"Wie Goldstaub!", feiert der neue Haas-Teamchef Ayao Komatsu den ersten Punkt von Nico Hülkenberg in der Formel-1-Saison 2024. Die Schwerstarbeit dafür verrichtete in Saudi-Arabien aber Kevin Magnussen. Er musste 1,5 Sekunden pro Runde langsamer um den Kurs schleichen und gleichzeitig bis zu sechs Fahrer abwehren, um Hülkenberg eine 22-Sekunden-Lücke für einen Boxenstopp zu verschaffen. Eines der Opfer treibt das zur Weißglut. Warum das gerechtfertigt ist - und zugleich auch nicht.

Ein Eintauchen in die Rundenzeiten enthüllt das gigantische Ausmaß der Blockade. Nachdem Magnussen für eine Kollision mit Alex Albon und für ein Überholen von Yuki Tsunoda abseits der Strecke 20 Strafsekunden gesammelt hatte, initiierte die Haas-Boxenmauer zu Beginn von Runde 21 die rollende dänische Straßensperre.

Alle Boxenstopps und Strategien im Saudi-Arabien-GP aufgeschlüsselt
Die Reifen-Strategien in Saudi-Arabien, Foto: Pirelli Sport

Zu dem Zeitpunkt war Hülkenberg soeben auf Platz 10 zurückgefallen. Da er anders als der Großteil des Feldes noch stoppen musste, schienen Punkte außer Reichweite. Magnussen lag fünf Sekunden dahinter auf dem 12. Platz und verfolgte den ebenfalls noch ohne Stopp fahrenden Guanyu Zhou. Boxenstoppbereinigt war also Magnussen Zehnter - aber mit den 20 Strafsekunden im Gepäck war es de facto Yuki Tsunoda hinter ihm, der eine Hand am letzten Zähler hatte.

Erklärt: So clever blockierte Kevin Magnussen die Konkurrenz

"Schließe nicht zu Zhou auf und fahre 35,5", erging daraufhin zu Beginn von Runde 21 die Anweisung. Eine Runde später wurde es dringlicher: "Die einzige Möglichkeit, wie wir als Team hier was rausholen können, ist, indem du auf uns hörst." Da hatte Magnussen bereits verlangsamt, aber noch nicht ausreichend. Über 15 zusätzliche Sekunden würde er Hülkenberg verschaffen müssen. Der Zeitenvergleich der folgenden Runden sieht spektakulär aus.

Wie die Grafik zeigt, verlor Magnussen kontinuierlich eineinhalb Sekunden oder mehr im ersten Sektor. Genauer gesagt von Kurve vier bis Kurve zehn. Überall sonst war er ähnlich schnell wie Hülkenberg. Der Trick ist, die Streckencharakteristik zu nutzen. Dieser Streckenteil ist ein unübersichtliches Highspeed-Geschlängel. Überholen ist hier unglaublich schwierig.

Das machte sich der gewiefte Veteran Magnussen gekonnt zunutze. Die Geschwindigkeitsgrafik mehrerer Beispielrunden enthüllt den Trick. Nicht einmal ansatzweise unternahm er den Versuch, ans Limit des Autos zu gehen. Mit Halbgas fuhr er durch die langgezogene Kurve 5, wo sich Hülkenberg stets zwischen 70 und 90 Prozent Gaspedalstellung befand.

In den darauffolgenden Passagen gab Hülkenberg auf der Verbindungsgeraden wie jeder normale Rennfahrer Vollgas und suchte danach in den Highspeed-Schikanen das Limit. Magnussen beschleunigte gerade genug, um sich wieder einen Puffer zu verschaffen, und nahm vor jeder Schikane erneut Gas weg.

Wie clever Magnussen seine Verzögerungstaktik anlegte, zeigt sich aber auch am Rest der Runde. Die Kurven 9 und 10 fuhr er konstant anders an als Hülkenberg, und war zwar eingangs langsamer, ausgangs aber schneller. Dadurch stellte er sicher, dass seine Verfolger in Kurve 13 - dem ersten möglichen Überholspot seit Kurve 4 - keine Chance hatten. Auch auf den Geraden war Magnussen in diesem Zeitraum der schnellere Haas. Wahrscheinlich, weil er die Energierückgabe seines Hybridsystems gezielt anders nutzte.

Kevin Magnussen (Haas) vor Yuki Tsunoda (Racing Bulls) beim Formel-1-Rennen in Jeddah Saudi-Arabien
Die Konkurrenz biss sich an Magnussen die Zähne aus, Foto: LAT Images

Zur Vollendung trug schließlich Magnussens robuste Defensivtaktik bei. "An einem Punkt sah ich, wie Tsunoda auf der Zielgerade vorbei ging, und dachte, das war's jetzt", erinnert sich Teamchef Komatsu. "Dann hat Kevin einfach außen in Kurve 1 reingehalten. Ein Wahnsinnsjob." In Runde 33 war die Lücke groß genug, daraufhin beendete Haas den Spuk und holte Hülkenberg zum Boxenstopp. Er verlor keine Position, der Punkt war praktisch fix.

Racing Bulls empört: Das sagen wir der FIA

Magnussens größtes Opfer war Yuki Tsunoda gewesen. Der Fahrer selbst blieb ruhig. Racing-Bulls-Sportdirektor Alan Permane nicht, er klagt an: "Magnussen ist absichtlich von der Strecke gefahren, um sich vor Yuki zu setzen, und dann hat er um zwei Sekunden pro Runde verlangsamt." Bei den Racing Bulls ist man sich sicher, dass Tsunoda ein Auto für den zehnten Platz gehabt hätte.

"Das ist für mich nicht korrekt und die absolute Definition von unsportlichem Verhalten", sagt Permane. "Ich bin sicher, dass wir und die anderen Teams mit der FIA über das für zukünftige Rennen sprechen werden." Mit dem Begriff "unsportliches Verhalten" wurde übrigens im Vorjahr sogar eine Strafe gerechtfertigt. Für Lando Norris, der in Kanada Verfolger auf dem Weg zum Boxenstopp blockiert hatte. Allerdings unter Safety Car.

Durchaus möglich, dass Permane bei seiner Wortwahl das im Hinterkopf hatte. Gegen langsames Durchfahren von Kurven unter Rennbedingungen gibt es in der Formel 1 aber keine Regeln, solange keine Gefahr besteht. Die bestand definitiv hier nicht. Bei Haas nimmt man es gelassen. Ohnehin mutmaßt Teamchef Komatsu, dass Magnussen ohne die Strafen eigentlich sogar die Pace für Platz zehn gehabt hätte. Das zeigte der eindrucksvoll in den letzten 15 Runden. Da war er trotz nun älterer Reifen plötzlich wieder gleich schnell wie Hülkenberg.

Holt ohne Tsunoda-Strafe Magnussen den ersten Haas-Punkt?

Permanes Anschuldigung, Magnussen habe Tsunoda absichtlich abseits der Strecke überholt, ist nur teilweise für die Blockade relevant. Das Überholmanöver trug sich in Runde 17 zu und war eben jenes, für das Magnussen die zweite 10-Sekunden-Strafe überhaupt erst bekam. Ein klarer Fehler des Haas-Piloten, der zu ambitioniert in Kurve 4 reinstach. Aber kein Teil eines großen Planes, um Hülkenberg zu helfen. Diese Entscheidung fasste Haas erst, als die zweite Strafe feststand.

Rückblickend räumt Komatsu ein, dass Magnussen idealerweise Tsunoda einfach den Platz zurückgeben und damit die zweite Strafe vermeiden hätte sollen: "Er hätte ihn wieder überholen können, dazu hatten wir glaube ich die Pace. Im Endresultat ist Platz 10 dann immer noch drin."

Tatsächlich beendete Magnussen das Rennen auf der Strecke knapp fünf Sekunden vor Alex Albon, der Tsunoda spät noch überholt hatte. Der RB sah in der Schlussphase schwach aus, Haas kontinuierlich stark. Damit scheint es tatsächlich möglich, dass Magnussen ohne die Blockade 10 Sekunden auffahren und Platz 10 hätte holen können. Erst 20 Strafsekunden waren zu viel.