2021 konnte Red Bull die bis dahin sieben Jahre andauernde Dominanz von Mercedes wortwörtlich in letzter Sekunde brechen - wenngleich das Saison-Finale in Abu Dhabi seitdem alles andere als unumstritten war. Doch wie auch immer man dazu steht, eines ist sicher: Wäre die Siegesserie der damals schwarzen Silberpfeile in dieser Saison nicht gebrochen worden, hätte diese spätestens in der aktuellen ihr Ende gefunden. Denn seit Einführung des neuen Fahrzeug-Reglements ist Mercedes weit von den beiden Topteams, Red Bull und Ferrari, abgeschlagen.

Mercedes ohne Pace im Qualifying trotzdem gut im Rennen

Besonders mit Blick auf eine schnelle Runde sah das Team um Toto Wolff zunächst kein Land mehr. An den ersten zehn Rennwochenenden fehlten Lewis Hamilton und George Russell im Schnitt 1,31 Sekunden auf den jeweiligen Polesetter in der Qualifikation. In der Königsklasse eine kleine Ewigkeit, die Mercedes direkt in den Kampf ums Mittelfeld statt um die Spitze katapultierte.

Besser lief es hingegen in den Rennen. Die beiden britischen Piloten konnten bei den ersten zehn Grands Prix nicht nur regelmäßig punkten, sondern durften auch sechsmal auf dem untersten Treppchen Platz nehmen. DNFs? Weitestgehend Fehlanzeige. Der Silberpfeil war und ist zuverlässig. Nur in Silverstone schaffte es Russell nicht ins Ziel. Allerdings nur, weil er dem Alfa-Sauber-Mann Guanyu Zhou nach dessen Horrorcrash sofort zu Hilfe eilte und danach das Rennen nicht mehr aufnehmen durfte. Zum Vergleich: Ferrari kam innerhalb dieser Zeitspanne fünfmal und Red Bull zweimal nicht ins Ziel.

Und dann kam Ungarn...

"In Budapest konnten wir ein paar Schritte nach vorn machen. Wir haben es geschafft, uns nach vorne zu kämpfen und waren in der Lage, uns für die Pole zu qualifizieren. Es war durchaus ein kleiner Ausreißer. Denn davor war Ferrari im Qualifying bis zu sechs Zehntel Schneller", rekapitulierte Mercedes-Chefstratege James Vowles nach dem Ungarn-GP. Und tatsächlich schien der Knoten an diesem Wochenende (zumindest einigermaßen) geplatzt zu sein. In der Qualifikation in Budapest konnte George Russell nämlich alle hinter sich lassen und sicherte seinem neuen Team so die erste Pole-Position der Saison.

In Ungarn hatte Mercedes nach dem Qualifying endlich wieder was zu feiern, Foto: LAT Images
In Ungarn hatte Mercedes nach dem Qualifying endlich wieder was zu feiern, Foto: LAT Images

Zu dem Zuverlässigkeits-Ass, das Mercedes bereits länger im Ärmel hatte, und der durchaus starken Race-Pace gesellte sich in Ungarn also auch eine verbesserte Performance im Zeittraining hinzu. Oder war es doch schon etwas früher? Denn auch in Österreich war der Abstand von Mercedes auf den Qualifying-Schnellsten bereits stark geschmolzen. (Anmerkung: Da Hamilton und Russell ihren W13 in Q3 jeweils in der Streckenbegrenzung "parkten", werden an dieser Stelle die Zeiten aus Q2 für einen Vergleich herangezogen.) So fehlten dem Team aus Brackley in der Alpenrepublik am Ende nur drei Zehntel auf die Spitze. Und auch der durchschnittliche Qualifying-Rückstand nahm seitdem erheblich ab. Waren es nach den ersten zehn Rennen noch 1,31 Sekunden, belief sich dieser in den letzten sechs Rennen auf 0,94 Sekunden - also immerhin ganze 0,37 Sekunden weniger. Aber immer noch viel zu viel für den Konstrukteurs-Weltmeister der vergangenen acht Saisons, dessen Ansprüche es sind, um Siege und WM-Titel zu fahren.

High-Downforce-Strecken top - Power-Strecken flop?

Daran, dass das Team mit dem Stern seit Österreich bzw. Ungarn insbesondere an Qualifying-Pace zulegen konnte, fällt eines auf: Es sind in erster Linie die High-Downforce-Strecken, die ihm besonders zugutekommen. So fehlten in Österreich drei, in Ungarn knapp dreieinhalb und in Holland circa fünf Zehntel. Während die Abstände auf den Strecken, die mit weitaus weniger Flügel gefahren werden, im Grunde denen glichen, die wir zu Beginn der Saison bereits sehen konnten: 1 Sekunde in Frankreich, knapp 2 Sekunden in Spa und 1,4 Sekunden in Monza sprechen diesbezüglich eine mehr als eindeutige Sprache.

Was an dieser Stelle immer noch mit hinein spielt, ist das (vor allem für Mercedes) leidige Thema "Bouncing". Der leitende Mercedes-Renningenieur, Andrew Shovlin, erklärte das mit Blick auf den Grand Prix in Spa wie folgt: "In Spa musste wir das Auto etwas anheben, weil wir mit einigen Bodenwellen zu kämpfen hatten. Das hat uns letzten Endes Performance gekostet. Wir haben uns daher dazu entschlossen, mit mehr Flügel zu fahren, um wieder etwas an Abtrieb zurückzugewinnen. Unterm Strich kam dann dabei heraus, dass wir in den Kurven ganz okay, aber auf den Geraden ziemlich langsam waren."

"In Zandvoort war das Auto leichter ins korrekte Fenster zu bekommen. Es ist gut gelegen und nicht über die Bodenwellen gehüpft. Das hat den Fahrern Vertrauen gegeben und sie konnten richtig pushen. [...] Hoffentlich kommen noch mehr solcher Kurse auf uns zu", analysierte Shovlin nach dem für Mercedes bislang wohl erfolgreichsten Grand Prix der Saison weiter.

Zu gutes Reifenmanagement - Fluch und Segen?

Neben dem "alten" Problem mit dem Bouncing, das das Team weiterhin verfolgt, glaubt George Russell aber auch noch an anderer Stelle einen essenziellen Schwachpunkt des W13 erkannt zu haben: "Nach 16 Rennen versuchen wir immer noch, das Auto zu verstehen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir in Sachen Reifentemperaturen und Management stark sind. Und das spielt vielleicht auch gegen uns." Das gute Reifenmanagement von Mercedes spielt in den Augen des Mercedes-Piloten also gegen ihn? Wie kann das sein?

Der junge Brite liefert dafür die folgende Erklärung: "Im Qualifying bringen die Mittelfeldautos potenziell höhere Temperatur in ihre Reifen. Sie können die Outlap also langsamer fahren und beschädigen damit die Reifen auch weniger. Das bringt ihnen auf eine Runde mehr Performance. Auf der anderen Seite müssen unsere Outlaps so schnell sein, damit wir die Reifen auf Temperatur bekommen, wodurch wir die Reifenoberfläche stärker abnutzen. Das könnte der Grund sein, warum wir im Qualifying aktuell das Nachsehen haben. Aber am Ende ist das nur eine Theorie, die noch zu beweisen wäre."

Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass sowohl die schwache Qualifying- als auch die starke Race-Pace (zumindest in Teilen) auf denselben Umstand zurückzuführen sind. Nämlich auf die Reifen, die nur langsam die richtige Temperatur aufbauen. Im Qualifying ein Fluch, im Rennen ein Segen. Denn bleiben die Pirelli-Pneus länger kalt, ist das zwar schlecht auf eine schnelle Runde, dafür überhitzen sie in einem langen Rennen aber auch wesentlich langsamer, wodurch sie automatisch weniger stark abbauen. Kein Wunder also, dass die beiden Mercedes-Piloten an Rennwochenenden, an denen sie im Qualifying vergleichsweise langsam waren, häufig doch noch eine Podestplatzierung erkämpfen konnten (Formel 1 Ergebnisse 2022). Zuverlässigkeit und Reifenmanagement sei Dank.