Audi steigt in die Formel 1 ein. Am 26. August 2022 um 09:17 Uhr verschickte die Marke mit den vier Ringen eine Pressemitteilung mit diesem Betreff. Zwei Minuten zuvor begann in Spa-Francorchamps eine Pressekonferenz mit Formel-1-Boss Stefano Domenicali, FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem, Audi-Boss Markus Duesmann und Audi-Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann. Es war ein historischer Moment für den Motorsport. Audi steigt als Werksteam ein, baut die Motoren in Eigenregie in Deutschland und ist noch in Verhandlungen über die Übernahme des Sauber-Teams.

"Ich musste mich selbst zwicken, als es in Spa öffentlich verkündet wurde und dann in der Welt war", erinnert sich Stefan Dreyer, Technischer Leiter bei Audi Sport für die Power Unit im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. 2026 steigt Audi in die Formel 1 ein. 2026? In vier Jahren? Warum wir jetzt schon für eine Reportage zu Audi Sport nach Neuburg an der Donau fahren, will der Laie im Bekanntenkreis wissen. Für viele mag 2026 noch eine Ewigkeit entfernt liegen, für Stefan Dreyer nicht.

Für die Experten drängt die Zeit. Die ersten Gespräche über den Formel-1-Einstieg führte Audi vor mehr als einem Jahr. Dreyer ist einer von wenigen Menschen, die von Anfang an in die Formel-1-Pläne involviert waren. Zusammen mit Adam Baker, der das Projekt leitet und vor über einem Jahr von der FIA als 'Führungskraft für Sonderaufgaben' zu Audi wechselte, vertrat er in zahllosen Motorenmeetings die Interessen seines Arbeitgebers. Es ging darum, das Motorenreglement der Zukunft, also ab 2026, herauszuarbeiten.

Stefan Dreyer: Technischer Leiter bei Audi Sport, Foto: Audi Sport
Stefan Dreyer: Technischer Leiter bei Audi Sport, Foto: Audi Sport

Audi in der Formel 1: Ohne Quattro, ohne MGU-H

Audi verhandelte nicht nur mit FIA und Formel 1, Audi verhandelte vor allem mit den aktuell involvierten Motorenherstellern. "Wir haben vieles erreicht, was wir wollten. Das war Grundvoraussetzung, sonst wären wir nicht eingestiegen", zeigt sich Dreyer zufrieden. Zumindest als die Verhandlungen konkreter wurden, konnten die Ingolstädter die eigenen Interessen durchsetzen. Als sich die Techniker zum ersten Mal trafen, stand auch noch ein Allradantrieb zur Diskussion. Der Quattro bleibt aber den Serienmodellen vorbehalten, die Formel 1 setzt weiterhin ausschließlich auf eine angetriebene Hinterachse.

Ähnlich früh wie der Allrad war die MGU-H vom Tisch. Für Audi doppelt gute Neuigkeiten, wie Dreyer meint: "Auf der einen Seite ist sie ein sehr, sehr komplexes Bauteil, bei dem die anderen einen riesigen Vorsprung haben." Seit 2014 ist der Turbolader in der Formel 1 an eine MGU gekoppelt, kann darüber angetrieben werden oder selbst Strom einspeisen. "Die MGU-H hat aber - Stand heute - keine Serienrelevanz. Deshalb war es für uns auch nicht von Interesse, diese Technologie zu pushen", so Dreyer.

Nachdem die grundlegenden Parameter der Motorenformel klar waren, ging es an die Details. Die Diskussionen zogen sich so lange, dass Audi schon in die Bredouille kam. Nichts braucht im Rennsport mehr Vorlauf als die Motorenentwicklung. Doch es geht nicht nur um die Motorenentwicklung, sondern auch um die Infrastruktur dafür. Auch wenn Audi schon mit einem kleinen Team für Sonderaufgaben am Formel-1-Projekt arbeitete, die Vorbereitungen liefen mit angezogener Handbremse.

Audi gratuliert Red Bull Powertrains

Bei Red Bull weiß man seit dem angekündigten Honda-Ausstieg, dass man für 2026 eine eigene Power Unit bauen will. Seither laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. In Milton Keynes rollten längst die Bagger, als in Ingolstadt nur wenige Mitarbeiter überhaupt vom Vorhaben wussten. Red Bull Powertrains hatte unlängst schon einen ersten V6-Motor auf dem Prüfstand. Davon ist Audi noch ein ganzes Stück entfernt.

"Man kann nur spekulieren [was Red Bull genau auf dem Prüfstand hatte], Fakt ist: Man kann ihnen nur gratulieren, dass ein Motor jetzt schon auf dem Prüfstand läuft. Das muss man so sagen, wie es ist. Jetzt sind wir dran", so Dreyer. Einen Zeitpunkt dafür will er aber nicht nennen. Dafür, dass Audi zumindest beim Zeitplan Red Bull hinterherhinkt, gibt es einen guten Grund: "Wir haben uns zuerst damit auseinandergesetzt, das Projekt im Unternehmen vorzustellen und bewilligt zu bekommen. Dann sind wir in die Umsetzungsphase gegangen."

Erst am 16. August veröffentlichte die FIA nach langem Hin und Her die finalen Reglements für 2026, wenig später stand der Audi-Beschluss über den Einstieg endgültig. So lange konnten Baker, Dreyer und Co. nicht warten. Schon am 19.07.2022 wurde die Audi Formula Racing GmbH in das Handelsregister beim Amtsgericht Ingolstadt eingetragen. Gegenstand des Unternehmens: Durchführung der als Hersteller von Antriebsstrangeinheiten für Motorsportprojekte erforderlichen Aktivitäten, insbesondere Entwicklung, Herstellung und Vertrieb der entsprechenden Motoren. In anderen Worten: Die 100-prozentige Audi-Tochter baut Formel-1-Motoren.

Audi bereitet Formel-1-Einstieg seit Frühjahr 2022 vor

Tatsächlich begann das Projekt aber noch früher. "Die Umsetzungsphase hat ein paar Monate vor der Kommunikation begonnen", verrät Dreyer. Seit Frühjahr 2022 wurden die Mitarbeiter mit Geheimhaltungserklärungen über ihren genauen Job mehr und mehr. Inzwischen umfasst das Team rund 100 Mitarbeiter. Die Budgetobergrenze, die ab 2023 erstmals auch für Motorenhersteller gilt, gibt die Rahmenbedingungen bei den Mitarbeitern vor. "300 plus", so Dreyer. "Mit dieser Größe planen wir gerade." Derzeit beschäftigen die Motorenhersteller in der Formel 1 noch deutlich mehr Mitarbeiter. Bei Mercedes High Performance Powertrains arbeiten rund 650 Experten daran, jedes PS aus den 1,6-Liter-Aggregaten zu kitzeln. "Wir kommen von unten und sie müssen von oben auf einen anderen Bereich nach unten. Das ist auf beiden Seiten Chance und Risiko", meint Dreyer.

Schon Monate vor der Bekanntgabe wurde das Formel-1-Projekt hochgefahren, Foto: Audi
Schon Monate vor der Bekanntgabe wurde das Formel-1-Projekt hochgefahren, Foto: Audi

Viele Posten konnten bereits mit Mitarbeitern aus dem bestehenden Motorsport-Team und internen Ausschreibungen besetzt werden. "Ich kenne die Mannschaft, ich weiß was sie kann und ich habe blindes Vertrauen", lobt Dreyer. "Aber sie ist bei weitem nicht groß genug, um auf diese Ressourcen zu kommen. Dafür müssen wir intern rekrutieren und zusätzlich auf externes Know-how und Kompetenzen zurückgreifen." Derzeit hat Audi zwölf verschiedene Stellen für das Formel-1-Projekt öffentlich ausgeschrieben. "Als das Projekt kommuniziert wurde, haben uns die Bewerbungen überrollt, das war stark", freut sich der Schwabe, der seit 1999 bei Audi in Ingolstadt an unterschiedlichsten Motorsportprojekten arbeitet.

Neuburg statt Ingolstadt: Hier entsteht Audis Formel-1-Projekt

Seit 2014 sitzt Dreyer aber nicht mehr in Ingolstadt, sondern in Neuburg an der Donau, rund 20 Autominuten vom Audi-Stammsitz entfernt. Dort wurde auf einem hochmodernen Campus auf 47 Hektar neben hauseigener Teststrecke und Erlebniszentrum das sogenannte 'Kompetenz-Center Motorsport' errichtet. Bis zum Le Mans-Ausstieg entwickelte Audi dort die LMP1-Boliden, bis zum Formel-E-Ausstieg den Antriebsstrang für die Elektrorennserie. Derzeit wird in Neuburg am hochkomplexen Dakar-Fahrzeug gearbeitet.

Das Formel-1-Projekt entsteht bei Audi Sport in Neuburg an der Donau, Foto: Audi
Das Formel-1-Projekt entsteht bei Audi Sport in Neuburg an der Donau, Foto: Audi

Auch wenn die Hallen und Anlagen State of the Art sind, bereit für den Formel-1-Einstieg ist der Standort noch nicht. Rennmotoren wurden bislang bei Audi in Neckarsulm entwickelt. Entsprechend gibt es noch keine Einzylinder-Prüfstände. Die Pläne dafür liegen aber bereits in der Schublade, Platz dafür gibt es noch am Campus. Neben dem Ingenieursgebäude, intern F6 genannt, sind schon Baucontainer zu sehen. Bei der Planung hatte man Platz für einen Windkanal einkalkuliert. Die LMP-Boliden wurden aber im Sauber-Windkanal in Hinwil entwickelt. Jetzt entsteht auf dem Platz eine zusätzliche Halle für die Entwicklung des Formel-1-Motors.

Auch beim Reinheitsgrad der Hallen muss teilweise nachgelegt werden. "Der Zusammenbau eines Formel-1-Motors ist wie eine Operation am offenen Herzen", weiß Dreyer. Bislang kam der Motor als ein gesamtes Bauteil nach Neuburg. Jedes Staubkorn im Inneren des V6 ist zu viel.

Aber es gibt auch Infrastruktur, die bereits auf Formel-1-Niveau ist. Insgesamt sechs Prüfstandzellen gibt es bei Audi Sport, fünf davon sind mit sündhaft teuren und komplexen Prüfständen vom Grazer Spezialisten AVL ausgestattet. Teilweise müssen die Prüfstände abgerüstet werden, weil die Formel 1 im Vergleich zum LMP nur eine Antriebsachse hat.

Erst in den letzten Jahren hat Audi weiter in Prüfstände investiert. Die deutlich größere Elektro-Komponente im Reglement kommt da gerade recht. Auch wenn die Batterie in der Formel E ein Einheitsbauteil ist, für den Le Mans-Prototyp hatte man eine eigene Batterie entwickelt. Expertise und Prüfstände sind vorhanden.

Formel-1-Motor ist Neuland für Audi

Das Know-how für die Verbrennungsmotoren fehlt noch teilweise, dessen ist sich Dreyer bewusst - trotz zahlreicher Einschränkungen im Reglement, vor allem am Basismotor: "Das ist keine Anbauanleitung. Wir haben extrem großen Respekt davor. Wir hatten in der Vergangenheit in unseren Motorsportprojekten keine Hochdrehzahlkonzepte. Der DTM-Motor hat am Ende bis 9.500 gedreht, die Dieselmotoren ohnehin niedriger." In der Formel 1 erwarten Audi rund 12.500 Umdrehungen und viel Erfahrungsrückstand, weil Mercedes und Co. seit 2014 mit diesem Motorkonzept unterwegs sind.

Auch der pneumatische Ventiltrieb ist für Audi Neuland. "Wir haben in der Vergangenheit nie mit pneumatischen Systemen gearbeitet. Wir hatten immer konventionelle Antriebe", erklärt Dreyer, gibt sich aber kämpferisch: "Wir haben als Ingenieure Bock, wir trauen uns das auch zu. Aber: Wir haben Respekt."

Viel Motorsport, keine Formel 1: Audi fehlt noch Expertise bei bestimmten Themen, Foto: Audi
Viel Motorsport, keine Formel 1: Audi fehlt noch Expertise bei bestimmten Themen, Foto: Audi

Neben der kompletten Power Unit soll in Neuburg auch noch das Getriebe unter einem Dach entstehen. "Um sich zukünftig aufzustellen, muss man als Power-Unit-Hersteller auch das Getriebe im Fokus haben. Je mehr aus einer Hand kommt, desto effizienter ist die Abstimmung der Komponenten aufeinander", ist sich Dreyer sicher. Spricht der 49-Jährige vom Getriebe, meint er aber nur die Kassette, sprich die Innereien. "Das Gehäuse würde ich immer auf Fahrzeugseite sehen." In anderen Worten: Wellen und Zahnräder entstehen in Neuburg, Gehäuse als tragende Chassis-Komponente samt Radaufhängung in Hinwil - oder wo auch immer der Werks-Audi letztlich entstehen wird.

Selbst wenn das Werksteam noch nicht feststeht, die Ingenieure wünschen sich schon Kunden: "Je breiter man sich von Anfang an aufstellen kann, desto besser ist es. Punkt, Aus, Ende." Schon in der Formel E belieferte man Virgin und konnte doppelte Daten sammeln. McLaren-Honda dient in der Formel 1 als abschreckendes Beispiel. McLaren pochte einst auf das Exklusivabkommen mit den Japanern. Mit dem Ergebnis, dass Honda länger brauchte, den Erfahrungsrückstand auf der Rennstrecke aufzuholen.

Eine ähnliche Blamage kann sich Audi nicht erlauben. Von 'zukünftiger Dominanz', wie einst McLaren-Honda, spricht man in Ingolstadt und Neuburg aber auch nicht: "Wir wären nicht im Motorsport, wenn wir nicht gewinnen wollen. Das ist es, was uns antreibt. Aber zu sagen, wir gewinnen im ersten Jahr: Schwierig. Das heißt: Wenn wir im ersten Jahr dabei sind, Einzelergebnisse einfahren, durchkommen, haltbar sind, fahren, Performance-Entwicklung betreiben können und nicht irgendwelchen Problemen hinterherhinken, dann sind wir für die Zukunft gut aufgestellt. Dann ist alles offen. Aber das muss uns erst gelingen."

Eine ausführlichere Reportage über unseren Besuch bei Audi und weitere Hintergründe zum Formel-1-Einstieg gibt es in der nächsten Print-Ausgabe von Motorsport-Magazin - die ab sofort vorbestellt werden kann.