2022 blieb in der Formel 1 technisch kaum ein Stein auf dem anderen. Auf Chassis-Seite war diese Saison ein Paradigmenwechsel. Auf Antriebsseite blieb aber fast alles beim Alten: Das Technische Reglement hatte sich bei Motor und Getriebe seit 2014 kaum verändert. Nur die natürliche Entwicklungskurve hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Motoren heute über 1.000 PS haben - das Regelwerk blieb stabil.

Trotzdem waren die Antriebseinheiten 2022 deutlich unzuverlässiger als in der jüngeren Vergangenheit. Insgesamt wurden 2022 562 Motorkomponenten eingesetzt. In der Vorsaison, als ebenfalls 22 Grands Prix ausgetragen wurden, reichten den 10 Teams für ihre 20 Autos noch 518 Einheiten.

Formel 1: Eingesetzte Motorkomponenten 2021 vs. 2022

ICETCMGU-HMGU-KESCEEX
2021797676594951128
2022938483775156118
Veränderung [%]+17,7+10,5+9,2+30,5+4,1+9,8-7,8

ICE: Internal Combustion Engine, Verbrennungsmotor
TC: Turbocharger, Turbolader
MGU-H: Motor Generator Unit - Heat, E-Motor am Turbo
MGU-K: Motor Generator Unit - Heat, E-Motor an der Kurbelwelle
ES: Energy Story, Batterie
CE: Control Electronics, Steuergeräte
EX: Exhaust, Auspuffkrümmer

Noch drastischer wird der Anstieg, wenn man die Abgasanlage vor dem Turbolader ausklammert. Denn die Krümmer waren 2022 die einzigeen Komponenten, die rückläufig waren. Viele Teams nutzten das Kontingent hier nicht ansatzweise aus. Fünf der acht Mercedes-Piloten begnügten sich mit drei Krümmer - acht wären erlaubt. Nur die Ferrari-Fahrer nutzten das Kontingent komplett.

Bei allen anderen Komponenten war der Verschleiß aber deutlich höher als 2021. Das neue Benzin - der Ethanolgehalt stieg von 5,75 auf 10 Prozent - und die starken Erschütterungen durch Porpoising und die steiferen Fahrwerke waren nicht hilfreich, aber eher untergeordnete Faktoren. Auch die Probleme mit der neuen Einheits-Benzinpumpe von Bosch waren schnell aussortiert.

Motoren-Freeze zwingt Ferrari und Alpine zu Risiko

Grund für die schlechter werdende Zuverlässigkeit war der Motoren-Freeze, der 2022 schrittweise eingeführt wurde. Am 1. März wurde ein Großteil des Motors eingefroren, am 1. September mit MGU-K, Batterie und den Steuergeräten noch die letzten Komponenten. Bis Ende 2025 dürfen die Power Units nur noch geringfügig verändert werden. Und selbst geringfügig nur, wenn die Änderungen der Kostenersparnis oder der Zuverlässigkeit dienen. Zu Installationszwecken darf das Packaging leicht angefasst werden.

Aus Angst, vier Jahre mit einer unterlegenen Power Unit zu fahren, gingen die Hersteller vor der Homologationsdeadline größere Risiken als sonst ein. "Wir sind ein ziemlich hohes Risiko eingegangen", sagt Renaults Motorenchef Remi Famin sogar und erklärt: "Das Risiko bestand darin, den Motor so lang wie möglich zu entwickeln und nicht den normalen Validierungsprozess zu durchlaufen."

"Wir wollten bis zum allerletzten Moment pushen. Vielleicht war es dann zu spät, weil wir ein paar Probleme hatten. Wir haben spät vor der Saison noch Modifikationen am Motor vorgenommen", so Famin. Renault musste noch mehr Risiko eingehen, weil man in den Jahren zuvor beim Motor wieder zurückgefallen war. Deshalb kam auch ein komplett neues Konzept zum Einsatz. "Wir wollten wieder zurück im Spiel sein. Wir mussten bei der Performance okay sein, Zuverlässigkeitsprobleme können wir noch lösen."

Im Winter sollen die letzten Zuverlässigkeitsprobleme gelöst werden, dann werden alle Ressourcen in Richtung Entwicklung des neuen Formel-1-Antriebs für 2026 verschoben. Bei Renault soll allen voran eine neue Wasserpumpe Abhilfe gegen die Zuverlässigkeit schaffen. Zwar waren die Zuverlässigkeitsprobleme bei den Franzosen vielfältig, das größte Problem aber gab es an der Wasserpumpe.

Durchschnittliche Motorkomponenten pro Hersteller 2022

ICETCMGU-HMGU-KESCEEX
Mercedes3,43,43,43,32,32,33,5
Honda54,34,34,32,82,87
Ferrari5,75,254,32,33,28,2
Renault64,54,54446,5
Erlaubt3333228

Tatsächlich erwischte es Renault bei der Zuverlässigkeit am härtesten. Beide Piloten brauchten jeweils sechs Verbrennungsmotoren. Nur die ersten drei waren straffrei. Die Wasserpumpe sorgte dabei für Ausfälle und Überhitzungsprobleme. Die Statistik hinkt etwas, weil Renault nur das Werksteam beliefert. Ferraris Werksteam benötigte auch jeweils sechs Verbrennungsmotoren. Die Kunden konnten oder mussten teilweise mit weniger Motoren durch die Saison.

Wie ernst die Probleme aber auch bei Ferrari waren, zeigte sich in der Leistung. Nach den ersten Problemen bestritt der damalige Teamchef Mattia Binotto noch, dass man in Folge der Defekte die Motorleistung reduzieren musste. Nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi gab er zu, dass man den Ferrari-V6 nicht mehr so aggressiv betrieb und dafür Leistungseinbußen hinnehmen musste.

Formel-1-Saison 2022: Gesamtübersicht der Motorkomponenten

FahrerICETCMGU-HMGU-KESCEEX
Russell4444334
Hamilton4444224
Verstappen5444337
Perez5333227
Leclerc6655349
Sainz6556348
Ricciardo3333223
Norris4443335
Alonso6554446
Ocon6444447
Gasly4444337
Tsunoda6666337
Stroll3333223
Vettel3333223
Albon3333223
Latifi3333223
Bottas6774238
Guanyu5443238
Magnussen6554228
Schumacher5444238

Ferrari und Alpine hatten bei der Motorleistung den größten Aufholbedarf und 2022 die meisten Zuverlässigkeitsprobleme - kein Zufall. Honda hatte zu Beginn der Saison mit Kinderkrankheiten zu kämpfen, wobei der Doppel-Ausfall beim Saisonstart in Abu Dhabi kein Motorenproblem war. Trotzdem brauchten alle Honda-Piloten ebenfalls zusätzliche Motoren.

Nur Mercedes blieb von Zuverlässigkeitsproblemen weitestgehend verschont. Das Werksteam musste zwar ebenfalls Strafversetzungen hinnehmen, allerdings weniger als Ferrari, Alpine und Red Bull. Bis auf Daniel Ricciardo schafften es außerdem alle Mercedes-Kunden mit dem angestammten Kontingent durch die Saison. Lando Norris, Sebastian Vettel, Lance Stroll, Alexander Albon und Nicholas Latifi waren die einzigen Piloten, die keine Motoren-Strafen kassierten.

Ausfallquote 2022 deutlich höher - aber noch gut

Auch wenn 2022 mehr Motorkomponenten benötigt wurden als in der Vorsaison: Nicht alle Wechsel gingen mit spektakulären Motorschäden wie jenen von Ferrari in Spielberg oder Baku einher. Viele Teile wurden auch vorsorglich gewechselt. Trotzdem ging die Ausfallquote aufgrund von Technischen Defekten in der neuen Ära schlagartig nach oben.

36 Technik-bedingte Ausfälle zählte die Formel 1 in der abgelaufenen Saison. Das entspricht einer Ausfall-Quote von 7,2 Prozent (inklusive Sprintrennen). Im Vorjahr, als die Autos am Ende der Regelperiode immer zuverlässiger wurden, zählten wir nur 19 technische Defekte, die zur Rennaufgabe führten. Das entsprach einer Quote von 3,8 Prozent.

Historisch gesehen war die Ausfallquote aber auch 2022 überwältigend gut. Rennen, bei denen die Hälfte der Autos am Streckenrand parkte, waren früher keine Seltenheit. Extrem gute Prüfstände verlagern die Defekte heutzutage von der Rennstrecke in die Fabriken.