"20 Sekunden können verdammt lange sein, aber sie können auch sehr kurz sein", sagt einer, der es wissen muss. Fabio Nobis ist seit über 30 Jahren Chef der Feuerwehrbrigaden an den Rennstrecken von Monza, Mugello und Imola. Bei jedem Rennen ist er vor Ort. Der heute 66-Jährige erinnert sich zurück an die größte Prüfung für ihn und seine Mannen. Was war geschehen?

Es war der 23. April 1989. Auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari in Imola fand der Große Preis von San Marino statt. Sportlich schrieben die dominierenden McLaren-Hondas von Ayrton Senna und Alain Prost die x-te Episode ihres Privatduells an der Spitze. Doch an diesem Sonntag sollte jemand anderes dafür sorgen, dass die Formel-1-Welt den Atem anhielt.

Die vierte Runde brach an und die Augen richteten sich auf den Fünfplatzierten. Gerhard Berger im Ferrari konnte in der Tamburello-Kurve nicht mehr einlenken und flog ab, bei 280 km/h. Der Wagen des Österreichers krachte mit voller Wucht in die Streckenbegrenzung und schlitterte an der Wand entlang, bis er zum Stehen kam. Das Schlimmste stand dem Ferrari-Piloten jedoch noch bevor.

Entsetzliche Bilder: Gerhard Berger erlebte einen Horror-Crash, Foto: LAT Images
Entsetzliche Bilder: Gerhard Berger erlebte einen Horror-Crash, Foto: LAT Images

Nobis erinnert sich auch über 30 Jahre später, als wäre es gestern gewesen: "Ich war bei der Rennleitung, als wir das Auto in die Mauer krachen sahen." Dort wusste noch niemand, was folgen sollte: "In diesem Moment dachten wir nicht, dass es zu einem Feuer kommen würde. Das war uns noch nicht klar. Plötzlich, als das Auto zum Stillstand kam, sahen wir einen Feuerball aus dem Auto aufsteigen." In den folgenden Momenten zeigten die italienischen Streckenposten ihre Klasse. "Unsere Männer, die speziell für diese Vorfälle trainiert wurden, kamen sofort von ihren Posten. Drei waren zu Fuß unterwegs und dann kam unmittelbar danach auch ein Fahrzeug, das 100 Meter vor der Unfallstelle stationiert war", rekonstruierte ihr Chef.

Die drei Männer waren Gabriele Vivoli, Paolo Verdi und Bruno Miniati vom Posten 3C. Trotz wenig beweglicher Schutzkleidung und einem 8 Kilogramm schweren Feuerlöscher in den Händen rannten sie in Windeseile zur 87 Meter entfernten Unfallstelle. "Die Zielvorgabe war ein Feuer innerhalb von 20 bis 25 Sekunden zu löschen. Der Startpunkt war die erste Berührung mit der Mauer. Sie haben 14 Sekunden gebraucht, bis sie mit den Feuerlöschern draufhielten. Das war das Glück für den Fahrer", berichtete Fabio Nobis.

Gerhard Berger kam trotz des heftigen Aufschlags und des Feuers mit Verbrennungen zweiten Grades und einer gebrochenen Rippe davon. Zwei Rennen später saß er bereits wieder in seinem Ferrari 640. Dies hatte er den Streckenposten zu verdanken, die gut vorbereitet waren: "Wir hatten 180 Feuerwehrleute um den Kurs verteilt. Außerdem waren etwa 30 Notfallfahrzeuge an der Strecke.

Die Organisation hat sich in dieser Situation bewährt, denn von uns hatte zuvor keiner ein solches Feuer gesehen." Nobis war bereits 1978 in Monza dabei, als der Schwede Ronnie Peterson bei einem Feuerunfall verstarb. Die Wiederholung eines solchen Szenarios wollten die Italiener unbedingt verhindern: "1989 war der Anfang der Phase, in der man versuchte, die Sicherheit der Strecken zu verbessern. Es waren nicht die Standards wie heutzutage, aber alle arbeiteten zusammen, die Automobilföderation und die Streckenbetreiber, um das Rennen so sicher wie möglich zu gestalten."

In einer Hinsicht jedoch waren die Sicherheitsvorkehrungen laut Meinung des erfahrenen Feuerwehrmanns 1989 sogar besser als bei modernen Rennveranstaltungen: "Es geschah automatisch, dass die Männer und das Fahrzeug ausrückten. Damals war das die Prozedur. Heute müssen wir auf das 'Go' des Rennleiters warten. Vielleicht muss man das verbessern. Wenn man sieht, dass etwas passiert, sollte man loslegen dürfen. Wenn ich erst die Erlaubnis abwarten muss, dann kann entscheidende Zeit verloren gehen."

Der 66-Jährige empfand es daher als gut, dass seine Mitarbeiter unaufgefordert reagierten: "Unsere Leute handelten sehr gut, denn sie haben nicht meine Entscheidung abgewartet, sondern sie sind reflexartig dorthin gerannt." Für heutige Piloten sieht Nobis daher ein großes Risiko: "Wenn ich mir überlege, wie lange das heutzutage dauert, dann wären sie vielleicht zu spät da gewesen. In diesem Moment ging aber alles so schnell, dass es gar keine Zeit zum Überlegen gab. Erst danach, als alles vorbei war, haben wir angefangen, darüber nachzudenken."

Der Ferrari war kein Spitzenauto, jedoch rettete er Bergers Leben, Foto: Sutton
Der Ferrari war kein Spitzenauto, jedoch rettete er Bergers Leben, Foto: Sutton

"Die Autos waren nicht so sicher wie heute. Der Ferrari war damals ein neues Auto mit neuer Technik. Niemand dachte, dass das so gefährlich werden könnte", erinnerte sich Nobis an das 1989er Modell der Scuderia. Der Ferrari 640 war ein Ritt auf der technischen Kanonenkugel: Innovativ und fragil zugleich. Das erste Auto der Formel-1-Geschichte mit Schaltwippen statt Ganghebel war durchaus schnell, doch fiel es fast immer aus. Gerade einmal neun Zielankünfte ins sechzehn Grand Prix konnte Ferrari verzeichnen, davon nur drei für Berger. Immerhin: Jedes Mal, wenn die Ferrari-Piloten die Zielflagge sahen, durften sie danach auf dem Podest feiern.

Trotz seines Feuerunfalls und der vielen Ausfälle erinnert sich Gerhard Berger mit Freude an seinen damaligen Dienstwagen: "Der 89er Ferrari, der war ein Traum. Der hatte schon den 12-Zylinder-Motor. Das war das John Barnard Auto, meiner Meinung nach eines der allerschönsten der Formel 1." Designer Barnard war es auch, der in einer Ferrari-internen Untersuchung den Grund für Bergers Abflug ermittelte. Eine Designschwäche am Frontflügel war von der Qualitätssicherung in Maranello übersehen worden. Besonders Brisant: Zwei Wochen später, beim Grand Prix in Monaco, verunfallte Bergers Teamkollege Nigel Mansell aufgrund desselben Defektes in der Massenet-Kurve, glücklicherweise mit weit weniger spektakulären Folgen.

Berger wurde erst nach der Karriere bewusst, welche Risiken er eingegangen war: "Als Fahrer war damals die Gefahr kein Thema. Heute, wenn man zurückdenkt, dann ist es das natürlich. In der aktiven Zeit macht man sich darüber aber keine Gedanken. Man hat gewusst, dass etwas passieren kann. Und man wusste, es passiert, bei dem was man gern macht. Aber es war nicht so, dass man gedacht hätte: Wenn ich jetzt irgendwo ausreite und die Mauer in einem falschen Winkel treffe, dann ist es vorbei. An so etwas denkt man nicht. Man steigt ein und dann ist man beschäftigt, mit dem was man macht."

Fünf Jahre später verunglückte Bergers Freund Ayrton Senna bei einem Unfall in derselben Kurve tödlich. Für den Tiroler gibt es keinen logischen Grund, warum er überlebte, und die brasilianische Formel-1-Legende verstarb: "Ich weiß es einfach zu schätzen, was ich für ein Glück gehabt habe und die anderen für ein Pech. Eigentlich habe ich größere Chancen gehabt, bei meinem Unfall zu sterben als Ayrton. Sein Winkel war besser. Er hatte nur Pech, dass das Rad abgegangen ist und ihm den Helm zerdrückt hat. Ich bin direkt in die Wand mit 280 km/h und vollen Tanks, eigentlich hatte ich ja keine Chance gehabt."

Dass er nach dem Inferno von Imola noch acht weitere Jahre in der Königklasse fuhr, verdankte Berger jedoch nicht nur Glück, sondern auch dem Einsatz der Streckenposten. Der Österreicher hat seine Lebensretter nie vergessen, wie Fabio Nobis berichtet: "Als er nach dem Unfall wieder nach Italien zurückkehrte, lud er alle Leute, die ihm nach dem Unfall geholfen hatten, nach Maranello ein. Ein paar Jahre später, als er bereits bei BMW tätig war, hat er unsere Männer in Brisighella getroffen. Das war sehr freundlich von ihm."

Beim DTM-Rennwochenende auf dem Norisring in diesem Jahr traf sich Berger erneut mit den Feuerwehr-Veteranen. All dies hing Berger jedoch nie an die große Glocke, was die Feuerwehrleute besonders schätzten: "Wir wollen keinen Ruhm oder die Anerkennung der Leute. Wir wollen einfach unsere Arbeit so gut wie möglich erledigen. Herr Berger war etwas Besonderes. Er hat nie "Danke, Danke, Danke" in der Öffentlichkeit gesagt, sondern er tat das im Privaten. Für uns ist das der beste Weg."