Max Verstappens verweigerte Teamorder war die große Geschichte des Brasilien GP. Die viel größere Geschichte ist aber der Grund dahinter, warum Verstappen seinem treuen Adjutanten Sergio Perez die Hilfe versagte. Schließlich war es der Mexikaner, der mit seinem Teamplay in der vergangenen Saison Verstappen zu Formel-1-Titel Nummer eins verhalf.

Für Verstappen ging es in Sao Paulo um absolut gar nichts mehr. Weltmeisterschaft Nummer zwei und zahllose Rekorde sind längst unter Dach und Fach. Und dann wollte der Niederländer einen sechsten Platz nicht für die Vizeweltmeisterschaft seines Teamkollegen aufgeben?

Die Szene an sich war schon eigenartig. Wie nervös das Red-Bull-Lager darauf reagierte, ließ schon erahnen, dass möglicherweise mehr dahintersteckte. Ist Max Verstappen ein so durchtriebener Egoist, dass er Perez nicht einmal die zwei Extra-Punkte gönnt? Er habe Gründe für seine Entscheidung, ließ es am Boxenfunk wissen. Über ebenjene Gründe wollte er aber in der Öffentlichkeit nicht sprechen.

Aus Verstappens Heimat sickerte jedoch schnell durch, was hinter der ignorierten Anweisung stand. Der Doppelweltmeister sei sauer auf Perez, weil der im Monaco-Qualifying seinen RB18 angeblich absichtlich in die Wand setzte. Bestätigen wollte das freilich niemand. Motorsport-Magazin.com blickt deshalb im Detail auf das, was vor einem halben Jahr im Fürstentum passierte.

Perez-Crash sichert Monaco-Start vor Verstappen

Red Bulls, und vor allem Verstappens dominante Saison 2022 war damals noch nicht absehbar. Nach zwei Ausfällen in den ersten drei Rennen reiste er mit 110 Punkten nach Monaco. Charles Leclerc lag mit 104 Zählern direkt dahinter, Sergio Perez hatte immerhin 85 Punkte auf seinem Konto.

Neben den beiden Ausfällen hatte Verstappen zu diesem Zeitpunkt mit dem Fahrverhalten des RB18 zu kämpfen. Das Übergewicht auf der Vorderachse sorgte für Untersteuern. Damit kam Perez vor allem im Qualifikationstrimm besser zurecht.

In den engen Straßenschluchten des Fürstentums ging Ferrari als Favorit ins Wochenende. Und tatsächlich zeigte sich vor allem Lokalmatador Charles Leclerc bärenstark. Red Bull war aber nicht chancenlos. Vor allem Sergio Perez war Leclerc auf den Fersen. In allen Trainings war Perez schneller als Verstappen, der mit den üblichen Problemen zu kämpfen hatte.

Auch im Q3 lag Perez nach dem ersten Schlagabtausch vor Verstappen. Leclerc führte das Ferrari-Duo an, dahinter Perez das Red-Bull-Duo. Im letzten Versuch verunfallte schließlich Perez in Portier. In der Rechtskurve vor dem Tunnel verlor er das Heck und schlug in die Streckenbegrenzung ein.

Sein havarierter Bolide stand quer auf der Strecke, Carlos Sainz konnte nicht mehr ausweichen und fuhr noch in den Red Bull. Auch ohne Sainz war klar: Rot, die Qualifikation ist mit dem Perez-Crash beendet. Somit konnte niemand mehr seine Zeit verbessern, die Reihenfolge aus dem ersten Versuch war zementiert.

Perez-Crash in Monaco in der Analyse

Tatsächlich kann man in der Onboard von Sergio Perez einen verdächtigen Gasstoß hören. "Kurve 8 war für mich während des gesamten Qualifyings schwierig. Ich versuchte die Beschleunigung besser zu antizipieren und ging schon ziemlich früh aufs Gas", erklärte Perez nach seinem Unfall. "Sobald ich auf das Gaspedal trat, spürte ich, wie der Hinterreifen keinen Grip fand. Ich spielte ein bisschen damit und dann verlor ich das Auto."

War es ein 'Spielen' mit dem Gaspedal oder doch Absicht? Tatsächlich gibt es eine erhebliche Unregelmäßigkeit in Perez' Daten. Das Motorsteuergerät schickt bestimmte Parameter in die Öffentlichkeit. Dazu gehören neben Geschwindigkeit und Gang auch Gas- und Bremspedalstellung.

In allen Runden zuvor ging Perez im zweiten Gang am Scheitelpunkt sanft aufs Gas. In den Overlays unterscheiden sich seine Runden vor dem Unfall kaum voneinander, und auch nur minimal von denen von Verstappen. Vor allem beim Rausbeschleunigen kann man quasi keine Unterschiede zwischen den Teamkollegen erkennen, bei der Kurveneinfahrt zumindest noch geringfügige.

In der Crash-Runde gibt es aber eine gravierende Abweichung. Unmittelbar, bevor Perez das Heck verlor, meldet sein Motorsteuergerät eine zu 93 Prozent geöffnete Drosselklappe. Das ist fast Vollgas. Perez stand an einer Stelle fast komplett auf dem Gaspedal, an der er in den Runden zuvor langsam damit begann, das Gaspedal zu öffnen. Weil in der Formel 1 keine Traktionskontrolle erlaubt ist, müssen die Piloten das Gas vorsichtig öffnen. Das passierte bei Perez in jeder einzelnen Runde - nur nicht beim Unfall.

Tatsächlich ist der Geschwindigkeitsverlauf in der fraglichen Runde in Portier etwas anders. Perez ist am Scheitelpunkt deutlich langsamer als in den Runden zuvor. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass er den Kurvenausgang priorisierte. "Slow In, Fast Out", eine gängige Praxis. Wer am Kurveneingang Zeit opfert, kann dafür früher aufs Gas.

Allerdings priorisieren an dieser Stelle alle Piloten den Kurvenausgang, schließlich ist in der Beschleunigungsphase deutlich mehr Zeit zu gewinnen als in der Kurvenphase. Außerdem würde die Taktik auch keinen so enormen Sprung in der Gaspedalstellung erklären.

Verstappen war schon im Qualifying auf 180, als er seine Runde abbrechen musste. "Ja, es ist schwierig, es ist Monaco, aber verdammt nochmal", funkte er aus dem Cockpit. "Das war eine ordentliche Runde bis dahin. Das sollte nicht erlaubt sein. So ist es besser, du setzt eine Runde und fährst dann in die Mauer…", schickte er hinterher.

Ein Jahr zuvor crashte Leclerc am Ende von Q3 und sicherte sich damit Pole, konnte das Rennen aber gar nicht starten, weil Ferrari nach dem Unfall eine Beschädigung übersehen hatte. Michael Schumacher wollte sich die Pole 2006 mit dem bekannten Parkmanöver in Rascasse sichern, Nico Rosberg verhinderte einst einen weiteren Versuch seines WM-Kontrahenten Lewis Hamilton, als er in Mirabeau geradeaus fuhr.

Frust im Verstappen-Lager nach Monaco

Ob es Absicht war, kann - wie so oft - nur der Fahrer sagen. Perez wird die Unregelmäßigkeiten in Abu Dhabi erklären müssen. Geschadet hat ihm das Ergebnis aber nicht. Mit etwas Strategie-Glück, Ferraris Mithilfe und einer starken Fahrt sicherte sich Red Bulls Nummer zwei den Sieg. Am gleichen Tag gab es noch eine Vertragsverlängerung für ihn. In der WM war er ebenfalls wieder mittendrin: Verstappen stand nach Monaco bei 125, Leclerc bei 116, Perez bei 110 Punkten.

Ob Absicht oder nicht, für Verstimmungen im Red-Bull-Lager sorgte die Aktion auf jeden Fall. Max Verstappens Vater Jos schrieb nach Monaco eine bitterböse Kolumne auf der eigenen Website. Darin holte er zum Rundumschlag aus. Gegen die FIA, gegen Pirelli - aber auch gegen das eigene Team.

"Red Bull erzielte ein gutes Ergebnis, hat aber gleichzeitig wenig unternommen, um Max nach vorne zu verhelfen", kritisierte Jos Verstappen. "Dem Tabellenführer, Max, wurde in dieser Hinsicht mit der gewählten Strategie nicht geholfen. Es wendete sich vollständig zu Checos Gunsten. Das war für mich enttäuschend, und ich hätte mir gewünscht, dass es für den Tabellenführer anders wäre."

Pikant: In Barcelona, nur eine Woche vor der Monaco-Aktion, musste sich Perez an eine Stallorder halten. "Okay, aber das ist sehr unfair", funkte er damals aus dem Cockpit. In Baku, nur ein Rennwochenende nach Monaco, hing der Haussegen erneut schief, als Perez P2 holte und Verstappen im Qualifying nur Dritter wurde. Der Niederländer vermisste damals den eigentlich abgemachten Windschatten seines Teamkollegen. Der aber konnte nach einem Problem beim Tanken erst verzögert aus der Box fahren.