Seit die Formel 1 in Saudi-Arabien gastiert, und dafür Auftrittsgagen in Millionenhöhe kassiert, steht der Grand Prix in Jeddah stark in der Kritik. Der Vorwurf: Doppelmoral und Sportswashing. Im Vorjahr kamen, nach einem Raketenangriff im FP1, noch Sicherheitsbedenken hinzu. Es heißt, die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien seien nicht vereinbar mit dem Weltverbesserer-Image, dass die Formel 1 seit Jahren versucht sich aufzubauen. Zugleich soll die Königsklasse beträchtlich dabei helfen, durch den Grand Prix in Jeddah das Image des Landes aufzupolieren.

Bereits zum Start der Formel-1-Saison 2023 wanden sich Menschenrechtsorganisationen und eine Gruppe britischer Politiker in zwei separaten, offenen Briefen an das Führungspersonal der F1. Darin wurden die Rennen in Bahrain und Saudi-Arabien stark verurteilt. "Multimillionen-Dollar-Profite dürfen nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen", lautet der Appell an die Entscheidungsträger der Königsklasse.

Darauf antwortete die FIA: "Wir glauben, dass das vorderste Ziel des Motorsports und des gesamten Sports darin besteht, die Gemeinsamkeiten zu vergrößern und die Prinzipien der Zusammenarbeit zu pflegen. Die FIA kann sich, wie andere internationale Sportverbände auch, nicht in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einmischen."

Saudi-Arabien: Zwischen glamourösen Sportevents und Hinrichtungen

Im letzten Jahr wurden in Saudi-Arabien an einem einzigen Tag 81 Menschen hingerichtet. Bei der Hälfte davon handelte es sich um Personen, die gegen die Regierung protestierten, um mehr Mitspracherecht in der Politik zu fordern. Die Massenhinrichtung fand nur knapp zwei Wochen vor dem Saudi-Arabien-GP 2022 statt.

Die Hinrichtungszahlen im Land gehören weiterhin zu den höchsten weltweit. "Während das Königreich glamouröse Sport- und Entertainment-Events abhält, hat die Saudi-Regierung das Unterbinden von friedlichen Widersprüchen verstärkt und ihre Hinrichtungen in die Höhe geschraubt", schreibt Joey Shea, Expertin für Saudi-Arabien bei Human Rights Watch, auf Twitter.

Auf die prekäre Situation für LGBTQI+-Personen im Land machte Lewis Hamilton bereits 2021 aufmerksam und trug aus Solidarität einen Regenbogen-Helm. Das Symbol der LGBTQI+-Community ist in der Saison 2023 dauerhaft auf dem Schutzhelm des siebenfachen Weltmeisters zu sehen.

Hamiltons Regenbogen-Helm in Saudi-Arabien 2021, Foto: LAT Images
Hamiltons Regenbogen-Helm in Saudi-Arabien 2021, Foto: LAT Images

Formel 1 in Saudi-Arabien: Mittäterschaft durch Schweigen

Trotz der zahlreichen Kritik hält Formel-1-Boss Stefano Domenicali am Saudi-Arabien-GP fest: "Die F1 ist in ihrem Vorhaben viel stärker, weil wir vor Ort sind, um die Situation zu beobachten. Ich glaube fest daran, dass wir den Druck auf die richtige Weise ausüben müssen. Wenn du von Menschen respektiert werden willst, die anders denken als du, ist es am besten, sie nicht anzuprangern. Wir müssen keine Barrieren schaffen. Der Sport hat das Potential einen Kontaktpunkt zu schaffen, anstatt Verschiedenheiten zu verstärken."

Dass die reine Präsenz der Formel 1 in Saudi-Arabien zur Verbesserung der Menschenrechtssituation führt, bezweifelt Shea. "Wenn die Formel 1 in einem Land gastiert, das schlimme Menschenrechtsverletzungen begeht, und sich dagegen nicht äußert, dann ist sie kein neutraler Akteur. Sie hilft aktiv dabei, die Misshandlungen des Landes zu beschönigen."

Ähnlich sieht das Yasser al-Khayyat, dessen Bruder bei der Massenhinrichtung 2022 getötet wurde. Laut Bericht des Guardians wand sich dieser am Donnerstag in einem Brief an Domenicali. "Schweigen ist Mittäterschaft", heißt es darin. "So kommt das Regime mit ihren Schreckenstaten davon und unterbindet Rufe nach demokratischen Reformen. Wenn die Formel 1 wirklich eine Kraft des Wandels sein will, anstatt eines Werkzeugs zum Sportswashing, muss das Schweigen der F1 beendet werden."

Der Großteil der Formel-1-Piloten tut das in der Medienrunde am Donnerstag nicht. Stattdessen äußert sich lediglich Hamilton zu den Menschenrechtsverletzungen im Land. Kevin Magnussen, Esteban Ocon und auch Lance Stroll hingegen versichern, dass sie der Formel 1 und der FOM vertrauen, und sich auch nach dem Raketenangriff im Vorjahr sicher fühlen. "Ich freue mich zurück zu sein", sagt Sergio Perez und geht mit der Rechtfertigung Domenicalis d'accord. "Als Sport können wir stolz darauf sein, hierher zu kommen und dem Land zu helfen, sich weiter zu entwickeln."