Drei Wochen Formel-1-Sommerpause, drei Wochen Zeit für Motorsport-Magazin.com alle zehn Teams genauer unter die Lupe die nehmen und Bilanz zu ziehen. Heutiges Opfer: Ferrari. Vom Titelkampf ins Tal der Tränen. Kein Sieg, drei Podien, und viele Baustellen in Maranello.

Ziel vs. Realität:
WM-Gewinn. Das hatte sich Ferrari für das zweite Jahr der neuen Fahrzeuggeneration vorgenommen. 2022 hatte die Scuderia die große Chance verspielt, Red Bull konnte ihren anfänglichen Rückstand aufholen und spätestens ab der zweiten Saisonhälfte für klare Verhältnisse sorgen. Im Gegenzug dazu stagnierte Ferrari. Im besten Fall. Eher ging es für das italienische Team immer weiter nach hinten.

Null Rennsiege (seit 10. Juli 2022), drei Podien, zwei Poles in der bisherigen Saison. Im besten Fall kann sich das Team mit Aston Martin, Mercedes und McLaren um den Titel der zweiten Kraft streiten. Nur P4 in der Konstrukteursmeisterschaft und der unrühmliche Rekord von 21 Jahren ohne Weltmeisterschaft rückt immer näher. Die Realität tut derzeit weh in Maranello.

Entwicklung 2023:
Ferrari startete 2023 mit der gleichen aerodynamischen Philosophie wie im Vorjahr. Unterschied: In der letzten Saison noch (zumindest zu Beginn) das beste Auto im Feld, hatte der SF-23 schon in Bahrain Schwierigkeiten. Charles Leclerc fiel mit Motorschaden aus, und musste gleich beim zweiten Saisonrennen eine neue Steuereinheit einsetzen und das erlaubte Kontingent überschreiten.

Ein erstes großes Update-Paket mit neuen Seitenkästen in Barcelona sollte beim Reifenverschleiß und der Inkonstanz des Autos helfen. Mit bedingtem Erfolg: Die riesige Badewanne war zu einem Großteil weg, und das Konzept lehnte sich etwas mehr an Red Bull an. Die Probleme und Ratlosigkeit blieben. Insgesamt 15 Updates brachte Ferrari bis jetzt, davon 5 am Unterboden. Das sind jetzt schon fast so viele wie insgesamt 2022 mit 17 Updates. In beiden Jahren befindet sich Ferrari (zusammen mit Haas) damit jedoch am unteren Ende der gebrachten neuen Teile.

Bereits für Zandvoort sind kleine Updates angekündigt. Beim Heimrennen in Monza soll ein umfangreicheres Paket für mehr aerodynamische Effizienz sorgen. Entwickelt werden soll bis Austin, danach konzentriert sich die Scuderia auf 2024.

Ferrari: Manchmal Top, oft Flop

Höhepunkt 2023: Wieder-Auferstehung in Spa
Spa markierte das Ende einer langen Durststrecke für die Scuderia. Endlich war das Team wieder konkurrenzfähig. Dank der Startplatzstrafe für Max Verstappen und einer fantastischen Runde stand Charles Leclerc sogar auf Pole. Im Rennen konnte er Lewis Hamilton mit einer guten Strategie und (überraschend) gutem Reifenverschleiß im Zaum halten. Ferrari klar zweite Kraft hinter Red Bull, und mit dem dritten Platz von Leclerc eines der besten Wochenenden in Maranello. Ebenfalls wichtig: Die Scuderia ging mit einem guten Momentum in die Sommerpause.

Tiefpunkt 2023: Erneute Katastrophe in Budapest
Große Hoffnungen setzte Ferrari auf Ungarn. Der Hungaroring sollte der Scuderia liegen. Im Vorjahr noch an sich selbst gescheitert, sollte 2023 kein Drama auf den harten Reifen die Show vermiesen. Die Realität: Nicht einmal im Steckenpferd Qualifying sollte es laufen: P6 für Leclerc, P11 für Sainz.

Das Worst-Case-Szenario mit hoher Reifentemperatur, Reifenmanagement und Wind ließen nicht mehr zu. Im Rennen war spätestens nach einem 9,4 Sekunden Stopp für Charles Leclerc nichts mehr möglich. Als Draufgabe steckte er danach hinter Sainz fest und verlor Zeit. Zu schnell war Leclerc nur in der Boxengasse (inklusive Fünf-Sekunden-Strafe). Nur zehn Punkte erzielt, und nur vierte Kraft hinter Red Bull, McLaren und Mercedes.

Charles Leclerc rettet Ferraris Ehre

Charles Leclerc:
WM: 5. Platz (99 Punkte) Note im MSM-Ranking: 2,65 (9. Platz)
Charles Leclerc gilt nach wie vor als der Heilsbringer für Ferrari. Er glänzte vor allem in seiner Paradedisziplin Qualifying immer wieder und zauberte mit dem SF-23 eine Pole-Runde auf den Asphalt. Problem: Dafür muss er viel Risiko gehen, was manchmal Startplatz eins bringt, manchmal ein zerstörtes Auto. Ein bewusst gewähltes Spiel am Limit. Bei Mischbedingungen kämpfte der Monegasse zu Saisonbeginn sehr - Slicks auf halbtrockenen Bedingungen galten als fatale Kondition. Aber: Leclerc arbeitete gezielt am Problem, in Spa klappte es und als Belohnung gab es eine geerbte Pole und P3 im Rennen.

Carlos Sainz:
WM: 7. Platz (92 Punkte) Note im MSM-Ranking: 3,11 (15. Platz)
Carlos Sainz liefert eine ordentliche Saison ab. Da ist das Problem: Ordentlich. Wenn der Ferrari einmal gut funktioniert (inklusive Strategie, Reifenverschleiß und Co.) ist es immer Charles Leclerc, der die großen Punkte und Podien einfährt, nicht sein spanischer Teamkollege. Anstatt Auto zu fahren, muss Sainz am Funk mit der Boxenmauer diskutieren. Besonders schlechte Rennwochenenden wie Baku oder Australien bleiben in Erinnerung. Carlos Sainz fehlt eine saubere Exekution von Anfang bis Ende. Fahrfehler oder sonstige Probleme stehen an der Tagesordnung. Problem: Carlos Sainz ist ähnlich inkonstant wie sein Gefährt.

Fazit und Ausblick:
Ferrari bleibt eine Überraschungstüte. Grundsätzlich ist der Speed des SF-23 nicht schlecht. Aber gefühlt kann am Rennsonntag immer alles passieren: Strategie, schlechte Boxenstopps, Reifenverschleiß. Business as usual bei Ferrari, vor allem unter Druck. Auf historischen Lieblingsstrecken ist Ferrari gut, sonst wird ums Überleben (vor allem der Reifen) gekämpft. Noch immer fehlt Konstanz und die Scuderia gilt als einer der großen Verlierer der ersten Saisonhälfte.

Aber: Der Trend zeigt leicht nach oben. Nach schwierigem Saisonstart sind positive Anzeichen sichtbar. Im Qualifying auf eine Runde fällt der Reifenverschleiß nicht so ins Gewicht, und nun scheint es auch endlich im Renntrimm vorwärtszugehen. Damit vielleicht doch einmal die Kirchenglocken in Maranello lauter sind als die kritischen italienischen Gazetten. Aber es geht hier noch immer um Ferrari. Ferrari sollte um Weltmeisterschaften kämpfen, das ist die Erwartung. "Ihr könnt verlieren, aber als Protagonisten, nicht als Statisten", wie es Luca Di Montezemolo der Quotidiano Nazionale sagen würde.