2022 startete die Formel 1 in eine neue Ära. Nachdem Mercedes und Red Bull den Titel 2021 unter sich ausgemacht hatten, war es Ferrari, das am besten aus den Startlöchern kam. Der F1-75 war nicht nur wunderschön anzusehen, sondern auch schnell, zuverlässig und gutmütig. Während sich Mercedes beim Konzept völlig verrannt hatte, kristallisierte sich Red Bull als einziger Ferrari-Konkurrent heraus.
Der RB18 hatte aber Probleme: Er war deutlich übergewichtig, zickig bei der Abstimmung und unzuverlässig. Als Charles Leclerc in Melbourne beim dritten Saisonlauf sein zweites Rennen gewann, sah es schon nach einer Ferrari-Dominanz aus: Zwei Siege und ein zweiter Platz waren nur die eine Seite der Medaille. Max Verstappen war in den drei Rennen zweimal ausgefallen. Dazu kam in Australien eine - bis zum Ausfall - desolate Rennpace.
Ferrari, vor allem Leclerc, schienen Red Bull in allen Belangen überlegen. Doch schon bei den nächsten Rennen schien sich das Blatt zu wenden. Ferrari machte vereinzelt Fehler und verlor zunehmend an Rennpace. Trotzdem blieb es ein WM-Kampf auf Augenhöhe.
Doch schon in Spielberg, bei Rennen 11 von 22, sollte es den letzten Ferrari-Triumph der Saison 2022 geben - und der kam auch noch völlig überraschend. Nicht einmal im Qualifying, der Paradedisziplin der Scuderia, konnte man auf dem Red Bull Ring zuschlagen. Und auch das Sprintrennen ging relativ locker an Max Verstappen im Red Bull.
Am Rennsonntag dann die große - und bis heute letzte - Überraschung. Mit überlegener Rennpace und deutlich besserem Reifenverschleiß holte sich Leclerc den Sieg. Dabei ging er gleich mehrfach auf der Strecke am späteren Weltmeister vorbei.
Bis heute rätselt Red Bull, wie das passieren konnte. Im Nachhinein hätte man die letzten paar Runden des Sprints ernster nehmen sollen - Leclerc holte dort etwas auf. Allerdings hätte man am Setup ohnehin nichts ändern können, weil bereits ab der Qualifikation Parc-ferme-Regeln gelten.
Binotto macht sich lächerlich: 0 statt 10 Siege
Schon zwei Wochen später gab es allerdings einen riesigen Rückschlag im WM-Duell: Im Kampf um den Sieg flog Leclerc ab. Der damalige Teamchef Mattia Binotto machte für das Rennen eine Woche später direkt eine Kampfansage: " Wir wollen in Ungarn nicht nur einen Sieg einfahren, sondern einen Doppelsieg!"
Mit einer misslungenen Strategie landeten Carlos Sainz und Charles Leclerc auf den Plätzen vier und sechs. Das war aber nicht der peinlichste Teil von Binottos Kampfansage. In Frankreich hatte der Italiener hinterhergeschickt: "Es gibt keinen Grund, warum wir nicht von jetzt bis zum Ende zehn Rennen gewinnen können." Das wären alle verbliebenen Rennen der Saison 2022 gewesen.
Ferrari verrennt sich bei Weiterentwicklung
Aber auch nach der Sommerpause gelang Ferrari kein einziger Sieg mehr. Die operativen Fehler waren dabei nur die halbe Wahrheit. Die Ingenieure hatten sich bei der Weiterentwicklung des F1-75 verzettelt, machten aus der Roten Göttin eine Rote Diva.
Das Auto war nach wie vor schnell, allerdings funktionierte es nur noch in einem schmalen Arbeitsbereich. In der Ground-Effekt-Ära ist der maximale Abtrieb weniger entscheidend wie die Nutzbarkeit des Abtriebs. Für die Fahrer wurde der Bolide immer zickiger. Auf eine Runde konnte Leclerc die Diva noch oft genug bändigen, kein Pilot stand 2023 so oft auf Pole wie er. Im Rennen gingen ihm jedoch jedes Mal die Reifen ein.
Binotto soll gehen - Seidl und Horner wollen nicht kommen
Weil sich die Situation nicht besserte, musste Mattia Binotto am Ende der Saison seinen Hut nehmen. Schon kurz zuvor versank Maranello mal wieder im Chaos. Die Bosse des Autobauers hatten bei Red-Bull-Teamchef Christian Horner und dem damaligen McLaren-Teamchef Andreas Seidl angefragt.
Sowohl Horner, als auch Seidl lehnten ab. Horner für Extra-Millionen bei Red Bull, Seidl, weil er bereits Audi in Sicht hatte. Den Schleudersitz bei Ferrari wollten sich beide nicht antun. Ferrari hatte Binotto eigentlich schon so gut wie gefeuert, hatte aber keinen Nachfolger. Mit Fred Vasseur, dem damaligen Sauber-Teamchef, fand man zumindest eine Alternative.
Doch auch der Franzose agiert in Italien bislang glücklos. Auch wenn er es vermied, nach außen hin den Anschein zu erwecken, schnell Änderungen in Maranello durchzusetzen: Das Umkrempeln der Strategie-Abteilung war ein deutliches Zeichen.
Ferrari 2023 mit gleichen Problemen
Tatsächlich funktioniert die Strategie 2023 deutlich zuverlässiger, doch die Probleme am Auto blieben. Der SF-23 ist eine konsequente Weiterentwicklung mit den gleichen Problemen des späten F1-75: Quali hui, Rennen pfui. Nur dass Red Bull in der Zwischenzeit auch einen Sprung in der Qualifikation gemacht hatte. Das Übergewicht war Ferrari längst losgeworden.
Ferraris Problem ist, dass nun auch Aston Martin und Mercedes im Renntrimm meist schneller sind. Dazu gesellen sich zu viele Fehler von Charles Leclerc und Carlos Sainz. Vor allem Leclerc scheint mit der Scuderia zunehmend zu verzweifeln. Fehler schleichen sich immer wieder ein.
Währenddessen bleibt die Mythosmarke eine Großbaustelle. Ein Formel-1-Team ist schwerfällig wie ein großer Dampfer. Ein Team mit knapp 2.000 Angestellten umzukrempeln, braucht Zeit. Ferrari ist die Ever Given und steckt gerade im Suezkanal. Während der Kapitän an Bord bleibt, springen erste Besatzungsmitglieder ab. Mit David Sanchez ging der Konzept-Chef zurück zu McLaren, Sportdirektor Laurent Mekies befindet sich im Absprung zu AlphaTauri.
Später Konzeptwechsel Ferraris Lösung?
Währenddessen versucht man fieberhaft, Hochkaräter von der Konkurrenz abzuwerben. Doch lange Sperrfristen verhindern das Wendemanöver im Suezkanal. Ein erster Schritt der Wende wurde immerhin beim aerodynamischen Konzept eingeleitet. In Barcelona kam die Scuderia völlig überraschend mit neuen Seitenkästen, die dem Red-Bull-Prinzip zumindest angelehnt sind.
Die vollen Vorzüge des Konzepts wird Ferrari aber erst 2024 genießen können. Die unterliegende Architektur hindert die Ingenieure daran, das Karbonkleid maßzuschneidern. Kühlsysteme und Seitenaufprallstrukturen müssen neu angeordnet werden - vieles kann nur über den Winter geschehen.
Es gibt sie aber immer wieder, die Anflüge der Besserung. In Aserbaidschan stimmt die Quali-Pace plötzlich wieder. Die Pole erkaufte sich Leclerc aber auch mit einem Crash. In Monaco fehlten nur Tausendstel zur Pole - Leclerc wurde aber dann rückversetzt, weil sein Renningenieur vergaß, dass noch andere Piloten auf Zeitenjagd waren.
Den letzten Anflug von Besserung gab es in Montreal. Nach völlig verpatztem Qualifying kämpften sich Leclerc und Sainz mit mutiger Strategie und starker Pace nach vorne. Für Red Bulls Motorsportchef Dr. Helmut Marko war der Ferrari sogar das schnellste Auto - nur Verstappen soll den Unterschied ausgemacht haben.
Ist die Scuderia gerade dabei, die Kurve wieder zu kriegen? Versteht man das Update nun und kann es umsetzen? Oder waren es nur die einzigartigen Bedingungen in Montreal, gepaart mit einer wenig repräsentativen Strecke und Probleme bei der Konkurrenz? Spielberg, der Ort von Ferraris letztem Triumph, könnte die Antwort liefern.
Formel 1 WM-Stand 2023: Die Team-Tabelle
- 1. Red Bull/Honda RBPT (321 Punkte)
- 2. Mercedes (167 Punkte)
- 3. Aston Martin/Mercedes (154 Punkte)
- 4. Ferrari (122 Punkte)
- 5. Alpine/Renault (44 Punkte)
- 6. McLaren/Mercedes (17 Punkte)
- 7. Alfa Romeo/Ferrari (9 Punkte)
- 8. Haas/Ferrari (8 Punkte)
- 9. Williams/Mercedes (7 Punkte)
- 10. AlphaTauri/Honda RBPT (2 Punkte)
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