Die 'Silly Season' der MotoGP-Saison 2024 könnte die vielleicht verrückteste in der Geschichte der Königklasse werden. Von 22 Fahrern haben aktuell nur drei einen Vertrag, der über 2024 hinaus geht. Abgesehen von KTMs Brad Binder sind in der Theorie noch alle Spitzenfahrer für 2025 zu haben. Das erhöht gewaltig den Druck auf einige Wackelkandidaten der MotoGP. Viele Teams werden mehrere Optionen haben, schwächelnde Fahrer zu ersetzen. Motorsport-Magazin.com wirft einen Blick auf die Fahrer, die besonders Gefahr laufen könnten, ihren Platz zu verlieren. Diese Piloten müssen 2024 mit Leistung überzeugen.
Enea Bastianini: Die Ducati-Meute im Nacken
Neben Fabio Quartararo erlebte Enea Bastianini den größten Absturz der Saison 2023. Der Italiener war ins Werksteam von Ducati an die Seite von Weltmeister Francesco Bagnaia aufgestiegen, doch war sein Jahr von Anfang an verhext. Schon im ersten Sprint verletzte er sich und erlebte danach Rückschritt um Rückschritt, inklusive von ihm ausgelöster Startkollision in Barcelona. Irgendwann konnte die mangelnde Pace aber nicht mehr auf den Gesundheitszustand von 'La Bestia' geschoben werden. Er haderte mit dem Bremsverhalten der GP23, die Ergebnisse waren teilweise jenseits von Gut und Böse für einen Ducati-Werkspiloten.
Mit dem Wechsel zu einer mit Daumen betätigten Hinterradbremse schien der Durchbruch gelungen. Aus dem Nichts holte der Italiener in Malaysia seinen fünften Grand-Prix-Sieg. Viele vermuteten, dass der 25-Jährige damit zur Geheimwaffe für Francesco Bagnaia im Titelkampf gegen Jorge Martin würde. Doch in den letzten beiden Rennen war er wieder im Niemandsland, verpasste zweimal das Q2 und punktete in zwei Sprints und Rennen nur einmal. Bagnaia musste den Titel allein gegen Martin verteidigen.
Und genau dieser Martin ist mit Sicherheit einer von zwei heißen Kandidaten, Bastianini abzulösen. Neben dem Vizemeister sollte auch sich mittlerweile auch der WM-Dritte Marco Bezzecchi auf den Notizzettel der Ducati-Bosse gefahren haben. 'Bezz' ist dazu auch noch mit Francesco Bagnaia gut befreundet und wie der Weltmeister Teil der VR46-Academy. Bastianini muss 2024 wieder sein Gesicht aus dem Jahre 2022 zeigen, sonst wird er seinen Platz im Werksteam wohl los sein.
Franco Morbidelli: Gutes Bike heißt auch Ergebnispflicht
2022 ging Franco Morbidelli gegen Yamaha-Teamkollege Fabio Quartararo komplett unter. 2023 steigerte sich der Italiener, aber nicht genug. Die Japaner verlängerten den Vertrag nicht und machten von einer Ausstiegsklause bei LCR-Pilot Alex Rins Gebrauch. Ironischerweise hat dieses Schicksal 'Franky' nun ein deutlich besseres Bike beschert. Nachdem Johann Zarco Pramac verließ, wurde Morbidelli als Ersatz geholt. Dass er Italiener und Teil der VR46-Academy ist, hat dabei wohl auch geholfen, sind doch die Pramac-Piloten direkt bei Ducati unter Vertrag.
Sein neuer Platz bedeutet Chance und Druck zugleich. Zum einen darf er mit der GP24 das beste Bike im Feld fahren und hat mit Pramac eine nachgewiesene Spitzenmannschaft im Rücken. Zum anderen heißt das aber auch: Ergebnisse sind Pflicht. Niemand wird erwarten, dass er Neu-Teamkollege Jorge Martin schlägt, aber Podestplätze und eventuell sogar der erste Sieg seit der Saison 2020 müssen das Ziel sein, wenn er über 2024 hinaus bleiben will. Für 2025 soll Moto2-Hoffnung Fermin Aldeguer bereits kräftig an die Tür klopfen. Und bei Jorge Martin ist der Pramac-Abschied auch nicht in Stein gemeißelt. Will der Spanier bleiben, dann ist sein Platz sicher. Morbidelli sollte sich möglichst unverzichtbar machen.
Jack Miller: Nurmehr Platzhalter für Acosta oder gar Marquez?
Stark angefangen und dann stark nachgelassen. So lässt sich Jack Millers erstes Jahr bei KTM wohl recht gut beschreiben. Gegen Teamkollege Brad Binder sah der Australier teilweise kein Land. Mit der Karbonrahmen-Innovation aus Mattighofen kam er im Gegensatz zum Südafrikaner und Testfahrer Dani Pedrosa nicht zurecht. In der zweiten Saisonhälfte schaffte er es nur im Regen von Japan in die Top 6, Binder war dort Stammgast.
Vermutlich wäre Millers Platz bei einem anderen Team nicht so stark in Gefahr, zumal er mannschaftsintern sehr beliebt ist. Doch bei KTM stehen möglicherweise gleich zwei absolute Hochkaräter Schlange. Der Erste ist Pedro Acosta. Sollte das KTM-Supertalent im ersten Jahr einschlagen, dann werden die Gedankenspiele schnell in Richtung eines Aufstiegs ins Werksteam gehen, um sich seine Dienste langfristig zu sichern. Der andere Kandidat ist ein noch größerer Brocken. Superstar Marc Marquez hat bekannterweise eine enge Verbindung zu KTMs Hauptsponsor Red Bull. Selbst bei einer guten Leistung 2024 könnte Miller also seinen Platz verlieren.
Joan Mir: Plötzlich in der Leaderrolle bei Honda
2023 hatte Joan Mir wohl noch eine gute Ausrede parat. Wenn selbst Marc Marquez sich auf der Honda derart schwertut und ständig stürzt, dann darf das auch einem weiteren Weltmeister wie Mir passieren, auch wenn die Ergebnisse komplett ernüchternd waren. 2024 wird die Lage anders aussehen. Dann hat Mir immerhin ein Jahr Honda-Erfahrung und muss zwangsläufig gut gegen die Neuzugänge Luca Marini und Johann Zarco aussehen.
Erste vernommene Fortschritte bei der neuen Honda könnten ihm helfen, die Horrorbilanz aus 2023 mit nur 26 Pünktchen vergessen zu machen. Seine Zukunft in der MotoGP wird als ehemaliger Weltmeister nicht in Frage stehen. Sehr wohl aber stellt sich die Frage, ob er ein Spitzenpilot und Teamleader ist, oder 'nur' ein guter Fahrer, der 2020 zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.
Raul Fernandez: Stunde der Wahrheit nach dem Oliveira-Seuchenjahr
Der Teamkollege ist bekanntlich immer der erste Vergleichswert eines MotoGP-Fahrers. Für Raul Fernandez existierte dieser Vergleich aber größtenteils nicht. Miguel Oliveiras Saison war von extrem viel Pech und Verletzungen geprägt. Das wahre Leistungspotential des Portugiesen war kaum zu sehen. Dementsprechend ist auch Fernandez' Saison 2023 etwas schwierig zu bewerten.
Klar ist, dass der Spanier sich zu Beginn mit der RS-GP sehr schwertat, aber im Verlauf des Jahres auch klare Fortschritte zu verzeichnen hatte. Dass die beste Saisonplatzierung mit Rang Fünf im letzten Saisonrennen in Valencia kam, war kein Zufall. Dennoch liest sich die Ergebnisliste am Ende sehr enttäuschend. Fernandez muss 2024 konstant seinen Aufwärtstrend bestätigen. Mit dem Wechsel des Aprilia-Satellitenteams von RNF zu Trackhouse Racing kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor für ihn dazu.
Takaaki Nakagami: Erfahrung und Nationalität allein reicht nicht
Honda hat mit Marc Marquez und Alex Rins gleich zwei Spitzenleute verloren. Da verwundert es nicht, dass sie mit Takaaki Nakagami einen erfahrenen Mann auf der RC213V behielten. Nach 2024 werden die Neuzugänge Luca Marini und Johann Zarco aber die Maschine kennengelernt haben und sich in der Weiterentwicklung einbringen können. Eine wirkliche Notwendigkeit für Nakagamis Weiterverpflichtung bei LCR Honda gibt es dann also wohl nicht mehr. Seine Resultate sind jedenfalls kein Grund für eine Verlängerung.
Bekanntermaßen will Honda einen Japaner in der Königsklasse sehen. Mit Ai Ogura stünde ein schneller Mann aus der Moto2 bereit. Der 22-Jährige wurde 2022 bereits Vizemeister, hatte 2023 aber nach einer Handverletzung im Winter zu kämpfen. Interessanterweise wird er 2024 nicht mehr für das Honda Team Asia, sondern für MT Helmets MSI an den Start gehen. Trotzdem sollte er weiterhin der logische Kandidat für eine mögliche Ablösung Nakagamis sein. 'Taka' sollte also nicht nur mit Erfahrung, sondern auch mit Speed überzeugen.
Jetzt seid ihr gefragt. Wer steht eurer Meinung nach in der MotoGP-Saison 2024 besonders unter Druck? Sagt es uns in den Kommentaren!
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