben Zehntel Rückstand annähern. Den Japanern gelang damit auch der größte Zeitensprung, sie verbesserten sich gegenüber dem Malaysia-Qualifying 2023 um ganze 1,066 Sekunden. Konträr gegenüber steht dem Yamaha: Der Hersteller aus Iwata offenbarte die größten Probleme auf eine Runde und konnte sich lediglich um 0,555 Sekunden steigern. Kein anderes Werk schnitt schlechter ab. Generell lässt sich aber festhalten, dass es 2024 wieder eng zugehen wird: 19 der 21 Fahrer landeten innerhalb von 1,3 Sekunden. Nur Augusto Fernandez enttäuschte, Namensvetter Raul blieb durch seine verletzungsbedingte Abreise an Tag eins ohne realistische Bewertungsgrundlage. Franco Morbidelli verpasste den Sepang-Test bekanntlich komplett.

Die Longrun-Pace

Generell sagen einzelne schnelle Runden bei Testfahrten nur wenig über die tatsächliche Pace eines Piloten aus. Dazu ist die Analyse längerer Runs über mehrere Runden deutlich aufschlussreicher. Da das Wetter in Sepang mitspielte, absolvierte fast jeder Fahrer am Donnerstag in vergleichbaren Bedingungen eine Sprint-Simulation über zehn Runden. Einzig Fabio Quartararo, Marco Bezzecchi, Augusto Fernandez und Miller begrenzten sich auf kurze Ausfahrten. Takaaki Nakagami absolvierte seinen Longrun über 12 Runden bereits am zweiten Testtag.

Die schnellsten Sprint-Simulationen im MotoGP-Test von Sepang:

FahrerSchnittLongrun-Länge*
Di Giannantonio1:58.23710 Runden
Vinales+0.0908 Runden
Martin+0.15310 Runden
Bastianini+0.20010 Runden
Aleix Espargaro+0.2629 Runden
Marc Marquez+0.31910 Runden
Alex Marquez+0.3439 Runden
Brad Binder+0.4029 Runden
Acosta+0.40710 Runden
Bagnaia+0.42210 Runden
Mir+0.6669 Runden

*Rundenzeiten, die völlig aus der Reihe fallen, fließen in die Berechnung nicht ein

Beim Blick auf die durchschnittlich schnellsten Longruns aus Sepang fällt auf: Die zehn besten Piloten sind auch fast jene zehn Piloten, die die Top Ten der schnellsten Qualifying-Simulationen stellten. Einzig Maverick Vinales rückt neu hinzu, Joan Mir fällt als Elfter knapp hinaus. In Summe gibt Ducati mit sechs Piloten in den Top Ten erneut den Ton an. Diesmal ist es aber Fabio Di Giannantonio auf der Vorjahresmaschine, der die restlichen Fahrer in seinen Schatten stellte. Der VR46-Neuzugang war in seiner Sprint-Simulation durchschnittlich im 1:58.2er-Bereich unterwegs, kratzte mehrfach an der 1:57er-Marke und erreichte diese sogar einmal.

Fabio Di Giannantonio war der schnellste MotoGP-Pilot im Longrun, Foto: LAT Images
Fabio Di Giannantonio war der schnellste MotoGP-Pilot im Longrun, Foto: LAT Images

Maverick Vinales überrascht auf Platz zwei mit einem starken Run zum Ende der Testfahrten, ehe ihn ein technisches Problem im neunten Umfall zum vorzeitigen Ende zwang. Der Spanier scheint in den letzten Minuten des Tests also doch noch Fortschritte mit der neuen RS-GP gemacht zu haben. Aleix Espargaro bestätigt das hohe Leistungsniveau mit Platz fünf. Die Werksducatisti auf der Desmosedici GP24 scheinen auf eine längere Distanz noch Optimierungsbedarf zu haben. Sie konnten ihre Dominanz auf eine Runde (noch) nicht wiederholen. Speziell Weltmeister Bagnaia hinkt als Zehnter hinterher, er wurde von drei der vier Vorjahresmaschinen geschlagen.

KTM liegt auch im Longrun nicht weit von der Spitze entfernt, Binder und Acosta fehlen nur knapp vier Zehntel. Der GasGas-Rookie weiß also auch in der Sprint-Simulation zu gefallen. Gleiches gilt für Honda-Speerspitze Mir, der im Schnitt lediglich 0,666 Sekunden verliert. Im Sepang-Sprint 2023 verlor die beste RC213V in den Händen Nakagamis im Schnitt noch 1,601 Sekunden, Mir selbst sogar 4,059 Sekunden. Die Richtung bei HRC stimmt also, auch wenn die restlichen Piloten im Longrun noch Nachholbedarf haben.

Im Yamaha-Lager dürften die Sorgenfalten auf der Stirn bei einem Blick auf die Sprint-Simulationen der Konkurrenz wohl noch etwas größer geworden sein. Alex Rins verlor in seinem neun Runden umfassenden Run im Schnitt ganze 1,051 Sekunden auf Di Giannantonio. Da Teamleader Quartararo keinen Longrun fuhr, bleibt das tatsächliche Niveau Yamahas noch etwas verschwommen, da Neuzugang Rins sicherlich noch nicht am Maximum unterwegs war. Wird jedoch Rins' Rückstand auf Quartararos Qualifying-Simulation als Maßstab genommen, dürfte der Franzose im Rennen trotzdem noch 0,8 Sekunden pro Runde verlieren.

Topspeeds

Ein erfreulicheres Bild für Yamaha zeichnet die Topspeed-Wertung. Hier führen die Japaner gemeinsam mit KTM überraschend, nachdem Quartararo und Co. zuvor jahrelang über fehlende Motorenleistung klagten. Nun scheint ihnen ein Fortschritt gelungen zu sein, auch wenn das Bild durch Quartararos späten Bremspunkt möglicherweise um wenige km/h verfälscht ist. Aprilia liegt momentan noch am Ende der Rangliste, präsentiert seinen neuen Motor aber erst in Katar. Funktioniert dieser wie erhofft, dürfte der Hersteller aus Noale wohl noch ein paar PS finden.

Pos.FahrerHerstellerTopspeed (km/h)
1Brad BinderKTM338,5
QuartararoYamaha338,5
3BagnaiaDucati337,5
4ZarcoHonda336,4
5Aleix EspargaroAprilia335,4

Rundenbilanz

Anders als in der Vergangenheit wurde die MotoGP 2024 in Sepang von bestem Wetter gesegnet. Während der drei Testtage regnete es nicht einmal, nur einzelne Rote Flaggen für Stürze und Defekte störten den Betrieb etwas. Jack Miller war dabei der fleißigste Pilot, er fuhr über die drei Tage insgesamt 188 Runden, was mehr als neun Renndistanzen entspricht. Vinales und Augusto Fernandez folgen vor Marc Marquez, der trotz vierer Defekte an Tag eins noch auf 173 Umläufe kam. Marini, Mir und Nakagami spulten, vom verletzten Raul Fernandez abgesehen, die wenigsten Runden ab.

Nach Herstellern gruppiert ergeben sich 1.092 Runden für die sieben Ducati-Stammfahrer, 1.243 wenn auch Morbidelli-Ersatz Michele Pirro berücksichtigt wird. KTM drehte 674 Umläufe, Aprilia 520 bzw. 622 [mit Fernandez-Ersatz Savadori, Anm.]. Die vier Honda-Fahrer bringen es gemeinsam auf 478 Runden, das Yamaha-Duo auf 303. Für letztere drehte zudem Testfahrer Cal Crutchlow weitere 165 Runden. Im Durchschnitt bewegen sich damit fast alle Hersteller im ähnlichen Bereich von 170 bis 150 Runden pro Fahrer. Einzig Honda hinkt mit durchschnittlich 119,5 Umläufen pro Piloten hinterher, allerdings waren die Japaner auch schon beim Shakedown mit allen Stammfahrern präsent und äußerst aktiv.

Das Fazit vor dem Katar-Test:

Sobald Ducati das volle Potenzial der GP24 entfaltet hat, dürfte im Titelkampf kaum ein Weg an den Werkspiloten vorbeiführen. Titelverteidiger Bagnaia wird sich jedoch strecken müssen, denn Martin und auch Bastianini befinden sich auf Augenhöhe mit ihm. Ob Marc Marquez ganz vorne mitmischen kann, bleibt abzuwarten. Der Gresini-Neuzugang befindet sich noch im Anpassungsprozess an die Ducati, liegt dafür aber gar nicht so weit zurück. Aprilia könnte Ducati-Verfolger Nr. 1 darstellen, zumal die Italiener ihren neuen Motor noch in der Hinterhand haben. KTM muss sich noch verbessern, um Ducati 2024 vom Thron stoßen zu können. Bei Honda bestätigt sich der positive Aufwärtstrend, Yamaha hingegen erscheint als das neue Schlusslicht.