Packende Duelle, irre Schräglagen, verrückte Geschwindigkeiten - das sind die Gründe, warum Rennwochenende für Rennwochenende zigtausende Menschen an die MotoGP-Strecken pilgern und Millionen mehr rund um den Planeten gebannt auf ihre Fernsehschirme starren. Was sie nicht sehen: Die Kämpfe abseits der Asphaltbänder. Jene in den Büros, die für jeden Grand Prix im Fahrerlager errichtet werden.

Dort schuften Fahrer, Teams, Hersteller, Sponsoren, Verbände und viele weitere Institutionen, um ihre Interessen durchzusetzen. Es ist ein Umfeld, das dem Rennbetrieb auf der Strecke in Sachen Brutalität und Egoismus in nichts nachsteht. Im Jahr 2023 brodelten besonders viele Konflikte hinter den Kulissen. Multiple Konflikte, die aber nicht isoliert zu sehen sind. Viel mehr beeinflussen oder begründen sie sogar einander.

2023 ging es nicht nur auf der Start ordentlich zur Sache, Foto: LAT Images
2023 ging es nicht nur auf der Start ordentlich zur Sache, Foto: LAT Images

KTM und das fünfte Bike zur MotoGP-Saison 2024

Ein volles Starterfeld ist der Traum jeder Rennserie - würde man meinen. MotoGP-Promoter Dorna sieht das aber etwas anders. Jahrelang durfte sich das spanische Unternehmen rund um Carmelo Ezpeleta freuen, die selbst eingezogene Obergrenze von 24 Motorrädern zu erreichen. Mit dem Ausstieg von Suzuki schrumpfte das Feld in der laufenden Saison aber auf 22 Bikes. Zwei Plätze und damit Raum für ein Team sind so aktuell verfügbar.

Eine seltene Gelegenheit, die KTM - oder korrekt die Pierer Mobility Group, wie sich der Dachkonzern nennt, zu dem auch Marken wie GasGas und Husqvarna gehören - im Frühjahr und Sommer 2023 beim Schopf packen wollte. Denn in Mattighofen sah man sich mit einem Luxusproblem konfrontiert. Das aktuelle Fahrer-Line-Up mit Brad Binder, Jack Miller, Pol Espargaro und Augusto Fernandez lieferte durchwegs starke Leistungen ab, zeitgleich drängte aber bereits Pedro Acosta aus der Moto2 in die Königsklasse. Das Supertalent, das in den kleineren WM-Klassen stets in KTM-Farben unterwegs war, wollte man auf keinen Fall an einen Konkurrenten verlieren. Einen derart schmerzlichen Verlust musste man in der Vergangenheit bereits hinnehmen, als Jorge Martin nach zwei Jahren unter KTM-Schirmherrschaft in der Moto2 dem österreichischen Hersteller für die MotoGP absagte und sich stattdessen lieber Ducati anschloss.

KTM hatte 2023 ein Fahrerproblem, Foto: LAT Images
KTM hatte 2023 ein Fahrerproblem, Foto: LAT Images

Eine Ausweitung des eigenen MotoGP-Projekts schien für KTM deshalb die ideale Lösung und so bewarb man sich bei der Dorna um zusätzliche Startplätze für die Saison 2024. Von aktuell vier Maschinen im Werksteam und in der Kundenmannschaft Tech3 wollte man auf fünf Bikes aufstocken. Auch zu einer Erweiterung auf sechs Motorräder wäre man bereit gewesen, da Rennställe mit drei Maschinen laut Reglement nicht mehr erlaubt sind und die Dorna keine Ein-Fahrer-Teams möchte. Anführen sollte die neue Truppe das finnische Urgestein Aki Ajo. Der zeichnet ja seit Jahren für die höchst erfolgreiche Nachwuchsarbeit von KTM in den kleineren Weltmeisterschaftsklasse verantwortlich und wurde so zu einem der angesehensten Teamchefs der gesamten Motorrad-WM.

Die Pläne im Hause KTM hatten also offensichtlich Hand und Fuß, dementsprechend optimistisch war man, die zusätzlichen Startplätze zu erhalten. Wie sicher sich die orange Führungsebene war, zeigt sich daran, dass man für die nächste Saison tatsächlich bereits im Frühsommer 2023 Verträge mit fünf Fahrern eingetütet hatte - das aktuelle Quartett plus Pedro Acosta. Ausgerechnet beim großen KTM-Heimspiel in Spielberg fing sich die Delegation rund um Konzernchef Stefan Pierer und Motorsportboss Pit Beirer aber einen bitteren Korb von Promoter Dorna ein. Zusätzliche Startplätze werde es für KTM nicht geben, stellte Carmelo Ezpeleta klar. Stattdessen wurde von Seiten der Dorna ein Gegenangebot zur Beschwichtigung gestellt: Das aktuelle Kontingent von drei Wildcards pro Hersteller und Saison sollte demnach auf sieben Einsätze erhöht werden, zwischenzeitlich kursierten sogar Gerüchte über eine weitere Aufstockung auf mehr als zehn Wildcards pro Jahr. So sollte sich für KTM die Möglichkeiten bieten, einem Piloten eine Testfahrerrolle mit einer Vielzahl an Renneinsätzen anzubieten.

Kein weiteres MotoGP-Kundenteam: Dorna will nur neuen Hersteller

Als Rechtfertigung für die nicht zugestandenen weiteren Stammfahrerplätze nannte Carmelo Ezpeleta eine Reihe von Gründen. Nummer 1: Die beiden durch den Suzuki-Ausstieg freigewordenen Startplätze seien für einen potenziellen neuen Hersteller reserviert und könnten somit nicht an ein weiteres Kundenteam der Pierer Mobility Group gehen. Dieses wäre zwar vielleicht offiziell unter dem Husqvarna-Banner unterwegs, würde aber wie die GasGas-Tech3-Mannschaft de facto Maschinen vom Typ KTM RC16 einsetzen und wäre so per Definition kein echtes Werksteam.

Ob ein tatsächlicher, neuer Hersteller für die MotoGP wirklich realistisch ist, darf allerdings bezweifelt werden. Für fast alle Unternehmen ist die Königsklasse finanziell eine Nummer zu groß - und Marken wie Kawasaki oder BMW haben in den letzten Jahren wiederholt klargestellt, kein Interesse an einem MotoGP-Einstieg zu haben. BMW erhielt von der Dorna im Vorjahr sogar ein reizvolles Angebot: Die Münchner hätten das bestehende Suzuki-Projekt vollständig übernehmen können und so sowohl auf technischer als auch fahrerischer Ebene auf einem sehr hohen Level beginnen können. Einfacher kann ein Debüt in der MotoGP gar nicht verlaufen. BMW lehnte aber dankend ab. Schwer vorstellbar also, dass hier in absehbarer Zeit noch ernsthaftes Interesse aufkommt.

Kawasaki und BMW sind nicht an einem MotoGP-Einstieg interessiert, Foto: LAT Images
Kawasaki und BMW sind nicht an einem MotoGP-Einstieg interessiert, Foto: LAT Images

Als zweites Argument führte Ezpeleta ins Treffen, dass man eine gewisse Exklusivität in der Zulassung von Kundenteams garantieren wolle. Rennställe wie Tech3, Gresini oder LCR sind ja seit vielen Jahren in der Königsklasse mit dabei. Neuere Mannschaften wie VR46 oder RNF [2024 Trackhouse Racing, Anm.] übernahmen die Startplätze bestehender Teams. Mehr als sechs Kundenteams will die Dorna nicht haben. Auch, weil diese vom Promoter finanziell kräftig unterstützt werden, um langfristig erfolgreich wirtschaften zu können. Eine größere Anzahl an Teams würde also entweder mehr finanziellen Aufwand für die Dorna oder weniger Geld für jeden einzelnen Rennstall bedeuten. Damit wiederum würde man die Teamvereinigung IRTA (International Road-Racing Teams Association) verärgern. "Unsere Idealvorstellung ist es, aktuell 20 statt 22 Motorräder zu haben", stelle Carmelo Ezpeleta zuletzt sogar fest. Die finanzielle Komponente dieses Problems wäre freilich zu beseitigen gewesen. Die Pierer Mobility Group verfügt über ausreichend Budget, um eine weitere MotoGP-Mannschaft auch ohne Beihilfen zu finanzieren. Was bleibt, ist aber das Thema Exklusivität. Wenn man dem österreichischen Hersteller nun mehr Startplätze zugestehe, würden bald auch Forderungen anderer Werke folgen, ist Ezpeleta überzeugt.

KTM sauer: Ernorme Nachwuchsförderung wird nicht wertgeschätzt

Vom Motorsport-Magazin auf diese Äußerungen angesprochen, redet sich der sonst stets besonnene KTM-Motorsportchef Pit Beirer regelrecht in Rage: "Wir versorgen seit 2007 den Red Bull Rookies Cup, um junge Fahrer weiterzuentwickeln. Das kostet richtig viel Geld. Keiner der 30 Fahrer zahlt dort auch nur einen Euro. Man kann im Rookies Cup keine Startplätze kaufen. Es ist kein finanzieller Aufwand nötig und am Ende setzen sich die besten Talente durch. Dann machen wir Moto3. Dann setzen wir sechs Bikes in der Moto2 ein, wo wir Produkte von Kalex zukaufen, um Talente bei uns zu halten und einen Weg gemeinsam weiterzugehen. Natürlich willst du diese Fahrer dann auch in die MotoGP holen. Deshalb sind wir der Meinung, dass unser Projekt einen Platz für Rookies verdient hätte. Es ist ja nicht so, dass das alle Hersteller gleich machen. Yamaha - wo seid ihr denn in der Juniorenarbeit? In der Moto2 fällt euch dann auf, dass da gute Fahrer sind. Es gibt Hersteller, die fahren in der gesamten Weltmeisterschaft mit ein oder zwei Teams. Wir haben 28 Fahrer über drei Klassen verteilt. Deshalb wollen wir uns nicht mit anderen Unternehmen vergleichen lassen. Dann soll jeder so viele Millionen in die Juniorenarbeit investieren wie wir. Dann können sie auch die gleichen Ansprüche stellen."

Tatsächlich sucht das Engagement der Pierer Mobility Group in den Nachwuchsklassen der Motorrad-Weltmeisterschaft seinesgleichen. 18 Fahrer rüstet man in der Moto3 aus, sechs Plätze hat man mit den Teams Red Bull KTM Ajo, GasGas Aspar und Liqui Moly Husqvarna Intact GP in der Moto2 geschaffen. Das ergibt insgesamt 24 Grid-Slots. Ducati und Aprilia leisten in der WM keine Nachwuchsarbeit. Yamaha betreibt zusammen mit der VR46-Struktur von Valentino Rossi einen Moto2-Rennstall mit zwei Plätzen. Honda liefert zehn Moto3-Maschinen und ist mit dem Honda Team Asia ebenfalls in der Moto2 vertreten - zwölf Grid-Slots bedeuten aber auch nur die Hälfte des Aufwands der Pierer Mobility Group.

KTM betreibt ein enormes Talentförderungsprogramm in der Moto3, Foto: LAT Images
KTM betreibt ein enormes Talentförderungsprogramm in der Moto3, Foto: LAT Images

Marc Marquez und KTM? Dorna sagt Nein!

Wie kann es also sein, dass KTM zusätzliche Startplätze versagt bleiben, während Ducati mittlerweile gleich acht Motorräder in der MotoGP einsetzt? Um das zu verstehen, muss man wissen, wie es zu dieser Armada an Maschinen aus Borgo Panigale gekommen ist. Bis zur Saison 2013 setzte auch Ducati nur vier Maschinen ein. Dann entschied sich das Avintia-Team, heute VR46 Racing, für einen Wechsel auf die Desmosedici GP. Und im Vorjahr war es schließlich der Gresini-Rennstall, der sich nach der Trennung von Aprilia dem Ducati-Lager anschloss. Hier wurden also nie neue Startplätze geschaffen. "Da muss man fair sein", findet auch KTM-Boss Pit Beirer. "Sie haben sich eben in einem bestehenden Feld, in dem es immer Angebot und Nachfrage gibt, bedient. Sie hatten ein Bike, einen bestimmten Preis und Teamchefs, die das wollten."

Doch diese Diskussion, ob KTM nun im Vergleich mit Ducati ungerecht behandelt wurde, geht ohnehin am Kern der Sache vorbei. In Wahrheit geht es bei der Verweigerung von zwei weiteren MotoGP-Startplätzen wohl um etwas ganz anderes. Die Dorna will nach dem Suzuki-Ausstieg auf keinen Fall weitere Hersteller verlieren. Genau das musste man aber befürchten, als Yamaha und vor allem Honda im Laufe der Saison in eine noch nie dagewesene Krise rutschten. Zeitgleich kamen Gerüchte auf, KTM könnte bei einer Erweiterung des MotoGP-Projekts auf sechs Maschinen auch Marc Marquez von Honda abwerben. Die österreichische Expansion wäre für Honda somit zum heftigen Nackenschlag geworden. Nicht nur, dass man den erfolgreichsten Motorradfahrer dieser Generation an einen Konkurrenten verloren hätte, man hätte sich zukünftig wohl auch noch hinter zwei weiteren KTM-Maschinen einreihen müssen. Wegbereiter für diesen Honda-Schock zu sein, wollte sich die Dorna sicherlich nicht nachsagen lassen. Und so schob man einem möglichen Marquez-KTM-Deal direkt den Riegel vor, um Honda nicht zu vergrämen. Was uns zum nächsten Punkt bringt.

Neues Concession-System: Zugeständnisse für die Japaner

Honda und Yamaha sind im MotoGP-Entwicklungswettstreit der vergangenen Jahre völlig untergegangen. Die beiden japanischen Riesen, welche die Königsklasse über Dekaden hinweg beinahe nach Belieben dominierten, sind zu hoffnungslosen Nachzüglern geworden. In der Herstellerwertung rangieren sie 2023 abgeschlagen auf den letzten beiden Positionen, mit etwa halb so vielen Punkten wie KTM oder Aprilia und einem Viertel der Ausbeute von Ducati. Und eine Trendwende wirkt aktuell alles andere als wahrscheinlich. Sowohl für Honda als auch Yamaha verlief der Misano-Test Mitte September, bei dem die Einsatzfahrer erstmals Runden auf den 2024er-Prototypen abspulten, ernüchternd. Weder an der Honda RC213V noch an der Yamaha M1 konnten die Piloten echte Fortschritte erkennen. Auch beim Valencia-Test wurden keine sichtlichen Fortschritte erzielt.

Unter dem 2023er-Reglement mit massiv eingeschränkten Testfahrten und geringen Weiterentwicklungsmöglichkeiten während der Saison - im Bereich der Aerodynamik ist nur ein Update erlaubt, an den Motoren darf gar nicht gearbeitet werden - werden die Japaner in absehbarer Zeit den Anschluss an die europäische Konkurrenz nicht finden. Daran hegt im MotoGP-Paddock kaum jemand Zweifel. Promoter Dorna will den einstigen Dominatoren deshalb unter die Arme greifen. Zugeständnisse für strauchelnde Hersteller gibt es in der Königsklasse bereits seit der Saison 2014. In den Genuss dieser wären Honda und Yamaha aber auch 2024 nicht gekommen, weil Alex Rins und Fabio Quartararo in der laufenden Saison in Austin bereits Podiumsplatzierungen für ihre Marken eingefahren haben.

Carmelo Ezpeleta ist der starke Mann in der MotoGP, Foto: LAT Images
Carmelo Ezpeleta ist der starke Mann in der MotoGP, Foto: LAT Images

Carmelo Ezpeleta und Sohn Carlos, als Sportdirektor der MotoGP mittlerweile ebenfalls in einer Führungsrolle bei der Dorna tätig, dachten deshalb laut über eine Neugestaltung des Concession-Reglements nach. "Wir versuchen, Honda und Yamaha bestmöglich zu helfen, so dass sie schneller wieder konkurrenzfähig sind", sagte Carlos Ezpeleta Ende Juni. "Honda und Yamaha waren in der Vergangenheit sehr rücksichtsvoll, was das Concessions-Reglement angeht. Das war wichtig für Ducati, um wieder konkurrenzfähig zu sein. Wichtig für Suzuki, um so schnell erfolgreich zu sein. Und wichtig für KTM und Aprilia, um überhaupt in die MotoGP einzusteigen. Die offizielle Position der Dorna ist daher, dass dieses System erneuert werden muss."

KTM vs. Dorna: Haben 2023 kein Rennen gewonnen, Honda schon

Eine Position, die KTM lange Zeit nicht teilte. Nach der Blockade der Erweiterungsbestrebungen nun auch noch Zugeständnisse für die Konkurrenz akzeptieren zu sollen, ging der Führungsebene in Oberösterreich zu weit. "Yamaha war in den letzten vier Jahren zweimal Vizeweltmeister und einmal Weltmeister. Dieses Jahr haben sie es auch schon auf das Podium geschafft. Honda hat dieses Jahr schon einen Grand Prix gewonnen, wir zum Beispiel nicht. Warum sollten wir das Reglement also ändern, damit sie wieder näher herankommen?", fragte Motorsportchef Beirer im August. "Wir haben vor einigen Entwicklungen in der Klasse gewarnt. Wir haben uns laut gemacht, wir waren gegen die Entwicklungen auf der Aerodynamik-Seite oder Ride-Height-Devices. Das Reglement blieb aber so, wie es war. Wir haben uns unter diesen Bedingungen herangekämpft, investiert und gearbeitet wie die Verrückten. Deshalb haben wir kein Interesse daran, jetzt, wo wir diese Schritte gemacht haben, die Teams hinter uns wieder herankommen zu lassen. Wir werden unseren Platz mit Sicherheit nicht freiwillig räumen und anderen die Tür aufmachen."

KTM verfügte in dieser Angelegenheit tatsächlich über eine gewisse Machtposition. Denn die Concessions-Bestimmungen fallen unter das Technische Reglement der MotoGP und an diesem sind tiefgreifende Veränderungen nicht uneingeschränkt möglich. Um den Herstellern eine gewisse Planungssicherheit zu geben, sind Anpassungen nur mit Beginn einer neuen Fünfjahresperiode vorgesehen. Dazu kommt es erst wieder in der Saison 2027. Soll das Reglement während einer Fünfjahresperiode geändert werden, bedarf es der Zustimmung aller Werke. So sieht es ein Abkommen der Hersteller und ihres Bündnisses MSMA (Motorcycle Sports Manufacturers Association) mit Promoter Dorna vor. Das Team rund um Carmelo Ezpeleta schien aber bereit, sich über dieses Abkommen hinwegzusetzen: "Es wird Änderungen geben. Theoretisch sollen technische Änderungen innerhalb einer Fünfjahresperiode nur einstimmig beschlossen werden. Wenn es aber zu keiner Einstimmigkeit kommt, dann werden wir eben mit einem Mehrheitsprinzip arbeiten müssen." Die zweite Ohrfeige für KTM bahnte sich also an - und auch eine dritte konnte noch folgen.

Neues Reglement 2027: Weniger Hubraum für die MotoGP?

Mit dem Start der neuen Regelperiode 2027 will die MotoGP ihre technischen Rahmenbedingungen gründlich überarbeiten. Bis Ende 2023 wollte man sich auf das neue Reglement einigen, um den Herstellern ausreichend Vorlaufzeit zu geben. Eine massive Beschneidung von aerodynamischen Anbauten sowie ein Verbot der Ride-Height-Devices gelten als so gut wie beschlossen. Im Herbst 2023 brachte Promoter Dorna aber noch ein neues Thema auf das Tableau: Der maximal erlaubte Hubraum der Königsklasse soll von 1.000 auf 850 Kubikzentimeter verringert werden.

In einer Zeit, in der die MotoGP-Raketen mit immer höheren Topspeeds zunehmend für Sicherheitsbedenken sorgen, wirkt dieser Vorstoß auf den ersten Blick wie ein Versuch, diese gefährliche Entwicklung zu stoppen. Ob dieser von Erfolg gekrönt sein würde, darf aber bezweifelt werden. Denn vor dem aktuellen 1000ccm-Reglement fuhr die MotoGP mit 800ccm-Triebwerken und erwirkte dadurch kein Sicherheitsplus. In puncto Topspeed und Beschleunigung waren die 800er zwar deutlich langsamer als die 990er vor und die 1000er nach ihnen, allerdings erzielten die kleineren und leichteren Maschinen gewaltige Kurvengeschwindigkeiten. Außerdem waren ihre hochdrehenden Motoren schwer zu kontrollieren, was zu einigen der schlimmsten Highsider der MotoGP-Geschichte führte. Als die 800er nach fünf Jahren Ende 2011 eingestampft wurden, trauerte ihnen kaum jemand hinterher.

Die 800er-MotoGP-Bikes wurden Ende 2011 eingestampft, Foto: Milagro
Die 800er-MotoGP-Bikes wurden Ende 2011 eingestampft, Foto: Milagro

Neue Motorenformel soll MotoGP-Einstieg für neue Hersteller erleichtern

Nun will die Dorna also eine Rückkehr in einen ähnlichen Hubraumbereich. Eine durchaus kurios anmutende Strategie, blieb die 800ccm-Ära schließlich auch nicht durch großartiges Racing in Erinnerung. Die Dorna verfolgt hier aber wohl andere Ziele. Aktuell ist ein MotoGP-Einstieg für einen neuen Hersteller praktisch undenkbar. Zu groß wäre der Aufholbedarf gegenüber der Konkurrenz in Bereichen wie der Aerodynamik oder den Ride-Height-Devices. Dieser wird zur neuen Regelperiode 2027 voraussichtlich verschwinden. Würde man dann weiterhin auf 1000ccm-Triebwerke setzen, würde jeder Neuling dennoch seine ersten MotoGP-Schritte unter einem Motorenreglement machen, das Werke wie Ducati, Honda oder Yamaha bereits seit 15 Jahren kennen. Aprilia kommt auf zwölf Saisons Erfahrung, KTM auf zehn. Wechselt man hingegen die Motorenformel, beginnen alle Hersteller mehr oder weniger bei null. Eine bessere Perspektive kann man potenziellen Neueinsteigern nicht bieten. Ein möglicher Wechsel auf 850ccm-Motoren kann also als Lockruf der Dorna in Richtung aller nicht in der MotoGP involvierten Werke betrachtet werden. Ob es zu dieser Umstellung kommt, ist aber noch fraglich. Ducati, Honda und Yamaha sollen dafür sein, KTM und Aprilia dagegen.

MotoGP bald mit 850ccm? Lockruf an neue Hersteller (05:42 Min.)

Es zeigt sich also: Politische Entscheidungen in der MotoGP sind selten so eindimensional und simpel, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Unterschiedlichste Interessengruppen versuchen, ihre Anliegen durchzubringen. Dass dabei manche von ihnen auf der Strecke bleiben, ist Teil des Spiels. Ein neues Concession-Reglement wurde Ende November 2023 trotzdem vorgestellt - mit der Zustimmung KTMs, obwohl man ursprünglich einmal dagegen war.

Dieser Artikel über die politischen Kämpfe der MotoGP wurde ursprünglich in Ausgabe 93 unseres Print-Magazins veröffentlicht. Auf den Geschmack gekommen? Hier kannst du dir unser neuestes Heft sichern!