Lando Norris hat beim vergangenen Formel-1-Wochenende in Saudi-Arabien seine WM-Führung verloren und sieht im Moment seine Felle gegen McLaren-Teamkollege Oscar Piastri davonschwimmen. Der Australier ist ähnlich schnell wie er, aber im Unterschied zu Norris begeht er nur sehr selten Fehler und scheint den zunehmenden WM-Druck kühl an sich abtropfen zu lassen.

Norris hingegen bringt seine Schwächen offen zur Sprache und geizt nicht mit Selbstkritik. Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner bezweifelt, ob das so eine gute Idee ist: "Dass er sich selbst geißelt, dafür habe ich allergrößtes Verständnis. Das darf er schon machen. Die Frage ist nur, ob ich unbedingt meinen Gegnern meine schwachen Seiten in aller Öffentlichkeit zeigen muss", so Danner.

Lando Norris zu offen? Danner: Über die Konsequenzen muss er sich im Klaren sein

"Die Tatsache, dass er Gefühle zeigt, ist vollkommen in Ordnung, nur über die Konsequenzen muss man sich im Klaren sein", sagt Danner weiter. "Im direkten Zweikampf gegen den Teamkollegen oder gegen jemand anderen, da gebe ich mir [mit diesem Verhalten] eine offene Flanke. Und da würde ich selbstkritisch sein, aber ich würde das nicht so in aller Öffentlichkeit zeigen", rät der ehemalige Formel-1-Fahrer dem McLaren-Piloten.

Die Kritik an Norris kommt nicht nur von Danner, auch viele andere Beobachter des Paddocks, darunter ehemalige Formel-1-Piloten, blicken derzeit kritisch auf den amtierenden Vize-Weltmeister. Auf der Strecke hat sich Norris in Jeddah auch keinen Gefallen getan. Im Qualifying unterlief ihn ein Fehler - nicht der erste in dieser Saison - der in einem Unfall resultierte. Doch auch im Rennen agierte er nicht so souverän, wie er könnte, meint Danner.

Das ist Rennintelligenz: Was Norris gegen Hamilton falsch gemacht hat

Der Deutsche hebt eine Aktion besonders hervor, nämlich den Zweikampf mit Lewis Hamilton. In diesem ließ ihn der Rekord-Champion zweimal in Folge in der letzten Kurve ohne Gegenwehr passieren, nur um anschließend mit dem DRS-Vorteil die Position wieder zurückzugewinnen. Der Messpunkt des Klappflügels befindet sich nämlich erst nach der Kurve 27. Danner nannte das ein "tragisches Beispiel. "

"Da hat er sich zweimal auskontern lassen. Da gehört schon was dazu. Wenn du die DRS-Activation-Point-Thematik nicht auf dem Schirm hast, dann hast du quasi in der Vorbereitung etwas falsch gemacht, denn man geht um die Strecke und schaut sich im Briefing natürlich an, wo auf der Strecke das DRS aktiviert wird, wie lange das geht und wann der nächste Punkt ist", erklärte Danner den dahinterliegenden Fehler, den Norris begangen hatte.

"Da hat er sich wirklich nicht sehr clever verhalten", ist Danner überzeugt und betonte, dass diese Details den Unterschied machen können: "Das sind Dinge, die haben nicht etwa etwas mit Arschloch-Gen zu tun. Das ist Renninstinkt und Rennintelligenz. Das sind die Sachen, die große Fahrer immer im Blick gehabt haben."

Durch den verlängerten Zweikampf im Kampf um P6 mit Hamilton verlor Norris etwa zwei bis drei Sekunden auf die fünf Fahrer an der Spitze. Zeitverlust, der sich rächte, denn das Formel-1-Rennen beendete der Brite nur etwa eine Sekunde hinter Charles Leclerc auf dem vierten Platz. Danner ist überzeugt davon, dass ihm das ein Podium kostete: "Wenn er beim ersten Mal an Hamilton vorbeigekommen wäre, dann hätte er auf jeden Fall den Leclerc noch erwischt."

Norris' Teamkollege Oscar Piastri traf etwas später im Rennen ebenfalls auf Hamilton und überholte ihn mit einem waghalsigen Manöver vor Kurve 22. Der Ferrari-Pilot bog anschließend an die Box ab. "Piastri hat da gar nicht rumgetan. Der wusste genau, was das ist, und der hat einfach woanders überholt. Mit einem haarigen, aber auch ziemlich guten Manöver", sagt Danner zu dieser Situation. Als Kontext muss aber auch dazugesagt werden, dass die Ausgangslage eine etwas andere war: Piastri war zu diesem Zeitpunkt mit deutlich frischeren Reifen bestückt, während es im Duell zwischen Hamilton und Norris kein Reifen-Delta gab.

Obwohl das Pendel in der Formel-1-WM in den letzten Wochen klar in die Gegenrichtung ausgeschlagen hat, ist für Lando Norris in der Meisterschaft natürlich noch lange nichts verloren. Er liegt derzeit nur zehn Zähler hinter Piastri, während auch Verstappen mit zwei weiteren Punkten Rückstand den beiden dicht auf den Fersen ist.

Was Christian Danner sonst noch zum Saudi-Arabien-GP zu sagen hat, könnt ihr in der aktuellen Ausgabe des AvD Motorsport-Magazins nachschauen und -hören.

Fehlt Lando Norris die Killermentalität? Danner: Crash-Gefahr! (34:36 Min.)