Die letzten sechs Monate markieren den Verfall des modernen Formel-1-Qualifyings. Das 2006 eingeführte Knock-out-Format galt seit Jahren als eigentlich perfekt für einen dramatischen samstäglichen Kampf um die Pole. Bloß nichts ändern, so die Devise. Doch 2023 wird das vermeintlich beste Format zum Schadensfall. Mit zahlreichen Regeln mit zweifelhaftem Effekt.

Pünktlich zum Ende der Saison wurde in Abu Dhabi noch eine weitere Regel eingeführt, und bei den Fahrern schlägt der Frust langsam zur endgültigen Resignation um. Man sieht den Qualifying-Wald vor lauter Regel-Bäumen nicht mehr. "Das zeigt, dass dieses Qualifying-Format überholt ist", findet Fernando Alonso am Samstagabend harte Worte.

Seit Monaten kämpft die Rennleitung mit Qualifying-Regeln indirekt gegen die Teams. Es begann damit, dass sie gezwungen fühlte, eine Maximal-Rundenzeit einzuführen, um Bummeln auf Warmup- und Cooldown-Runden zu unterbinden. Ein Problem, das zwar schon seit Jahren durch die schwierig anzuwärmenden Pirelli-Reifen ein Thema ist. Nie aber so wie 2023.

Immer wieder rollten Autos in langsamer Fahrt durch den letzten Sektor. Das sollte weg. Doch die Lösungen waren keine. Das Bummeln auf der Strecke wurde durch die Maximalzeit in die Boxengasse verschoben. Die Rennleitung verbot daraufhin das Stehenbleiben in der Boxengasse. Das Bummeln wurde in die Boxenausfahrt verschoben. Und dort begannen sich nun die Fahrer um die Positionen auf der Strecke zu streiten.

"Diese Reifenaufwärmung ist so diffizil und psychologisch für den Fahrer, die haben da alle ihre Eigenheiten", erklärt Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko, wie es zu dem Benehmen kommen kann. Max Verstappens Versuch, sich im 2. Training an bummelnden Mercedes vorbeizudrücken, sorgte für das nächste Eingreifen. Für Samstag wurde Überholen in der Boxenausfahrt verboten.

Formel-1-Fahrer haben genug von Regelhaufen

Diese Regel war ein Ergebnis des Fahrerbriefings am Freitagabend, wurde von den Piloten mitgetragen. "Am Boxenausgang solltest du nicht um Positionen kämpfen", mahnt Pierre Gasly. Der Tenor zu den Auswirkungen nach dem Qualifying war jedoch negativ. "Eine grauenvolle Regel", flucht Lando Norris.

Norris, nach einem enttäuschenden Ergebnis schon schlecht gelaunt, hält sich nicht zurück. "Die Sache ist die: Sie brauchen diese Regeln wegen der anderen dummen Regeln, welche sie uns aufzwingen. Aber wenn da eine rote Flagge kommt und nur drei Minuten übrigbleiben, dann bekommen drei Autos eine Runde zusammen."

Die Teams tragen mit dazu bei. Kaum jemand fährt im Qualifying von sich aus sofort raus. Es bildet sich meist ein großer Klumpen. Teams warten auf die Streckenentwicklung, wollen nicht die ersten sein. Jeder hat praktisch die gleiche Fahr-Strategie. Dann setzen sich gerne einmal 15 Autos zeitgleich in Bewegung. Infolgedessen stehen 14 in der Boxenausfahrt im Stau, denn der jeder wartet fünf Sekunden, um sich eine Lücke zum Vordermann aufzubauen.

Knock-out-Qualifying in der Formel 1 am Ende?

Die Situation hat sich nun festgefahren. Die Fahrer teilen sich in zwei Lager. "Wir sollten einfach zurück zu dem, was wir zuvor hatten", fordert Lando Norris. Ein nicht unwesentlicher Einwand: Von 2006 bis 2022 schaffte es die Formel 1, sich beim Großteil der Rennen anständig zu benehmen.

Fernando Alonso fühlt sich durch die letzten Monate wiederum nur in seinem radikalen Ansatz bestärkt. Es geht schließlich nicht nur um Stau: "Verkehrsmanagement, Track Limits, Stewards-Besuche, Delta-Zeiten, Behinderungen, gestrichene Rundenzeiten. Wir freuen uns, wenn es vorbei ist. So sollte es nicht sein."

"Früher war das die beste Session des Wochenendes, die Autos wurden lebendig, jetzt ist es die schlimmste Session", trauert Alonso. Seit Monaten propagiert er einen Wechsel zum Einzelzeitfahren. Schon in Singapur hatte er geahnt: " Alle anderen Lösungen, die wir testen, werden niemals funktionieren, weil wir einen Weg finden, sie zu umgehen." Die letzten Wochen scheinen nur weitere Beweise dafür zu liefern.

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