Drei Jahre lang war Nico Hülkenberg der, um ihn der Fußballsprache zu sprechen, 'Super-Sub' bei Aston Martin bzw. Racing Point und vertrat bei insgesamt fünf Grand Prix die corona-erkrankten Sergio Perez, Lance Stroll und Sebastian Vettel. Der mittlerweile 35-Jährige Deutsche hatte zuletzt 2019 bei Renault ein Stammcockpit inne, doch 2023 kehrt er bei Haas in Vollzeit auf die Rennstrecke zurück. Besonders pikant: Er ersetzt damit seinen deutlich jüngeren Landsmann Mick Schumacher.

Obwohl Aston Martin als Ersatz für den sich verabschiedenden Formel-1-Star Sebastian Vettel mit Fernando Alonso einen weiteren Weltmeister anstatt Hülkenberg für 2023 neben Teambesitzersohn Lance Stroll ins Cockpit setzt, weiß das Team aus Silverstone die Qualitäten seines bisherigen Ersatzfahrers sehr zu schätzen. Besonders Tom McCullough kann über Hülkenberg berichten, denn der 47-jährige Brite und heutige Performance Direktor bei Aston Martin war schon zu Karrierebeginn des 'Hulk' hautnah dabei: "Ich kannte ihn schon damals bei Williams, als er noch in der Formel 3 fuhr und ich Testingenieur war und am Entwicklungsprogramm für junge Fahrer arbeitete. Ich verfolgte ihn durch die Formel 3 und dann durch die Formel 2, dann durch alle seine Tests und schließlich auch als Renningenieur bei Williams."

Naturtalent immer da, aber Hülkenberg auch lernfähig

Auch nach seinem ersten Jahr Formel 1 bei Williams 2010 musste Hülkenberg trotz einer sensationellen Pole-Position in Brasilien eine Pause einlegen. 2012 kehrte er mit Force India in die Königsklasse zurück und fand dort, unterbrochen von einem Sauber-Jahr 2013, erst einmal seine sportliche Heimat. McCullough berichtet, welche Qualität der Deutsche mitbrachte: "Eine Sache, die er immer konnte, war, sehr schnell bis zum Scheitelpunkt des Schlupfwinkels zu fahren. Er hatte eine natürliche Kontrolle über das Auto, egal ob bei Nässe oder wenig Grip, er konnte sofort dorthin fahren, wo der Grip war."

Doch nicht nur die natürliche Begabung zeichnete Hülkenberg aus, er konnte sich auch von anderen etwas aneignen und dem Team weiterhelfen: "Im Laufe der Jahre hat er gelernt, mit den Pirelli-Reifen zurechtzukommen, was ihn anfangs wohl etwas frustriert hat. Er ist ein Fahrer, der einfach nur schnell fahren will. Man verbringt die Hälfte seiner Zeit damit, ihn auszubremsen. In der Anfangsphase der Pirelli-Reifen, als sie einen höheren Verschleiß hatten, musste er sich darauf einstellen. Ich denke, dass die Zusammenarbeit mit Checo [Perez, sein Teamkollege bei Force India, Anm. d. Red.] dazu geführt hat, dass die beiden sich gegenseitig bei ihren Stärken und Schwächen geholfen haben." Der heutige Red-Bull-Mann Perez ist auch 2022 noch als Reifenflüsterer bekannt, auch wenn die heutigen Pirelli-Pneus nicht mehr ganz so stark abbauen, wie noch zur Mitte des letzten Jahrzehnts.

Tom McCullough kennt Nico Hülkenberg seit dessen Williams-Zeiten, Foto: LAT Images
Tom McCullough kennt Nico Hülkenberg seit dessen Williams-Zeiten, Foto: LAT Images

Den 'Hulk' ins kalte Wasser werfen? Kein Problem!

2017 ging es für Hülkenberg zu Renault, wo er trotz guter Leistungen Ende 2019 Platz für den Franzosen Esteban Ocon machen musste. Es folgten die Rückkehr zur alten Heimat und die bereits erwähnten Auftritte als Ersatzfahrer. Zu Saisonbeginn 2022 kam Hülkenberg dadurch auch bereits in den Genuss, die neue Fahrzeuggeneration mit Venturi-Kanälen auszuprobieren. McCullough erinnert sich, wie er in einer Hauruck-Aktion ins Auto musste: "Er wurde zu einem Zeitpunkt ins kalte Wasser geworfen, als wir uns noch ein wenig den Kopf über das Auto zerbrachen. In Bahrain ist er ja direkt im FP3 aufgetaucht, wenn ich mich recht erinnere. Wir hatten nicht viel Zeit, die Sitze anzupassen, mussten Kompromisse einzugehen, und schon war er drin."

Hülkenberg war immer auf Abruf für Aston Martin, Foto: LAT Images
Hülkenberg war immer auf Abruf für Aston Martin, Foto: LAT Images

Und wie schlug sich Hülkenberg? Er war im Qualifying gleich einmal um zwei Zehntel schneller als Teamkollege Lance Stroll und das ohne Testfahrten oder Freitagstrainings. Für McCullough war das keine Überraschung: "Er ist ein sehr talentierter, natürlich begabter Fahrer. Wenn man ihn in eine Qualifying- oder Rennsituation setzt und ihn bittet, das Beste aus dem Auto herauszuholen, ist er ziemlich gut darin, egal was er fährt und über die Jahre gefahren ist." Hülkenbergs Bilanz scheint das zu beweisen: 2020 startete er zweimal und holte beide Male direkt Punkte. Beim Deutschland Grand Prix 2020 begann er sein Wochenende dabei sogar erst mit dem Qualifying. 2015 ging er neben seinem Formel-1-Engagement auch mit Porsche in Le Mans an den Start und gewann sofort.

Nach Bahrain fuhr Hülkenberg noch ein zweites Rennen 2022 und das auf einer Strecke, die er noch nicht kannte: "Ich glaube, Jeddah war eine interessante Strecke, wenn man sie noch nie zuvor gefahren ist, vor allem zu der Zeit, als wir noch ein wenig mit dem Porpoising zu kämpfen hatten und man bei 280 Stundenkilometern einige Kurven mit begrenztem Grip und einer Mauer auf beiden Seiten hat." Auch hier hielt er sich schadlos und beendete das Rennen vor Stroll. Für McCullough gibt es keinen Zweifel: "Er hat einfach die Klasse. Er ist sehr talentiert. Er hat solide Erfahrung. Und das hilft ihm, in ein Auto zu springen und schnell zu fahren." Haas wird diese Einschätzung sicher gerne hören, denn das US-Team wird gleich zu Saisonbeginn 2023 seine Punktechancen nutzen wollen.