Charles Leclerc und Ferrari beendeten das Saisonfinale in Abu Dhabi als zweite Kraft direkt hinter Sieger Max Verstappen, doch in der Weltmeisterschaft blieben die späten Mühen der letzten zwei Rennen für sie unbelohnt. Selbst Leclercs Spielchen mit Sergio Perez in der letzten Runde reichten nicht, Mercedes rettete dank eines drittplatzierten George Russell die zweite Position in der Konstrukteurswertung.

Drei Punkte mehr hätte Ferrari nur gebraucht. "Ganz ehrlich haben wir es nicht heute vergeben", meinte Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur und zählte die Pleiten-Wochenenden der Scuderia auf. Aber hat man auch in Abu Dhabi im Rennen Chancen liegen gelassen? Die Konkurrenten glauben daran. Eine Analyse.

Vergab vorsichtiger Leclerc gar einen Sieg gegen Verstappen?

Den Start machte Leclerc schon einmal richtig eng gegen Verstappen. In der ersten Kurve zeigte er sich, am Ende der Geraden täuschte er an und schien die Führung wirklich an sich zu reißen wollen. Verstappen war höflich, ließ die Türen locker weit genug für ein Manöver offen. Beide Male steckte Leclerc aber zurück.

"Aber wir wussten, dass uns im Rennen Pace fehlt", erklärte Leclerc. Drei, vier Runden in Führung gab er sich maximal: "Am Ende war mein Ziel nur Mercedes zu schlagen. Ich wollte nicht zu viel Saft aus dem Reifen ziehen." Aber als er stoppte, war er nur knappe zwei Sekunden hinter Verstappen, fast noch in Undercut-Schlagdistanz.

Außerdem war sein Reifenmanagement zum zweiten Mal in Folge auf den Medium-Reifen stark: "Wir rechneten mit Überhitzungsproblemen, aber heute haben wir einen guten Job gemacht." Der erste Stint ist trügerisch. Verstappen hatte mit seiner Defensive in der ersten Runde genau das getan, wovor Leclerc Angst gehabt hatte: Die Reifen etwas zu sehr belastet. Folglich nahm er Pace raus und begann die Lücke zu managen.

Max Verstappen wird in der ersten Runde des Abu Dhabi GP 2023 von Charles Leclerc attackiert
Leclerc zog bei seiner Attacke am Start zurück, Foto: LAT Images

"Ich denke, wir hätten eine Einstopp mit Max geschafft, er hatte die Pace und Fähigkeit, den Reifen zu managen", meint Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Kurz vor Ende des ersten Stints war das offensichtlich: Als die ersten im Verfolgerfeld stoppten, zog Verstappen vorne das Tempo an. "Da habe ich sofort verstanden, dass sie noch viel mehr Puffer hatten als ich ursprünglich dachte", so Leclerc. Auf den Hard-Reifen kam er dem Red Bull nie mehr nahe.

Fazit: Keine Chance

War Leclerc gegen Russell zu fair?

Also statt nach vorne nach hinten orientieren. Leclerc war bis zum Endspurt von Sergio Perez der zweitschnellste Fahrer im Rennen. Perez spielte noch einmal die überlegene Red-Bull-Pace aus und verdrängte vier Runden vor Schluss George Russell vom dritten Rang. Blöd nur für Ferrari, dass Perez fünf Strafsekunden für einen Rammstoß gegen Lando Norris hatte, und daher den Platz im Ziel wieder an Russell verlieren würde.

Kaum erfuhr er das, eilte Leclerc Perez zur Hilfe. Er nahm Tempo raus, ließ ihn in der letzten Runde vorbei, schenkte ihm noch einmal DRS. 1,125 Sekunden fehlten am Ende. Die kann man jetzt suchen gehen. Zuerst einmal löste Leclerc die letzte Runde nicht ideal. Das Optimum wäre gewesen, in der ersten DRS-Zone noch vor ihm zu bleiben und ihm so DRS und Windschatten zu geben, dann in der Schikane auszuweichen. Dadurch hätte Perez auch für die zweite Gerade DRS gehabt.

Hätte das gereicht? Jedenfalls hätte die Ferrari-Boxenmauer das beurteilen können - und Leclerc zu härteren Maßnahmen mit deutlich weniger Niveau leiten können. "Sie haben nur die halbe Arbeit erledigt", meint Christian Horner. "Wie Checo gezeigt hat, kannst du jemanden in diesem Teil der Strecke recht viel Zeit kosten." 2021 bremste Perez im dritten Sektor Lewis Hamilton um 3,5 Sekunden ein, um Max Verstappen im WM-Kampf zu helfen.

Nur musste Hamilton damals einfach nur eingebremst werden. Leclerc musste selbst innerhalb der fünf Strafsekunden von Perez bleiben, Russell aber aus diesen rausdrücken, um die entscheidende Reihenfolge Leclerc-Perez-Russell zu erreichen. Die Boxenmauer hätte ihn mit Hundertstelcoaching ins Ziel lotsen müssen. "Da bin ich kein großer Fan davon", winkt Teamchef Fred Vasseur ab.

Fazit: Möglich, aber sehr schwierig

Sind nicht eigentlich Perez & Lando Norris schuld?

Die Konkurrenz tat Ferrari in Abu Dhabi keinen Gefallen. Hätte Lando Norris abgeliefert, wäre das Perez-Problem nie entstanden. Der McLaren hatte sich am Start gegen Russell durchgesetzt, in Runde vier Platz drei von Teamkollege Oscar Piastri übernommen. Nun war Leclerc durch zwei McLaren von Russell getrennt. Zwar konnte Piastri Russell nicht halten, aber Norris war eine andere Geschichte.

Polesetter Max Verstappen gewinnt im Red Bull knapp den Start vor Charles Leclerc im Ferrari
Vorne greift Leclerc erfolglos an, hinten Norris erfolgreich, Foto: LAT Images

Dann klemmte es hinten links bei Norris' erstem Stopp. Er stand 2,19 Sekunden länger, Russell bekam Platz drei geschenkt. Doch wie hart wäre die Norris-Nuss für Russell zu knacken gewesen? "Hätte ich mithilfe der Dirty Air vor ihm bleiben können? Vielleicht", sät Norris Zweifel. McLaren blieb im Rennen hinter den Erwartungen: "Wegen fehlender Pace musste ich sehr hart pushen, um mit Mercedes und Ferrari mitzuhalten. Ich habe meine Reifen früh zerstört." In allen Stints brach Norris ein.

Da es für Autos mit ähnlicher Pace in Abu Dhabi schwer zu überholen ist, wäre ein Russell-Manöver nicht gesetzt gewesen, aber auch das Norris-Podium nicht fix. Viel hilfreicher wäre für Ferrari ein sauberes Rennen von Sergio Perez gewesen. Hätte der Norris mit einem ungelenken Angriff kurz vor Schluss nicht gerammt, so hätte er keine Strafe bekommen - und dann einfach Russell vom Podium geworfen und für das benötigte Ergebnis gesorgt.

Fazit: Perez entschied die WM

Machte Ferrari mit Carlos Sainz alles richtig?

Viel hilfreicher wäre es für Ferrari aber natürlich gewesen, wenn nicht nur ein Fahrer um Punkte gekämpft hätte. Wo war eigentlich Carlos Sainz? Auf Hard gestartet, stoppte ihn Ferrari nur knapp nach den Reifenwechseln der Medium-Startfahrer, und ließ ihn dann mit einem 33-Runden-Stint- wieder auf Hard - den langsamen Reifentod sterben.

Alle Boxenstopps und Reifenstrategien im Abu Dhabi GP 2023
Die Reifen-Strategien in Abu Dhabi, Foto: Pirelli Sport

Die Schuld liegt nicht bei den Strategen. Viel mehr beim Fahrer. Im Qualifying schon flog er auf Platz 16 raus. Seine Klagen über die Dirty Air der Konkurrenz hätte er selbst mit einer besseren Outlap verhindern können. Das zwang Ferrari schon zu einer Risiko-Strategie, eben weil Überholen hier so schwer ist. Sainz konnte sie nicht umsetzen.

Praktisch fuhr er die gleiche Strategie wie Lance Stroll, der sich beim Start am Ferrari vorbeikatapultiert hatte. Stroll wurde Zehnter mit der optimierten Strategie. Sainz konnte schon mit ihm nicht mithalten. Viel zu früh brach er ein. "Das Ziel waren 40 Runden mit dem Hard, ein Teil des Rennens in freier Luft und so das Defizit ausgleichen", erklärt Fred Vasseur.

"Das Problem war keines mit der Strategie, sondern mit der Pace", bemängelt Vasseur. "Wir hatten heute die Pace nicht, und in dem Fall sind alle Strategien die schlechten." Sainz muss einräumen: "Wir steckten mit dem Hard hinter allen unserer Gegner und sind viel gerutscht." Er hätte einen viel sauberen Anfangsstint benötigt. Ohne den war alles schon vorbei.

Fazit: Mit dieser Pace keine Hilfe