Nächste Woche geht es mit der Formel 1 in Zandvoort weiter. Dort treten McLaren und Red Bull erstmals seit Spa wieder gegeneinander an. In der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft wird es immer enger. Doch es hätte noch enger sein können. Der McLaren MCL38 scheint zwar teils schon das schnellste Auto, doch McLaren ist operativ nicht das beste Team. Motorsport-Magazin.com nimmt den WM-Herausforderer genau unter die Lupe.

Ziel vs. Realität:
Seit dem Österreich Grand Prix 2023 befindet sich McLaren ganz klar auf dem aufsteigenden Ast. Zum Vergleich: Zu Beginn der Saison 2023 kämpften die Papayas noch mit Williams. Spätestens seit dem Miami Grand Prix 2024 ist Red Bull der neue Gegner. Doch erwartet haben das bei McLaren wohl die wenigsten. Den Status Quo von 2023 wollte man halten. Die zweite Kraft hinter Red Bull. Dass die Bullen das Maß aller Dinge sein würden, erwarteten die Papayas ohnehin.

Doch so kam es nicht. Nach einem eher durchwachsenen Saisonstart, nach dem es zwischenzeitlich so aussah, als hätte man die Verfolgerrolle sogar Ferrari übergeben, fing sich McLaren. Spätestens ab den Rennen in Miami und Imola war klar: Red Bull ist nicht mehr außer Reichweite. Die Erwartungen zu Saisonbeginn haben die Papayas damit definitiv übertroffen. Aber mit den Erfolgserlebnissen innerhalb der Saison änderte sich auch die Erwartungshaltung. Der Konstrukteurs-Titel ist nicht mehr nur ein Traum.

Entwicklung 2024:
Die Entwicklung des Autos verlief wie schon erwähnt seit dem Österreich Grand Prix 2023 rapide. Mit einem damals dreiteiligen Paket hievte McLaren den eigenen Boliden auf das Niveau der Konkurrenz rund um Mercedes und Ferrari. Auf manchen Strecken sogar darüber. 2024 wirkte zunächst wie ein Rückschritt. Ferrari war die zweite Kraft, und profitierte vom Ausfall Max Verstappens in Australien prompt mit einem Doppelsieg.

McLarens Zeit folgte ein paar Rennen darauf. Und zwar mit einem Mega-Update in Miami. Die Papayas bauten nahezu das gesamte Auto um. Nahezu an jedem Teil des Autos wurde etwas verändert, abgesehen vom Heckflügel. Die Erwartungen seitens Andrea Stella und Co. waren daher hoch. Doch nicht beide McLaren bekamen direkt alle Teile, sondern nur Lando Norris. Piastri musste sich mit einem Auszug der Teile zufrieden geben.

Trotzdem ließ er Max Verstappen in Miami nie vollends davon ziehen. Ein spätes Safety-Car hievte Lando Norris dann an die Spitze des Feldes, und der Rest ist Geschichte. Seither ließ McLaren nicht mehr locker und stellte oft sogar das schnellste Auto im Feld. Stand jetzt es sind es 27 Performance-verbessernde Updates, die die Papayas an den MCL38 schraubten.

McLaren vergibt viele Highlight-Chancen

Höhepunkt 2024: Ungarn 2024
Emotional dürfte wohl der Miami Grand Prix mit dem ersten Sieg von Lando Norris das Highlight des Traditionsrennstalls gewesen sein. Doch was die Performance angeht, war der Ungarn Grand Prix das klare Highlight. Abgesehen vom ersten freien Training entschied ein McLaren jede einzelne Session für sich. Um genau zu sein, Lando Norris. Der Brite wurde abgesehen von FP1 in jeder Session erster, außer im Rennen. Oscar Piastri packte sich seinen Teamkollegen direkt am Start, und trotz heiß diskutierter Teamorder: So dominant wie in Ungarn, war McLaren dieses Jahr noch nirgendwo.

Tiefpunkt 2024: Großbritannien Grand Prix
Zu Beginn der Saison gab es anhand der reinen Performance des Autos betrachtet sicherlich schwächere Rennen als das in Silverstone. Doch das Heimrennen des Traditionsrennstalls ist ein Paradebeispiel für die noch nicht ausgereifte Strategie-Abteilung von McLaren. Gleich zwei Siegchancen schmiss das Team bei wechselhaften Bedingungen weg.

Zum einen als das Team Lando Norris mit Soft-Reifen statt frischer Mediums im letzten Stint ausstattete. Zum anderen als die Box dem schnelleren Oscar Piastri befahl bei Slick-Bedingungen eine weitere Runde auf Intermediates draußen zu bleiben. Der Australier verlor nahezu einen Boxenstopp an Zeit - und damit jegliche Siegchance. Statt einem Sieg musste Lando Norris sich mit Platz drei und Oscar Piastri sich mit Platz vier begnügen.

Lando Norris und Oscar Piastri: Schnell, aber nicht fehlerfrei

Lando Norris
WM: 2. Platz (199 Punkte)
Note im MSM-Ranking: 1,94 (2. Platz)
Doch nicht nur das Team war bisher geplagt von Fehlern. Insbesondere Lando Norris zeigte immer wieder Nervenschwächen. Vor allem am Start. Alle Starts zusammen gerechnet, kommt der Brite auf eine verheerende Statistik von 26 verlorenen Positionen. So verlor er schon eigentlich sichere Rennsiege in Ungarn und Spanien. Doch die Starts sind nicht das einzige Problem. Auch im Kampf mit Max Verstappen zeigte der Brite nerven.

Schon im Sprint, als er sich trotz eigentlich schon geglücktem Überholmanöver und DRS in Kurve vier hinein wieder von Verstappen abkochen ließ und einen Tag später im Rennen, als er mit zahlreichen sehr späten Bremsmanövern versuchte, sich mit purer Gewalt an Verstappen vorbeizudrücken – erfolglos. In Puncto Erfahrung im Titelkampf fehlt Norris noch die nötige Erfahrung und Fehlerlosigkeit. Zumindest die Fehler muss er in der zweiten Saisonhälfte abstellen, wenn er noch eine Außenseiter-Chance auf den Titel haben will.

Oscar Piastri
WM: 4. Platz (167 Punkte)
Note im MSM-Ranking: 2,30 (3. Platz)
Oscar Piastri scheint das Gegenteil von Lando Norris zu sein. Nervenschwächen zeigt er kaum, entsprechend macht er auch weniger offensichtliche Fehler. Doch dem Australier fehlt im Vergleich zu Norris noch die rohe Geschwindigkeit, besonders im Rennen. Dort steht es im teaminternen Vergleich 9 zu 5 für Norris. Auch hier muss relativiert werden: Es ist erst Piastris zweite Saison, auf der Höhe seines Schaffens dürfte er wohl (noch) nicht angekommen sein. Doch will er 2025 eine ernsthafte Alternative im Titelkampf zu Norris sein, muss er am Pace-Defizit im Rennen arbeiten.

Fazit und Ausblick:
Und nun? McLaren hat theoretisch die Chance auf beide Titel. Doch praktisch dürfte es wohl eher um die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft gehen. Denn sollte sich dieser nicht fangen, hat Red Bull im direkten Vergleich mit Sergio Perez ein klares Handicap im Gepäck. Der Fahrer-Titel dürfte wohl nur noch eine eher kleine Hoffnung in Lando Norris’ Kopf sein. 78 Punkte trennen ihn von Max Verstappen. Der Brite und McLaren müssten eine perfekte zweite Saisonhälfte hinlegen, um das noch zu drehen. Aber immerhin: Der Traum ist (noch) nicht ausgeträumt, dank des ersten Titelfähigen McLaren-Autos seit 2012.