15 Rennen, 13 Podien, kein Sieg. Ungewohnt lange muss Mercedes schon auf einen Triumph am Rennsonntag warten. In Zeiten der Turbo-Hybrid-Ära undenkbar, aber Realität in der Saison 2022. Der W13 entpuppt sich als Black Box, ist jedes Wochenende eine neue Überraschung. Oftmals wissen weder Fahrer noch Ingenieure wo, wie oder warum das Auto auf einem Kurs funktioniert. Sechs Rennen sind in dieser Saison noch zu fahren, wo stehen die Chancen auf einen Mercedes-Sieg am besten?

Der Mercedes-Bolide als Wundertüte

"Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wo unser Auto gut funktionieren wird", sieht Lewis Hamilton den W13 in dieser Saison ein bisschen als Überraschungstüte. "Manchmal ist es komplett anders als am vorherigen Wochenende." Budapest und Zandvoort liefen gut. Die früheren typischen Mercedes-Strecken wie Spa oder Monza weniger. "Ich hoffe, dass das Auto im Laufe der restlichen Saison öfters so ist wie in Budapest", betet der siebenfache Weltmeister.

Inspektoren Russell und Hamilton untersuchen in Spa den überlegenen RB18, Foto: LAT Images
Inspektoren Russell und Hamilton untersuchen in Spa den überlegenen RB18, Foto: LAT Images

Dort kämpften die Silberpfeile lange um den Sieg mit, gleiches Spiel in Zandvoort. "Das Auto hat sich richtig lebendig angefühlt", vermeldete Hamilton danach euphorisch. Umgekehrtes Spiel in Monza: Obwohl George Russell als Dritter ein Podium einfuhr, reichte auch die gute Rennpace des Mercedes nicht, um im Sieges-Kampf mitzumischen.

Russell: Singapur könnte interessant werden

"Ich bin mir ehrlich gesagt auch nicht so sicher", überlegt George Russell, welcher Kurs dem W13 schmeicheln könnte. "Mir fällt auf die Schnelle keine Strecke ein, die irgendwie herausstechen würde." Aber: "Singapur könnte interessant werden!" Nach der Mini-Pause von drei Wochen macht der Formel-1-Tross genau dort halt. Ein enger, winkeliger Straßenkurs mit zahlreichen 90-Grad-Kurven. Diese wechseln sich ab mit Hochgeschwindigkeitspassagen, die mit 300 km/h durchfahren werden.

Lewis Hamilton gewann 2018 in Singapur vor Verstappen und Vettel, Foto: Sutton
Lewis Hamilton gewann 2018 in Singapur vor Verstappen und Vettel, Foto: Sutton

In Singapur ist das Qualifying sehr wichtig, Überholen gestaltet sich schwierig auf dem Straßenkurs. Die beste Ausgangsituation bietet die Pole Position. Grundsätzlich ist das Qualifying 2022 nicht Mercedes' Stärke. Aber: Bei den tropischen Temperaturen überhitzen die Reifen leicht. Praktisch für das Team aus Brackley, die oft damit kämpfen, die Reifen auf Temperatur zu bringen.

"Das Streckenlayout passt eigentlich zu unserem Auto, die Bodenwellen eher nicht", erklärt Toto Wolff. "Laut dem Simulator sollte es eine unserer besseren Strecken werden. Aber ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen!" In Spa und Zandvoort wären die Simulationen ziemlich akkurat gewesen.

Toto Wolff, mit der Brechstange zum Sieg

"Historisch hatte Mercedes da immer etwas zu kämpfen", weiß George Russell von Singapur. Von den letzten zehn Rennen stand viermal ein Pilot der Silberpfeile ganz oben auf dem Podest. Dreimal Lewis Hamilton (2014, 2017, 2018) und einmal Nico Rosberg (2016). "Wir wissen aber auch, dass wir dieses Jahr auf Straßenkursen nicht wirklich gut abgeschnitten haben", gibt Russell zu bedenken. In Monaco und speziell Baku machte nicht nur Hamiltons Rücken Probleme.

Beim letzten Stadtkurs in Baku musste Hamilton aus dem Auto geholfen werden, Foto: LAT Images
Beim letzten Stadtkurs in Baku musste Hamilton aus dem Auto geholfen werden, Foto: LAT Images

Ein Rennsieg hat Priorität Nummer eins bei Mercedes. "Das muss das Ziel sein", setzt Toto Wolff eine klare Vorgabe an seine Mitarbeiter. Nach Spa hätte er das noch als unmöglich angesehen, jetzt nicht mehr. "Wir wollen die Saison nicht ohne Sieg beenden, ganz egal ob wir bereits alle Ressourcen auf 2023 verlegt haben. Nach einer so schwierigen Saison wäre das optimal!" An einem Rache-Triumph in Abu Dhabi hätte zumindest der Teamchef kein Interesse: "Nichts bringt uns diese Weltmeisterschaft zurück, also das interessiert mich nicht."

Gute und schlechte Zeiten bei Mercedes

Die Entwicklung des Autos scheint bei Mercedes auch in die richtige Richtung zu gehen. "Wir machen als Team gerade riesige Fortschritte und verstehen das Auto immer besser", lobt George Russell die Mercedes-Crew in Monza. "Hoffentlich können wir uns so noch um ein paar Zehntel verbessern." Trotzdem scheint die Konkurrenzfähigkeit stark von der Strecke abzuhängen. "Unsere Performance ist direkt mit unserem Konzept verknüpft", weiß Toto Wolff. "Es wird noch gute Rennen für uns geben, aber einige werden richtig schwierig."

Zum Beispiel Austin. "Austin haben wir schon besprochen, das könnte eines der sehr schwierigen werden", meint Toto Wolff. "Wir müssen da realistisch bleiben." Eine so unebene Strecke wie Austin bietet nicht nur im übertragenen Sinn einige Stolpersteine. Der Österreicher ist spätestens nach Zandvoort optimistisch: "Wir wissen jetzt, dass unser Auto keine Schnecke ist, sondern auf manchen Strecken richtig gut sein kann." Gerne mit einem gewissen Risiko wie beim Großen Preis der Niederlande. "Ich würde lieber jeden Tag meines Lebens alles riskieren, um zu gewinnen als mich mit Platz zwei und drei zu genügen", gibt sich Toto Wolff dann etwas poetisch.

2021 musste sich Lewis Hamilton knapp dem späteren Weltmeister Max Verstappen geschlagen geben, Foto: LAT Images
2021 musste sich Lewis Hamilton knapp dem späteren Weltmeister Max Verstappen geschlagen geben, Foto: LAT Images

George Russell ist auf einer anderen Linie. "Was uns aufgefallen ist: Wenn wir wie in Zandvoort oder Budapest versuchen, die schnelleren Autos abzudecken, schaden wir damit unserem Gesamtergebnis." Der 24-Jährige hat einen besseren Vorschlag: "Wir sollten das etwas anders angehen. Einfach auf uns selbst schauen und das bestmögliche Rennen fahren." Mercedes setzt alles auf Sieg, egal wie, notfalls mit Risiko und Brechstange. Nur ein zweites Crash-Gate wird es in Singapur ziemlich sicher nicht geben.