Bereits im Vorjahr begann sich bei den Boxenstopps in der Formel 1 ein Trend abzuzeichnen. Im Zuge eines immer härteren Wettrüstens der Teams sind Reifenwechsel auf Kurs, trotz wiederholtem Einbremsen schneller denn je zu sein. 2024 bestätigt das mit atemberaubenden Stopps. Aber auch mit einer klaren Warnung.

Klar ist nunmehr, dass Boxenstopps Investitionen verlangen. Wer das nicht tut, der verliert bei jedem Reifenwechsel inzwischen eine Sekunde. Das stellte Mercedes im Vorjahr fest. Dort hatte man den Bereich in den letzten Jahren vernachlässigt, während Red Bull, Ferrari und McLaren vorangeprescht waren.

Boxenstopp-Wettrüsten hat Formel 1 2024 fest im Griff

Denn Boxenstopps sind ein breites Feld. Man kann mit Designs von Schlagschraubern, Muttern, Wagenheber, und mit dem Training von Mechanikern überall ein bisschen Zeit gewinnen. In Summe läppert sich das. Erst recht seitdem Regeln den Prozess einbremsen wollen, und seit die Auto- und Felgen-Designs 2022 ihn deutlich schwerer machen.

Alle Teams sind inzwischen auf das Entwicklungsrennen eingestiegen. Ob es sich jetzt um das Equipment handelt, oder um Prozesse. Mehrere Kameras vor der Box zeichnen jeden Boxenstopp aus allen Winkeln auf, um die Handgriffe der Mechaniker zu analysieren. Freitags vor jedem FP1 wird in der Boxengasse trainiert. Auch das ist etwa ein Problem. Es gibt keine Stopp-Spezialisten - alle haben auch andere Jobs. Aufgrund des so vollen Kalenders ist ihre Trainings-Zeit stark beschränkt.

Die Gesamt-Tabelle aller in 0,5-Sekunden-Schritten gruppierten regulären Stopps (ohne Strafen und Reparaturen) sorgt 2024 aber ausgerechnet am negativen Ende für eine Auffälligkeit. Nicht besonders überraschend für alle, die dieses Jahr die Formel 1 verfolgen. Unglaubliche 42 Prozent aller Sauber-Stopps, das sind 21 Reifenwechsel, dauerten über 3,5 Sekunden. Das ist jener Wert, der generell als Grenze zu "grob fehlerhaft" gilt.

Sauber erlebt mit Boxen-Upgrade ein kurzes Desaster

Das halbe F1-Feld hat in dieser Fehler-Kategorie weniger als fünf Stopps. Was ist bei Sauber schiefgegangen? Tatsächlich ist es der Einstieg in das Wettrüsten. In den Vorjahren waren die Hinwiler für Stopps bekannt, die nicht besonders schnell waren, und obendrauf unberechenbar. Neues Equipment sollte das 2024 beheben.

Es passierte, was im Motorsport immer wieder einmal passiert. Unter Einsatzbedingungen funktionierte ein neues Design nicht. Das materialisierte sich in der Gefahr, dass sich die Mutter beim Aufsetzen verkantete. Um kurzfristig gegenzusteuern, versuchte man die Stopp-Prozesse zu verlangsamen, was nur die "guten" Stopps länger dauern ließ, nicht aber das Problem eliminierte. Erst ein Technik-Update für Muttern und Naben in Imola schaffte Abhilfe. Davor gab es vier Boxenstopps von über 20 Sekunden.

Stopps über 10 Sekunden kommen gelegentlich vor. Dass ein Stopp ohne Strafe oder Reparatur über 20 Sekunden dauern könnte, ist aber eigentlich absurd. Seit 2018 sind genau drei weitere davon erfasst. Valtteri Bottas 2020 in Sakhir, als Mercedes bei einem Doppel-Stopp die Reifen der eigenen Fahrer vertauschte. Und Antonio Giovinazzi 2019 in Mexiko, als Sauber ihn beinahe mit drei Reifen auf die Strecke schickte und zurückpfeifen musste.

Interessanterweise stammt der dritte Stopp aus dem Jahr 2024. Und er ist ein bitterer für die sonst eigentlich richtig stark stoppenden Racing Bulls, die sich damit den Gesamt-Jahresschnitt zunichtemachen. Bei einem Doppel-Stopp unter Safety Car bekam man in Saudi-Arabien den Wechsel bei Daniel Ricciardo nicht auf die Reihe, er stand 41,61 Sekunden.

Ohne diesen Stopp wäre man drittbestes Team im Jahres-Schnitt. Mit 86 Prozent unter 3 Sekunden war man auf Ferrari-Niveau (87 Prozent) und nur knapp hinter Red Bull. So lohnt sich ein Vergleich der Jahres-Schnitte mit und ohne Stopps über 4,5 Sekunden, um komplette Chaos-Aktionen auszublenden, bei denen mehr als nur ein kleiner Fehler passierte.

Kann Ferrari bald Red Bull in den Boxen fordern?

Am vorderen Ende beider Tabellen ist Red Bull natürlich gesetzt, seit Jahren. 92 Prozent aller Stopps dauern hier 3 Sekunden oder weniger. Das ist noch präziser als im Vorjahr. Der Mythos, dass die Änderungen von 2021 und 2022 die Stopps permanent langsamer machen würden, kann endgültig zu den Akten gelegt werden.

Nur zwei Pleiten-Stopps über 5 Sekunden halten Red Bull nämlich noch zurück. Selbst mit denen ist die durchschnittliche Standzeit die zweitbeste seit 2018. Man muss nur die Fehlgriffe minimieren, dann ist es durchaus möglich, mit einer sauberen zweiten Saisonhälfte den eigenen Rekord für den besten Jahresschnitt zu brechen. Der stammt aus 2020 und beträgt 2,43 Sekunden. Der Sommer-Schnitt 2024 liegt bei 2,52.

Aber Verbesserungen sind durch die Bank gängig. Tatsächlich führt Red Bull nicht alle Wertungen an. Dass sie im 'DHL Fastest Pit Stop Award' des Serien-Sponsors DHL mit 174 Punkten Vorsprung Ferrari enteilt sind sagt nicht alles. Hier wird die Regelmäßigkeit der Top-Zeiten belohnt. Denn es werden nach WM-System Punkte für die Top-10 vergeben. Bei oft vier Stopps in einem Rennen ist das nicht allzu schwer. Schlechte Stopps tauchen in dieser Wertung nicht auf.

P.TeamPoints
1Red Bull409
2Ferrari235
3Mercedes179
4McLaren169
5Racing Bulls138
6Alpine121
7Aston Martin81
8Sauber31
9Haas20
10Williams18

Ferrari hat aber die geringste Fehlerquote des Jahres. Nur bei einem regulären Stopp stand ein SF-24 länger als 3,5 Sekunden. Obwohl die Scuderia schon länger schnell ist, konnte sie durch das Ausräumen von Fehlern den Jahres-Schnitt um weitere 0,45 Sekunden drücken. Noch mehr holte nur Haas auf - aber dort ist man auch seit Jahren massiv langsamer und hat viel mehr Aufhol-Potenzial. In jenen Sphären, in denen Ferrari sich bewegt, ist die Luft viel dünner.

Mercedes erwacht und kickt McLaren im Ranking zurück

Zwar sahen wir 2024 auch schon 6 Stopps unter 2 Sekunden, aber keinen neuen Weltrekord. Was ist eigentlich mit den Rekordhaltern McLaren los? Red Bull und Ferrari zeigen schließlich, dass Verbesserungen (und Stopps unter 2 Sekunden) möglich sind. Tatsächlich hat sich auch McLaren verbessert. Aber anders als die direkten Gegner hat das Team es auch 2024 nicht geschafft, eine unangenehme Tendenz abzulegen.

P.TeamFahrerRennenZeit
1Red BullVerstappenChina1,90
2Red BullVerstappenSpanien1,92
3FerrariLeclercMiami1,94
4Red BullPerezMiami1,95
5FerrariLeclercÖsterreich1,95
6Red BullVerstappenGroßbritannien1,99
7Red BullPerezChina2,00
8Red BullPerezSpanien2,00
9Red BullPerezGroßbritannien2,00
10Racing BullsRicciardoUngarn2,01
WeltrekordMcLarenNorrisKatar 20231,80

Anders als Ferrari - wo kleinere Fehlgriffe inzwischen unter 3,5 Sekunden abgefangen werden - ist McLaren anfällig dafür, mehr Zeit zu verlieren. Man hat sich hier insofern verbessert, dass man beständiger unter 3 Sekunden stoppt - und deshalb die Fehlerspanne aus dem 4-Sekunden-Bereich in den 3-Sekunden-Bereich gerückt hat. Aber im Fehlerbereich gibt es trotzdem sieben Stopps - gegen einen bei Ferrari, und zwei bei Red Bull. Die Fahrer halfen nicht. Einmal fuhr Lando Norris zu schnell auf den Standplatz (Silverstone - 3,77), einmal Oscar Piastri (Spa - 4,43). Auch die Rolle der Piloten darf nicht vergessen werden.

So zieht jetzt auch Mercedes vorbei. Nach dem verschlafenen Einstieg in das Wettrüsten hat das Team über den Winter einen riesigen Schritt gemacht. Was beeindruckt: Andere zeigten in der Vergangenheit, dass neue Prozesse und neues Equipment oft in einer kurzfristig ansteigenden Fehlerquote resultieren. Mit nur 8 Prozent über 3,5 hat sich Mercedes jedoch relativ zum Vorjahr (6 Prozent) nur unwesentlich verschlechtert.

Im Gegenzug stoppt man nach nur einem Jahr Arbeit jetzt schon wieder besser als McLaren, und reiht sich effektiv hinter Red Bull, Ferrari und den Racing Bulls als vierte Kraft an den Boxen ein. Und die Vergangenheit zeigt, dass die Erfahrung mit den neuen Prozessen die Stopps nur schneller machen wird.

Für Sauber gibt es einen kleinen versöhnlichen Abschluss in all diesen Statistiken. Seit Imola hat sich die Lage beruhigt. Nimmt man also alle Pleiten-Stopps über 4,5 Sekunden aus, dann ist der Wert bereits besser als der von Haas. Dort hat man zum zweiten Jahr in Folge klare Fortschritte gemacht, aber als ressourcenarmer Hinterbänkler scheint man (mit Williams zusammen) nicht mehr in der Lage, im Wettrüsten mitzumischen.

10 F1-Brennpunkte: Perez & Ricciardo raus? Verstappen weg? (25:13 Min.)