Beim Finale der Formel-1-Saison 2023 ist mitnichten alles entschieden. An der Spitze vielleicht schon: Max Verstappen und Red Bull haben (fast) alles abgeräumt, was es in diesem Jahr zu gewinnen gab und Sergio Perez hat als Trost für eine insgesamt vermurkste Saison im besten Auto immerhin noch einen Vize-Titel mitnehmen können. Auch für den Rennsonntag wäre alles andere als ein Verstappen-Sieg eine faustdicke Überraschung - wie so üblich in dieser Saison.

Deshalb widmen wir uns in diesem Favoritencheck auch nicht dem Red-Bull-Piloten, der trotz Freitags-Schrecken im Qualifying schon wieder aus allen Rohren feuerte. Die spannenden Entscheidungen fallen dahinter. Mercedes gegen Ferrari lautet das Duell der Stunde, das sich seit der Sommerpause aufgrund einer Fehlerkette bei Mercedes - sowohl von Fahrer- als auch von Teamseite - zugespitzt hat. Nur vier Punkte trennen die beiden Mannschaften. Wer hat nach dem Qualifying in Abu Dhabi die besten Karten, um als kleinen Trost immerhin mit der Vize-Meisterschaft in die Winterpause zu gehen?

Ferrari vs. Mercedes: Das große Rennpace-Rätsel

Der Samstag verlief für beide Teams nicht ideal. Ferrari verlor schon in Q1 Carlos Sainz, eine Session später zog Mercedes in Form eines frühen Ausfalls von Lewis Hamilton nach. Charles Leclerc konnte seinen Ferrari immerhin in Startreihe 1 parken, während George Russell es sich eine Zeile weiter hinten gemütlich machen muss. Wenn das der Endstand morgen im Rennen wäre, würde Ferrari die schwarzen Silberpfeile auch in der WM überholen.

Die Betonung liegt aber auf dem 'wenn'. Denn Ferrari hatte bekanntermaßen in der Vergangenheit häufig mit dem Reifenverschleiß Probleme, falls man das Auto nicht ins richtige Fenster abstimmen konnte. In Las Vegas funktionierte es - wohlgemerkt auf einem Kurs mit gänzlich anderer Strecken-Charakteristik. In Abu Dhabi gelang es jedoch letztes Jahr auch. Leclerc übt sich dennoch in Pessimismus: "Auf einer Strecke wie hier und bei solchen Bedingungen erwarte ich, dass wir mehr Probleme haben als in Las Vegas."

Gegen Ferrari spricht auch, dass bereits im Qualifying die Reifen schnell an Performance verloren. Bei kaum einem anderen Team fiel die Differenz zwischen einer Runde auf frischen und einer Runde auf gebrauchten Softs größer aus. In Q3 kam Leclerc auf seinem ersten Umlauf, als außer Verstappen alle Fahrer auf angefahrenen Gummis draußen waren, nur auf Rang 9. Auf frischen Pneus ist das Resultat bekannt: P2.

Sainz und Vasseur optimistisch: Wir haben die Pace

Auf den Longruns sahen am Freitag sahen die Roten immerhin gut aus. Aufgrund der wenigen Runden, die in FP2 gefahren wurden, sind diese jedoch beinahe wertlos. Carlos Sainz gibt sich etwas optimistischer, was die Rennpace angeht: "Wir hatten etwas Probleme auf den Soft-Reifen, aber die Longruns haben nicht so schlecht ausgesehen." Auch Teamchef Fred Vasseur ist zuversichtlich: "Ich denke wir haben die Pace. Das Auto sieht auf einem längeren Stint ziemlich konstant aus."

Dabei gilt es aber immer einen Punkt zu beachten. Die meisten Erfahrungswerte von Longruns stammen aus FP3. Das Wetter im Flutlicht-Rennen ist mit jenem in der Trainingssession am frühen Samstag-Nachmittag in keinster Weise zu vergleichen.

Ferrari-Fahrer Charles Leclerc
Charles Leclerc ist in Abu Dhabi auf sich allein gestellt, Foto: LAT Images

Red-Bull-Motorsportchef Dr. Helmut Marko setzt in diesem Kampf als Außenstehender wohl eher auf Mercedes. Er bilanzierte nach dem Qualifying, dass seiner Meinung nach im Rennen die größte Gefahr von ihnen ausgehe. Von Ferrari erwartet er aufgrund ihrer Performance auf den gebrauchten Pneus nicht allzu viel.

Bei Mercedes geht man ebenfalls davon aus, dass das Auto vor allem im Rennen gut funktionieren wird. Im Gegensatz zu Ferrari kann sich die achtfache Weltmeister-Mannschaft dabei auf zahlreiche Erfahrungen stützen. Der Renntrimm war seit Beginn der neuen Regel-Generation die stärkere Disziplin der Boliden aus Brackley.

Mehr als hoffen, dass das in diesem Fall auch zutrifft, können die WM-Dritten des Vorjahres aufgrund fehlender FP2-Daten allerdings auch nicht. Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin sagte: "Wir haben an diesem Wochenende gute Arbeit auf den Longruns erledigt und viele Runden gedreht, hoffentlich haben wir ein gutes Gefühl dafür, wie die Reifen funktionieren werden."

McLaren in der Pole Position gegen Aston Martin

Auch weiter hinten in der Konstrukteurs-WM müssen noch einige Entscheidungen gefällt werden. Das Duell zwischen McLaren und Aston Martin um P4 ist zwar nach Las Vegas etwas spannender als man sich das in Woking vielleicht ausgemalt hätte. Elf Punkte stehen derzeit auf der Haben-Seite der Truppe von Andrea Stella.

Aber unter dem Strich ist die Ausgangslage schnell abgehandelt. Bei Oscar Piastri (Startplatz 3) und Lando Norris (P5) müsste schon sehr viel schiefgehen, damit sich die Tür für Fernando Alonso und Co noch einmal öffnet. Selbst bei einem Doppel-Ausfall der beiden Papaya-Orangen wären die notwendigen zwölf Zähler alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

AlphaTauri vs. Williams: Abschiedsgala für Franz Tost

Auf dem Papier ist zwischen P7 und P10 in der Team-WM noch alles möglich. Doch große Punkte kann man sowohl von Alfa-Sauber als auch von Haas nur in einem Ausnahme-Szenario erwarten - trotz Startplatz 8 von Nico Hülkenberg. Am meisten Spannung verspricht noch der Kampf um P7 zwischen Williams und AlphaTauri.

AlphaTauri hat das Momentum aus den letzten Wochen und in Form von Yuki Tsunoda die sechste Startposition für das Rennen auf seiner Seite, Williams hingegen ein nicht unbedeutendes Punktepolster von sieben Zählern. Tsunoda rechnet seinem Team im Normalfall keine großen Chancen aus, diese Differenz gutzumachen, er hofft auf etwas Rennglück. "Wir haben einige schnelle Autos hinter uns, aber der Reifenverschleiß sieht ziemlich hoch aus und vielleicht passiert ja etwas Überraschendes.", so der Japaner.

Daniel Ricciardo hingegen konnte aufgrund von mysteriösen Problemen im Qualifying nicht so weit vorrücken. Er qualifizierte sich nur auf P15. Als strategische Waffe gegen Williams will man ihn im Rennen - vorerst zumindest - nicht einsetzen. Denn mit einem Fahrer alleine acht Punkte einzufahren, wäre eine mehr als optimistische Losung. Dr. Helmut Marko sagte dazu: "Er (Ricciardo) muss schauen, dass er selbst in die Punkte kommt. So etwas muss, wenn, ad-hoc entschieden werden. Wenn man es plant, funktioniert es sowieso nicht".