Der Monaco GP war lange Zeit die erwartet Prozession, doch ein kurzer Regenschauer brachte plötzlich Würze in das sechste Rennen der Formel-1-Saison 2023. Nach einer überlegenen Vorstellung musste Max Verstappen um seinen Sieg kämpfen. Fernando Alonso hätte die Sensation mit der richtigen Strategie schaffen können - oder doch nicht? Die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse schafft Aufklärung.

Um das Chaos ab Runde 50 zu verstehen, muss man ganz an den Anfang springen. Red Bull und Verstappen hatten sich dazu entschieden, den Grand Prix von Pole Position aus auf den Medium-Reifen aufzunehmen. Aston Martin wählte für den auf Platz zwei startenden Alonso den harten C3-Reifen.

Der Sprint zur ersten Kurve ist in Monaco der Kürzeste des Kalenders, Foto: LAT Images
Der Sprint zur ersten Kurve ist in Monaco der Kürzeste des Kalenders, Foto: LAT Images

Beide Strategien bergen Chancen und Risiken. Weil Aston Martin nicht damit rechnete, Verstappen auf dem kurzen Sprint zu Kurve eins überholen zu können, ging man am Start auf die härteren Reifen.

Diese Strategie ist gefährlich, wenn es früh im Rennen ein Safety Car gibt. Das wird in Monaco meist für den einzigen Boxenstopp genutzt. Dann hätte Alonso den Rest des Rennens auf den Medium-Reifen fahren müssen.

Gleichzeitig ergeben sich durch den Start auf Hard auch Chancen. In Monaco gingen ungewöhnlich viele Piloten auf dem C3-Pneu ins Rennen. Neun Fahrer, also fast die Hälfte des Feldes wählte den weiß markierten Reifen. Der Grund war die Wetterprognose: Regen in der späteren Phase des Rennens drohte. Wer den ersten Stint in die Länge zieht, spart sich dann vielleicht einen Boxenstopp, wenn Regenreifen nötig werden.

Verstappen fährt Medium-Reifen wie Hard

In der Analyse von Reifenausrüster Pirelli prognostizierte man ein Boxenstoppfenster von Runde 30 bis 38 für die Medium-Reifen. Bei den Hard-Startern rechnete mit einem Besuch in der Boxengasse zwischen Runde 53 und 58.

Max Verstappen fuhr auf seinen Mediums deutlich länger und klagte am Boxenfunk lautstark darüber. Aber Red Bull wollte den Weltmeister partout nicht zum Reifenwechsel reinholen, obwohl der Vorsprung groß genug war, um auch bei einem späteren Safety-Car-Stopp von Alonso noch die Führung zu behalten. Dafür gab es zwei Gründe.

Auf der Strecke war Max Verstappen nicht zu schlagen, Foto: LAT Images
Auf der Strecke war Max Verstappen nicht zu schlagen, Foto: LAT Images

Bei einer Rennunterbrechung - in Monaco muss man immer mit dem Worst Case rechnen - hätte Alonso einen kostenlosen Reifenwechsel bekommen. Deshalb galt es für Red Bull, die Track Position nie herzugeben, um alle Eventualitäten abzudecken. Gefährlich wurde das aus zwei Gründen nicht: Einerseits war die Rennpace so überlegen, dass Verstappen auch auf den alten Mediums noch schnell genug war.

Andererseits war die Empfehlung mit einem Stopp bis Runde 38 aus Pirelli-Sicht rein auf die Performance bezogen. Sicherheitsbedenken gab es bei einem längeren Stint nicht. Der Verschleiß hält sich bei den niedrigen Kräften im Fürstentum stark in Grenzen.

Monaco-Regen beschert Alonso Siegchance

Der zweite Grund, weshalb man draußen bleib, trat gegen Runde 50 ein. Da berichteten Piloten erstmals über einsetzenden Regen. Den Extra-Stopp wollte man sich ersparen - wie eigentlich auch Aston Martin, weshalb man ja überhaupt auf den harten Reifen gestartet war.

Doch Fernando Alonso holte sich in Runde 54 tatsächlich frische Mediums ab, statt auf Intermediates zu gehen, wie die meisten anderen Piloten zu dieser Zeit. Nur eine Runde später kam Alonso noch einmal an die Box und holte sich dann doch die Intermediates ab. Entgegen der Darstellung im Live TV war es kein Versehen, Aston Martin und Fernando Alonso hatten sich aktiv für die Slicks entschieden.

Fernando Alonso verließ die Box zuerst auf Mediums, Foto: LAT Images
Fernando Alonso verließ die Box zuerst auf Mediums, Foto: LAT Images

Entsprechend stellt sich die Frage, was passiert wäre, hätte Alonso sofort auf die richtigen Reifen gesetzt. Hätte er den Monaco GP gewinnen können? Blickt man in die Zeitnahmedokumente der FIA, lag Alonso am Ende von Runde 53 13,3 Sekunden hinter Verstappen. Am Ende von Runde 54 kam er an die Box, deshalb gibt es für diese Runde keinen verbrieften Wert.

Alonso kürzt Schikane ab und gewinnt viel Zeit

Doch Sektorzeiten und die Zeitnahme der Formel 1 in den Minisektoren helfen. Tatsächlich holte Alonso in seiner Inlap gewaltig auf. Verstappen wusste um seinen Vorsprung und ging etwas weniger Risiko ein. Unmittelbar bevor Alonso in die Boxengasse abbog, hatte er nur noch 8,1 Sekunden Rückstand. Gut die Hälfte der fünf Sekunden in dieser Runde hatte der Spanier gewonnen, indem er in der Hafenschikane geradeaus gefahren war.

Verstappen kam in Runde 55 und wechselte auf Intermediates. Es war sein einziger Reifenwechsel, doch der kam etwas zu spät. Der optimale Moment, um zu wechseln, wäre zwischen Runde 53 und 54 gewesen. Alonso verlor durch den zusätzlichen Boxenstopp nicht nur die Extra-Standzeit, sondern auch den optimalen Crossover-Point. Auch er wechselte dadurch zu spät.

Innerhalb weniger Minuten stand die Passage vor dem Tunnel unter Wasser, Foto: LAT Images
Innerhalb weniger Minuten stand die Passage vor dem Tunnel unter Wasser, Foto: LAT Images

In der ersten Runde nach den Boxenstopps von Verstappen und Alonso registrierte die Zeitnahme einen Abstand von 23,1 Sekunden. Doch der ist nicht relevant für die Frage, ob Alonso ohne den Zusatz-Stopp vor Verstappen gekommen wäre. Alonso hatte eine relativ langsame Outlap nach dem zweiten Stopp. Am Boxenausgang lagen nur 20 Sekunden zwischen dem Spanier und dem Niederländer.

Falsche Strategie kostet Alonso den Monaco-Sieg

Und wie viel Zeit hat Alonso durch den zusätzlichen Boxenstopp verloren? Der Zeitverlust errechnet sich durch den Stopp selbst und die falsche Reifenwahl für die eine Outlap. Die Outlap ist eine Variable. Lewis Hamilton schaffte die Outlap in 1:39,604 Minuten. Alonso benötigte dafür (inklusive Zusatz-Stopp) 2:06,635 Minuten - 27 Sekunden länger!

Alonso hätte mit einem direkten Wechsel auf Intermediates in Runde 54 die Führung mit großer Wahrscheinlichkeit übernommen. Rückblickend war die Aston-Martin-Strategie ein völliges Desaster - zum Zeitpunkt des Stopps gab es aber tatsächlich gute Gründe dafür.

Der Rennstall rechnete mit einem sehr kurzen Regenschauer. Deshalb wollte man nicht zu früh auf Intermediates wechseln, um anschließend nicht wieder zurück auf Slicks gehen zu müssen. Das Argument, viele andere hätten die Situation besser eingeschätzt, zählt nur bedingt.

Valtteri Bottas wechselte bereits in Runde 51 auf Intermediates. Allerdings war der Finne bereits überrundet, also erfolgte der Wechsel in Rennrunde 52. Noch immer früher als bei Alonso, Verstappen und Co? Ja, aber Bottas lag auch außerhalb der Punkteränge. Zhou Guanyu, Logan Sargeant und Alexander Albon waren nach Bottas die ersten Piloten, die wechselten. Alle lagen außerhalb der Punkteränge, alle mussten mit dem Mut der Verzweiflung etwas anderes machen.

Aston Martin: Wettervorhersage Schuld an Strategie

In Runde 54 - als schließlich auch Alonso kam - wechselten aber die meisten Piloten, die innerhalb der Punkteränge lagen. George Russell, Esteban Ocon, Lewis Hamilton, Pierre Gasly, Lando Norris und Yuki Tsunoda: Sie alle hatten Punkte zu verlieren und kamen doch zum richtigen Zeitpunkt. Allerdings fuhren sie deutlich hinter Alonso.

Russell als erster Verfolger lag rund 25 Sekunden hinter Alonso, Esteban Ocon schon mehr als eine halbe Minute. "Als ich in Runde 54 war, war die Strecke nur in zwei Kurven feucht, in der nächsten Runde war sie schon komplett nass", erklärte Alonso nach dem Rennen. Eine halbe Minute machte bereits einen großen Unterschied bei den Verhältnissen.

Dann hätte Aston Martin mit Fernando Alonso einfach eine Runde abwarten können, um sich immerhin den Zusatz-Stopp zu sparen? Sicherlich hätte man dadurch weniger Zeit verloren. Das Rennen hätte man so aber auch nicht gewonnen. Denn dann hätte Alonso genau das gleiche wie Verstappen gemacht.

Trotz der suboptimalen Entscheidung regnete es am Ende Champagner, Foto: LAT Images
Trotz der suboptimalen Entscheidung regnete es am Ende Champagner, Foto: LAT Images

Mit frischen Mediums bei feuchten Bedingungen hätte Alonso viel Zeit auf Verstappen gutmachen können, das war der Hintergedanke beim Wechsel. "Unser Problem war eine Fehleinschätzung beim Wetter", analysierte Teamchef Mike Krack passend. Die Strategie machte durchaus Sinn, nur passte sie nicht zur Wetterentwicklung. Als groben Fehler kann man das den Ingenieuren nicht anlasten - denn Abwarten - wie es auch Red Bull machte - hätte überhaupt nichts am Ausgang des Rennens geändert.