Zu Beginn der Formel-1-Saison 2024 hatten einige das Bedürfnis, die Weltmeisterschaft nach einem Sieg von Max Verstappen mit 22,457 Sekunden Vorsprung in Bahrain bereits abzuschreiben. Es sollte Verstappens dominantester Sieg des Jahres bleiben. Nach der Sommerpause dreht sich das Bild: Lando Norris' Zandvoort-Triumpf mit 22,896 Sekunden war sogar noch deutlicher. So deutlich, dass sich die Fragen nun ins Gegenteil verkehren.
Lange wurden Norris zuletzt nur Außenseiter-Chancen in der Fahrer-WM eingeräumt. Der Niederlande-GP lässt die ersten ihre Meinungen trotz Verstappens 70 Punkten Vorsprung revidieren. Erst recht, da Red Bull auffällig schlecht war und McLaren eigentlich einen Doppelsieg hätte feiern müssen, wie die Renn-Analyse zeigt. Sie zeigt aber auch: Was für die Bahrain-Dominanz galt, gilt auch für die in Zandvoort. Sie ist übertrieben.
McLaren stolpert über Start & Ferrari: Doppelsieg hätte sein müssen
Die Überraschung bei McLaren schlägt nach dem Rennen tatsächlich in beide Seiten aus. Zum einen rechnete man nicht mit 22,896 Sekunden Vorsprung und mit einem Norris, der Verstappen trotz schlechtem Start nach nur 18 Runden locker auf der Strecke überholen und davonfahren konnte. Zum anderen rechnete man genauso wenig im Rennen mit Ferrari.
Auf dem Papier, und den Rundenzeiten nach, hätte Oscar Piastri einen Doppelsieg klarmachen müssen. In freier Fahrt ließ er zweimal sein Potenzial aufblitzen. Zwar war er nicht so schnell wie Norris - als er in Runde 26 loslegte, kam er nicht auf dessen Niveau herunter. Aber nach seinem Boxenstopp war er erst einmal schnellster Mann der Spitzengruppe. Doch er fiel am Start von Platz drei auf vier zurück. Die Misere begann.
Beim ersten Boxenstopp exekutierten aggressive Ferrari-Strategen mit Charles Leclerc einen Undercut gegen Piastri und drängten ihn bis auf Platz fünf zurück. Mit einem späteren Wechsel und neun Runden frischeren Reifen versuchte McLaren daraufhin einen bei freier Fahrt auf mehrere Zehntel zu schätzenden Pace-Vorteil auszuspielen. Piastri konnte sich erfolgreich Platz vier vom Mercedes von George Russell holen, der am Start an ihm vorbeigegangen war.
Langsamer Red Bull leichteres Opfer für McLaren - Ferrari nicht
Als Piastri dann genauso schnell zu Leclerc aufschloss, begann selbst Red Bull zu fürchten, dass er Verstappen noch einholen könnte. Doch hinter Leclerc verpuffte die Piastri-Challenge. Das lag zum einen daran, dass Ferrari im Rennen überraschend schnell war. Der Reifeabbau war niedrig, der SF-24 verlor nur wenig Grip relativ zum McLaren.
Zum anderen hatte Ferrari ein ähnliches Abtriebsniveau wie McLaren gewählt. Auf dem kurvigen, überholfeindlichen Zandvoort-Kurs hatte Piastri nie genug Überschuss aus der letzten Kurve heraus für einen Angriff. Damit hob sich der SF-24 vom RB20 ab. Der von Verstappen hatte einen Monaco-Flügel montiert und war auf den Geraden hoffnungslos langsam.
Topspeed-Werte im Qualifying von Zandvoort:
Fahrer | km/h vor T1 | km/h S1 | km/h S2 |
---|---|---|---|
Perez | 335,8 | 294,4 | 287,0 |
Russell | 335,5 | 290,8 | 284,0 |
Hamilton | 334,4 | 289,0 | 282,1 |
Leclerc | 333,5 | 290,6 | 282,9 |
Piastri | 332,9 | 290,7 | 283,6 |
Sainz | 331,5 | 291,8 | 283,4 |
Norris | 330,3 | 289,6 | 285,9 |
Verstappen | 329,7 | 288,6 | 281,9 |
Deshalb kam Norris so einfach an Verstappen vorbei, Piastri aber nicht an Leclerc. "Hätten wir die Plätze am Start nicht verloren, wäre es ein anderes Rennen gewesen", sagt McLaren-Teamchef Andrea Stella. "Oscar hatte die Pace, um Max zu schlagen. Eine signifikante verpasste Chance." Auch wenn nicht klar ist, wie stark Verstappen rausnahm, nachdem er erkannte, gegen Norris keine Chance zu haben. "Das wichtigste, das haben wir besprochen, war den Rest des Feldes zu schlagen", bestätigt Red-Bull-Teamchef Christian Horner.
Red Bull macht Auto unnötig schlecht: Verstappen mit falschen Teilen
Fakt ist trotzdem, dass die WM-Führenden momentan etwas verloren sind. Beide Autos wurden in stark unterschiedlichen Aero-Konfigurationen aufgebaut. Verstappen setzte auf einen älteren Unterboden, dafür auf den Monaco-Heckflügel.
"Ein bisschen ein Risiko", so Horner. Red Bull ging von mehr Reifenabbau im Rennen aus, doch der war fast nicht vorhanden. Das Fazit war ernüchternd: Selbst mit viel mehr Abtrieb verheizte der RB20 die Reifen stärker als der MCL38. Verstappen hatte vom Start weg eine schlechte Balance, zu viel Untersteuern, ein permanent stumpfes Gefühl: "Es ist einfach keine verbundene Balance, vorne oder hinten."
"Ich denke, es war klar, dass Checos Paket das bessere der beiden war", analysiert Horner. Verstappen und Sergio Perez fuhren im zweiten Stint ähnlich schnell. Beide waren im Schnitt zwei Zehntel langsamer als Carlos Sainz, und vier Zehntel langsamer als Norris. Der seinerseits die Pace aber so stark gemanagt hatte, dass er im letzten Umlauf auf uralten Hard-Reifen noch die schnellste Runde fahren konnte. Das zeigt, dass er noch Luft nach oben hatte.
McLaren mit Update jetzt unschlagbar? Zandvoort verfälscht das Bild
Spätestens nach der schnellsten Runde muss also die Frage gestellt werden, ob Red Bull wirklich in Schieflage gerät. "Es ist sehr schwer festzustellen, was das momentan auslöst", weiß Verstappen keine Antworten. Horner hofft: "Das Fahrer-Feedback von den unterschiedlichen Abstimmungen war sehr gut. Das gibt unseren Ingenieuren hoffentlich jetzt eine echte Richtung."
Die Lücke zu McLaren wurde weiters von den Umständen in Zandvoort künstlich aufgeblasen. Natürlich brachte das Team endlich das zweite größere Update. Größer, aber nicht gigantisch - eine Evolution. Die Fahrer berichteten keinen Unterschied beim Gefühl. Die Auswirkungen sind zwar vorhanden, aber sicher keine halbe Sekunde pro Runde. Kühles Wetter und die Strecke halfen viel mehr.
"Auf Strecken dieser Art können wir zuversichtlich sein, dass wir gut aussehen, mit viel Abtrieb, langen Kurven", so Andrea Stella. Auch wenn es doch eine zusätzliche nennenswerte Update-Komponente gibt, nämlich den Heckflügel. Anders als Red Bull brachte McLaren einen neuen Heckflügel nach Zandvoort, der für diesen Streckentypus perfekt sein soll.
15 verschiedene Heckflügel und Beam Wings hatte das sonst bislang sehr Update-arme Team bereits im Einsatz. Keine andere Mannschaft baut hier so viel. "Wir haben alle Heckflügel-Familien auf ein neueres Konzept geupdatet", erklärt Stella nach dem Rennen. Das soll effizienter sein. "Hier hatten wir das neue, adaptiert für das Flügel-Niveau von Zandvoort oder Ungarn."
Aber das bezieht sich wieder auf diesen speziellen Streckentypus. Stella sperrt sich schlussendlich dagegen, dass McLaren jetzt ein übermächtiges Auto habe: "Wir denken, dass das Auto in seiner aktuellen Konfiguration nicht ausreichend ist, um bei jedem Rennen das beste zu sein. Daher planen wir mit weiteren Upgrades vor Saisonende." Besonders auf Kursen mit sehr schnellen Kurven sieht sich McLaren weiter hinter Red Bull.
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