Das große Formel-1-Projekt Aston Martin steht noch in seinen Startlöchern: Neue Fabrik, neuer Windkanal, gerade erst verpflichtete Fachkräfte wie Dan Fallows (von Red Bull gekommen) - all das wird wohl erst in den nächsten Jahren so richtig Früchte tragen. Und dennoch kann das Team 2022 nach Platz sieben in der WM-Wertung und nur 55 eingefahrenen Punkten keine Ausrede suchen, denn die Saisonziele wurde klar verfehlt. Sebastian Vettel fuhr im letzten Karrierejahr mit dem AMR22 den wohl schlechtesten Dienstwagen seit seinem Toro-Rosso-Debüt 2007. Die Aston-Martin-Bilanz.
So startete Aston Martin in die neue Formel 1: Einfach nur katastrophal war der Saisonstart. Das neue Auto versprach laut dem Team gute Abtriebswerte im Windkanal, doch kamen diese nie auf der Strecke an. Das Porpoising bereitete dem Team aus Silverstone ähnlich große Probleme wie Mercedes. Dazu kam noch eine Corona-Erkrankung von Speerpitze Vettel an den ersten beiden Rennen und ein rabenschwarzes Wochenende in Melbourne. Im Albert Park zeigten sich weder die Fahrer noch die Technik wirklich formel-1-tauglich. Aston Martin musste wieder von Null beginnen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn nach drei Rennen hatten sie als einzige keine Punkte vorzuweisen.
Die Saison begann ab Barcelona quasi von neuem. Aston Martin schwenkte auf das aerodynamische Konzept um, das auch Red Bull am Weltmeisterauto verwendete. Die Verbesserung kam nicht sofort, aber sie kam. Das Porpoising wurde Schritt für Schritt weniger und das Auto stabiler. Während Vettel in Saisonhälfte Eins auf seinen Spezialstrecken in Monaco und Baku noch die Kohlen aus dem Feuer holen musste, entwickelte sich Aston Martin nach der Sommerpause zur sechsten Kraft im Feld. Vettel und Lance Stroll holten von Spa an fast doppelt so viele Punkte als noch vor der Sommerpause. Das Team verbesserte sich von Rang Neun der Konstrukteurswertung auf Rang Sieben und verpasste dabei den sechsten Platz nur aufgrund des besseren Einzelergebnisses bei Alfa Romeo. Nur 55 Punkte waren dennoch deutlich weniger als die 77 aus dem Vorjahr und damals verlor Vettel auch noch weitere 18 Zähler durch die Disqualifikation in Ungarn.
So entwickelte sich Aston Martin 2022: Wer ganz unten anfängt, der hat auch das größte Steigerungspotential. Aston Martin muss jedoch zugutegehalten werden, dass sie dieses auch umsetzten. Der Wechsel von stark unterschnittenen Seitenkästen zum 'Downwash-Prinzip' ala Red Bull ist dem Team gelungen. Nach und nach konnten dem AMR22 Probleme und Schwächen ausgetrieben werden. Im Rennen war das Auto schnell und reifenschonend. Das größte Problem verblieb jedoch fast bis zum Saisonende: Das Qualifying. Aston Martin konnte einfach nicht genug Temperatur in den Pirellis für eine schnelle Runde generieren.
Erst zum Saisonendspurt schien auch hier zumindest eine leichte Verbesserung eingetreten zu sein: In drei der letzten fünf Rennen kam ein Aston Martin ins Q3. Allerdings muss für den Saisonabschluss auch hinterfragt werden, inwiefern hier der Vettel-Faktor eine Rolle spielte. In seinen Abschiedsauftritten fuhr der Heppenheimer noch einmal befreit auf und distanzierte Lance Stroll deutlicher als zuvor. Der wirklich große Schritt nach vorne gelang dem Team trotzdem nie: Kein einziges Mal drangen beide Autos bis in Q3 vor und nie gab es eine bessere Rennplatzierung als den sechsten Rang.
Das ist Aston Martins größte Stärke: Die neu gewonnene Einstellung und Anpassungsfähigkeit. Als das erste Auto-Konzept nicht funktionierte, wechselte Aston Martin kurzerhand auf das zweite. Als Sebastian Vettel seinen Rückzug erklärte, wurde sofort Fernando Alonso verpflichtet. In Silverstone werden keine Ausreden mehr gesucht. Lawrence Stroll hat im Gegensatz zum Saisonbeginn 2021 nicht gedroht die FIA zu verklagen, stattdessen gab es das Vertrauen in den neuen Teamchef Mike Krack und der arbeitete alles auf, was es aufzuarbeiten gab.
Obwohl das Auto deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, gibt es bei Aston Martin mittlerweile einen Fahrplan. Investitionen werden getätigt, aber nicht mehr auf Teufel komm raus, sondern mit Verstand. Krack hat beispielsweise die gewaltige Rekrutierungsrate beim neuen Personal heruntergefahren. Die Erkenntnis war, dass es besser ist ein paar Ingenieure gut einzuarbeiten und zu integrieren, als Unmengen von Neulingen in ein Projekt zu schmeißen. Aston Martin sucht den Erfolg nicht mehr mit dem Vorschlaghammer sondern mit Augenmaß und dem Blick auf die langfristige Perspektive.
Das ist Aston Martins größte Schwäche: Bei aller Anerkennung für Aston Martins Entwicklung im Saisonverlauf blieb das Hauptproblem doch bis zum Ende bestehen: Das Qualifying. Vettel schaffte es fünfmal ins Q3, doch blieb er zehnmal schon in Q1 hängen. Lance Stroll flog sogar zwölfmal im ersten Qualifyingsegment raus und kam nur dreimal in die letzte Runde. Guter Rennspeed hin, leichteres Überholen durch die neuen Regeln her: Wer von Platz 17 startet und nicht in einem Red Bull, Ferrari oder Mercedes sitzt, der wird im Rennen kaum noch Punkten können.
Mike Krack ist sich der größten Baustelle des Teams bewusst. Auch in der neuen Formel 1 sind die alten Effekte der Dirty Air und deren Einfluss auf das Reifenmanagement vorhanden. Als Stroll in den USA von Platz sieben startete, merkte er laut Krack sofort den Unterschied: "Was sehr wichtig ist und oft unterschätzt wird, ist das Fahren in sauberer Luft. Wenn dir ein gutes Qualifying gelingt, dann kannst du in sauberer Luft im Rennen fahren und die Reifen ohne Störung managen. Lance hat mir das bestätigt, dass dann alles viel einfacher wird, als wenn du die ganze Zeit in Zweikämpfe verwickelt bist."
2022-Schlussstrich für Aston Martin: Der Start in die neue F1-Ära ist Aston Martin misslungen. Dem deutlichen Rückschritt von 2020 auf 2021 ist in der abgelaufenen Saison ein weiterer gefolgt. 55 Zähler bedeuten die schlechteste Ausbeute für das Team aus Silverstone seit der Einführung des aktuellen Punkteschlüssel 2010 und das auch noch, obwohl mit 22 Rennen so viele Punktechancen wie sonst nur 2021 zur Verfügung standen. 2018 gingen bei Racing Point zwar nur 52 Punkte aus neun Rennen in die Wertung, doch unter dem Namen Force India hatte der VJM11 zuvor bereits 59 Zähler eingefahren. Da hilft es auch nicht, dass Platz 6 und damit eine Verbesserung zur Vorjahresposition nur um das bessere Einzelergebnis im Vergleich zu Alfa Romeo verpasst wurde.
Trotz der Fehleinschätzung des Teams in Sachen Porpoising und der mageren Punktausbeute erweckte Aston Martin unter der Führung des neuen Teamchefs Mike Krack dennoch einen anderen Eindruck als noch im Vorjahr. Die Entwicklung des Teams über die Saison hinweg ist bemerkenswert. Es werden keine Ausreden mehr gesucht, sondern an den eigenen Schwächen gearbeitet. Die Verpflichtung von Fernando Alonso nach Vettels Rücktrittsentscheidung war ein sehr wichtiges Signal: Aston Martin nimmt seine Mission ernst. Neben Krack ist aber auch Lawrence Stroll zu nennen. Der Teambesitzer machte trotz der schlechten Ergebnisse keine Schlagzeilen. Er scheint mittlerweile begriffen zu haben, dass Aston Martin ein langfristiges Projekt ist. Die ersten Weichen wurden 2022 schon gestellt, doch muss 2023 die Trendwende endgültig bestätigt werden und das heißt deutlich mehr Punkte und mindestens Platz sechs hinter den Topteams sowie Alpine und McLaren.
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