In Zandvoort erlebte die Formel 1 endlich das, was sich in der Königsklasse seit Monaten angekündigt hatte. Nämlich ein Duell zwischen Weltmeister Max Verstappen und seinem alten Widersacher Lewis Hamilton um den Rennsieg. Das virtuelle Safety Car machte einer strategisch spannenden Schlussphase aber einen Strich durch die Rechnung.

Hamilton erbte später zwar während der Safety-Car-Phase nochmal die Führung, auf alten Reifen war der siebenfache Champion schließlich chancenlos gegen Verstappen und wurde sogar auf Platz 4 durchgereicht. Wie wäre das Rennen ohne die von Yuki Tsunoda ausgelöste VSC-Phase 24 Runden vor Schluss ausgegangen? Motorsport-Magazin.com analysiert, wie hoch die Chancen auf den ersten Mercedes-Sieg in der F1-Saison 2022 waren.

Mercedes: Siegchance dank 1-Stopp-Strategie

Bereits am Freitag kündigte sich an, dass Mercedes einmal mehr voll auf den Longrun getrimmt war - und so kam es auch am Sonntag. Auf eine Runde waren die Silberpfeile zwar an diesem Wochenende deutlich näher dran als noch in Belgien, aber im Endeffekt reichte es dennoch nicht für eine Position unter den ersten drei im Qualifying. Ein Umstand, der sich später rächen sollte.

Wichtig für die strategische Marschroute der Silbernen war allerdings, Sergio Perez im Qualifying zu besiegen. Damit erübrigte sich für die Bullen die Option, die Strategie zu splitten und den Mexikaner auf Mediums ins Rennen zu schicken, um gegen Mercedes abzudecken. So fand sich Hamilton trotz der ungünstigen Track Position hinter Sainz in einer komfortablen Lage wieder: Als Führender der Medium-Starter, konnte er strategisch gesehen sein eigenes Rennen fahren.

Doch nicht nur das. Ein weiterer Faktor spielte Mercedes in die Hände: Die harten Reifen, für die Dr. Helmut Marko am Freitag noch prognostizierte, dass sie "gar nicht zum Einsatz kommen würden", und die auch in den Longruns im Training so gut wie keine Verwendung fanden, lieferten eine überraschend gute Performance. Die Alpine-Piloten bewiesen das mit ihren Stopps in der zwölften und 18. Runde. Bei Esteban Ocon hielten die Pneus 38 Runden ohne größeren Performance-Verlust durch, ehe er die Safety-Car-Phase für einen Stopp nutzte.

Lewis Hamilton wechselte in der 29. Runde auf die Hards. Die 43 Umläufe bis ins Ziel wären für den reifenschonenden Mercedes also kein Problem gewesen. Gleichzeitig drängten der relativ hohe Reifenverschleiß auf den Softs und ein früher Stopp von Charles Leclerc Max Verstappen in eine 2-Stopp-Strategie. Mercedes übernahm die Doppelführung und befand sich damit in der Pole Position der Einstopper.

Mercedes-Niederlage: War Carlos Sainz schuld?

Die Grundlage für einen möglichen Mercedes-Sieg war also geschaffen. Doch die Silberpfeile plagten am Rennsonntag zwei altbekannte Probleme. Das erste war die Track Position zu Rennstart: Wie schon vorher angeteasert, blieb Lewis Hamilton auf den ersten Runden hinter Carlos Sainz im Verkehr stecken.

Der Spanier kam in Zandvoort nicht auf Touren und verlor etwa sechs Zehntelsekunden pro Runde auf das Führungsduo. Zwangsläufig ergab sich daraus auch ein ähnlicher Zeitverlust für Hamilton. Bis zum Boxenstopp von Sainz in der 14. Runde hatte Hamilton bereits einen Rückstand von knapp zehn Sekunden auf den Führenden aufgerissen.

Das zweite Problem bei Mercedes war der mangelnde Topspeed. Zum Vergleich: Red Bull wurde beim Niederlande GP mit einer Spitzengeschwindigkeit von 327 Km/h geblitzt, der Bestwert des Mercedes-Duos lag 11 Km/h darunter. Dadurch waren die Silberpfeile einer Attacke von Verstappen auf der Strecke wehrlos ausgesetzt.

Das wurde nach dem ersten Stopp des Lokalmatadors in Runde 28 offenkundig. Obwohl die Rundenzeiten-Differenz zwischen Verstappen und George Russell in den Runden zuvor nur etwa 0,5 Sekunden betrug, konnte der Red-Bull-Pilot ohne größere Probleme vorbeiziehen. Die Deltazeit für ein Überholmanöver von Verstappen gegen Hamilton lag also maximal in diesem Bereich. Auf der anderen Seite gelang es Perez sich in den Runden 36 und 37 viel länger gegen Hamilton zur Wehr zu setzen und etwa drei Sekunden Zeitverlust zu generieren.

Verstappen-Sieg im Schlussspurt?

Gegen Rennende wäre das ein unermesslicher Vorteil gewesen, da Verstappen nach seinem zweiten Stopp aller Voraussicht nach zu Hamilton aufgeschlossen hätte. Darin waren sich die Teamchefs einig. Toto Wolff kalkulierte: "Max wäre acht Sekunden hinter uns rausgekommen. Sechs bis bis Runden vor Ende wäre er auf Lewis getroffen". Für Hamilton wäre es nach diesem Zeitpunkt schwer geworden, auf der DRS-Zone auf Start-Ziel die Attacken des Red Bulls abzuwehren.

Die Kalkulationen bei Red Bull fielen deutlich optimistischer zugunsten von Verstappen aus als jene bei der Konkurrenz aus Brackley. Teamchef Christian Horner erklärte: "Unsere Simulation hat gesagt, dass wir mit 15 Sekunden Vorsprung gewinnen." Wenn man das auf die verbleibende Renndistanz hochrechnet, hätte Verstappen nach einem Stopp in Runde 48 pro Runde etwas weniger als eine Sekunde pro Runde gutmachen müssen, um diesen Wert zu erreichen - das Überholmanöver gegen Hamilton noch nicht einkalkuliert.

Die VSC-Phase nach dem Tsunoda-Defekt verhinderte ein spannendes Finale in Zandvoort, Foto: LAT Images
Die VSC-Phase nach dem Tsunoda-Defekt verhinderte ein spannendes Finale in Zandvoort, Foto: LAT Images

Hamilton fuhr in den letzten Runden vor der Rennneutralisation mit seinen gebrauchten Hards Zeiten im tiefen 1:15er-Bereich, während Verstappen auf frischen Hards nach dem Stopp zwischen 1:14,4 und 1:14,8 unterwegs war. Diese Zahlen sind zwar leicht verzerrt, da Verstappen zu diesem Zeitpunkt mit etwas weniger Sprit im Tank unterwegs war und Hamiltons Reifen noch eine Spur frischer waren, aber sie kommen einem direkten Vergleich so nah wie möglich.

In diesem Tempo wäre Verstappen rund zehn Runden vor Schluss bei Hamilton angekommen. Tendenziell verringert sich die Zeitdifferenz zwischen Reifensätzen verschiedenen Alters im Laufe der Zeit aber, also hätte es wohl etwas länger gedauert.

Red Bull hätte aber auch einige Runden länger auf der Strecke bleiben und anschließend den letzten Stint mit Softs zu Ende fahren können. In diesem Falle wäre das Reifendelta vor allem auf den ersten Runden nach dem Stopp noch größer ausgefallen. In beiden Szenarien erscheint es aber wahrscheinlich, dass Verstappen tatsächlich gegen Rennende zu Hamilton aufgeschlossen hätte und ihn dank des Red-Bull-Topspeed-Vorteils wohl auch überholt hätte. Der Defekt von Yuki Tsunoda verhinderte aber dieses Finish.

Formel 1 Rennen beeinflusst? War ein Hamilton-Sieg drin? (22:56 Min.)