McLaren war nicht der Hauptdarsteller des Australien-GP. Aber die Briten lieferten ihr bestes Saisonergebnis. Hätte es für Lando Norris sogar noch mehr sein können als 'nur' Platz drei? Wurde vielleicht sogar ein besseres Ergebnis mit der falschen Strategie weggeworfen oder konnte McLaren nur vorne mitfahren, weil Max Verstappen ausschied? Die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse nimmt das Rennen des Traditionsrennstalls unter die Lupe.

Es war ein spannendes Rennen für McLaren - auch teamintern. Lokalmatador Oscar Piastri musste Lando Norris zur Rennhalbzeit passieren lassen und gab so ein mögliches Podium auf. Wie so oft bei Team-Strategien gibt es zum Platztausch in Runde 29 eine Vorgeschichte - das unterscheidet die Teamstrategie von der Teamorder. Während bei der Teamorder der Rennverlauf keine Rolle spielt und lediglich ein Fahrer bevorzug wird, ist die Teamstrategie etwas komplizierter.

Also, alles auf Anfang. Norris geht auf Rang drei ins Rennen, Piastri auf Rang fünf. In der Mitte des McLaren-Sandwiches befindet sich Charles Leclerc. Der Verstappen-Ausfall in Runde vier ändert die Ausgangssituation nur insofern, dass alle Piloten einen Platz aufrücken. Norris fährt aber weiterhin vor Leclerc und Piastri. Absetzen kann sich der Brite nicht, denn dafür gibt es auch nicht genügend Zeit.

Pirelli hatte vor dem Rennen mit einer Lebenserwartung zwischen 14 und 20 Runden für die Medium-Reifen gerechnet. Vorne an der Spitze gingen alle Piloten auf den gelb markierten Pneus ins Rennen. Doch eine Kettenreaktion führt zu deutlich verfrühten Boxenstopps bei vielen Fahrern.

Reifenstrategie aller Formel-1-Piloten beim Australien GP 2024 in Melbourne
Die Reifen-Strategien im Australien-GP, Foto: Pirelli

Daniel Ricciardo eröffnet den Boxenstopp-Reigen in Runde 5 - der Racing Bull war auf den Soft-Reifen gestartet. Eine Runde später reagieren Alexander Albon und Zhou Guanyu, um den Ricciardo-Undercut zu verhindern. Wiederum eine Runde später kommt Lewis Hamilton, der ebenfalls auf Soft gestartet war. Um diesen Undercut wiederum abzuwehren, kommen in Runde 8 George Russell und Lance Stroll zum Stopp.

Und hier wird es interessant für McLaren, denn Russell fuhr vor seinem Stopp hinter Piastri. Um den Undercut des Mercedes-Piloten zu verhindern, wird Piastri in Runde 9 zum Wechsel gerufen. Ferrari weiß, was Sache ist, und holt Leclerc zeitgleich rein.

Norris fährt ideale Rennstrategie weiter

Von nun an ist klar, dass Norris Plätze verlieren wird. Vor dem Stopp lag Leclerc weniger als eine Sekunde hinter dem Briten. Würde McLaren eine Runde später stoppen, wäre der Ferrari-Pilot höchstwahrscheinlich vorbei. Also wartet McLaren, um nicht zu reagieren, sondern zu agieren. Man lässt Norris bis Runde 14 draußen, um die Medium-Reifen gemäß ihren optimalen Bedingungen zu nutzen. Das ist für die gesamte Rennzeit gut, für die Position auf der Strecke allerdings nicht.

Deshalb kommt Norris nach seinem Stopp hinter Leclerc und Piastri heraus. Die neue Reihenfolge nach der ersten Runde Boxenstopps lautet: Leclerc auf Rang zwei, dahinter Piastri und Norris. Norris verliert durch den späteren Stopp die beiden Plätze an Leclerc und Piastri, fährt dafür aber die theoretisch schnellere Strategie und hat nun deutlich frischere Reifen.

Deshalb holt Norris auch konstant auf seinen Teamkollegen auf. In Runde 28 ist er im DRS-Fenster, eine Runde später kommt es zum angeordneten Platztausch. "Der Platztausch hätte aber durch die frischeren Reifen auch natürlich stattgefunden", verteidigt Teamchef Andrea Stella. "Die Reifen verlieren pro Runde etwa zwischen einer halben und einer ganzen Zehntelsekunde. Lando hätte Oscar deshalb immer überholt."

McLaren-Teamstrategie ohne Diskussionen

Nach Stellas Rechnung hatte Norris einen Reifen-Vorteil zwischen einer halben und einer Viertelsekunde. Das sahen übrigens auch beide Fahrer so. Piastri hatte deshalb keine großen Schwierigkeiten, sein mögliches Heim-Podium mehr oder weniger freiwillig aufzugeben.

Nach dem Platztausch zeigt sich recht schnell, was der Unterschied zwischen der Strategie mit der besten Rennzeit und der Strategie mit der besseren Streckenposition ist. Piastri musst den Mittelstint besonders langziehen und verliert - nicht nur durch einen kleinen Fehler - in zehn Runden knapp neun Sekunden. Im letzten Stint, auf ähnlichen Reifen unterwegs, kann Piastri deutlich besser mit Norris mithalten.

McLaren-Duo Lando Norris vor Oscar Piastri
Norris und Piastri waren für lange Strecken im Australien dicht beieinander, Foto: LAT Images

Trotzdem haderte Norris nach dem Rennen mit seiner Strategie: "Ich denke, unsere Pace war nicht so gut wie die von Carlos, aber wahrscheinlich besser als die von Charles. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass die Chance verpasst haben, heute Zweiter zu werden." Der Vorwurf ist klar: Norris glaubt, man hat den Platz gegen Leclerc mit dem Undercut des Monegassen verloren.

Teamchef Stella sieht das aber anders: "Es wäre ein unnötiges Risiko gewesen, Lando so früh zu stoppen. Bei Lando wussten wir, dass das Rennen am Ende in seine Richtung gehen würden. Vielleicht verlierst du in Runde 8, aber das ist Runde 8 von 58. Ich glaube, Leclerc ist vor uns gelandet, weil sie derzeit einfach ein schnelleres Auto haben."

Nach dem ersten Stopp hat Norris 5,5 Sekunden Rückstand auf Leclerc. Zwischen den Runden 15 und 33 kann er den Rückstand dank der frischeren Reifen auf 2 Sekunden verringern. Sobald Norris im Undercut-Fenster ist, reagiert Ferrari.

McLaren will den Undercut versuchen, muss aber darauf hoffen, dass Leclerc nicht sofort stoppt. Deshalb weist man Norris an, das Gegenteil von Leclerc zu machen: Wenn er stoppt, soll Norris draußen bleiben. Wenn Leclerc weiterfährt, soll Norris zum Stopp kommen.

Ferrari-Strategen reagieren rechtzeitig

Leclerc stoppt in Runde 34 zum zweiten Mal und Norris bleibt auf der Strecke - die Strategie der optimalen Rennzeit bleibt. Deshalb kommt Norris erst in Runde 40 zu seinem zweiten Stopp. Dadurch hat er für einen möglichen Angriff auf Leclerc am Ende auch ein größeres Reifendelta, dafür wächst der Rückstand von 2 wieder auf 4,4 Sekunden an.

Im letzten Stint kann Norris den Rückstand aber trotz der frischeren Reifen nicht mehr merklich verringern. In 15 Runden kann er nur eine Sekunde abknabbern. "Dass wir Leclerc trotz der frischen Reifen nicht eingeholt haben, zeigt, dass Ferrari heute schneller war", resümiert Stella.

Verstappen-Longrun auch am Samstag schlecht

Die Frage aller Fragen aber ist: Wäre Norris auch auf dem Podium gelandet, wenn Verstappen seinen Red Bull nicht schon am Ende von Runde 4 in der Box hätte abstellen müssen? "Es sieht so aus, als hätten McLaren und Ferrari heute auf Verstappen-Niveau sein können", meint Stella, sonst eher für seine konservativen Einschätzungen bekannt.

Der Italiener führt diese Anomalie aber vor allem auf die Reifen zurück: "Es war ein von Reifen dominiertes Rennen, denn der Unterschied zwischen einem McLaren und einem Mercedes ist nicht so groß. Es ging mehr darum, wer wie mit den Reifen umging, denn wenn man den Abbau zur Pace addiert, kann es schon sein, dass man plötzlich drei oder vier Zehntel schneller ist, nur weil man viel weniger Abbau hat. Das ist ein sehr spezielles Verhalten hier in Australien."

Bei Red Bull gab das Rennen jedoch keinen Aufschluss über die wahre Pace. Sergio Perez hatte eine Beschädigung an seinem Unterboden und verlor 20 Punkte Abtrieb. Sein Rückstand ist nicht repräsentativ. Am Freitag sah man trotzdem bereits, dass Red Bull auch im Longrun größere Probleme hatte. Weil die Daten von Verstappen wenig aussagekräftig waren, fuhr Red Bull im 3. Training erneut einen Longrun. "Der Longrun war nicht gut", weiß Stella. "Wir haben uns seine Reifen am Ende angesehen. Die waren nach 10 bis 15 Runden ziemlich hinüber."