Die Formel 1 befindet sich in der Saison 2022 in der Sommerpause. Grund genug für Motorsport-Magazin.com, die erste Saisonhälfte der einzelnen Teams genauer unter die Lupe zu nehmen. Heute: Aston Martin und der Aufprall auf der sportlichen Realität.

Ziel vs. Realität:
"We climb together", so hieß das Motto als Aston Martin im Frühjahr seinen Boliden für die Formel-1-Sasion 2022 präsentierte. "Unser Kernziel ist, der Spitze näher zu kommen als im vergangenen Jahr. Das wäre ein Fortschritt", meinte damals Pilot Lance Stroll. Gesagt, aber nicht getan. Nachdem das Team 2020 unter dem Namen Racing Point noch Vierter in der WM wurde und sogar einen Sieg in Bahrain errang, fiel es 2021 zurück auf Rang 7. 2022 gelang keine Trendwende, im Gegenteil. Mit aktuell Rang 9 in der Konstrukteurswertung konnte die Truppe aus Silverstone bisher nur Schlusslicht Williams hinter sich halten. Von den eigenen Ansprüchen ist man beim finanzstarken britischen Projekt also weit entfernt.

Bei der Präsentation waren beide Aston-Martin-Piloten noch optimistisch, Foto: LAT Images
Bei der Präsentation waren beide Aston-Martin-Piloten noch optimistisch, Foto: LAT Images

Entwicklung:
Zu Saisonbeginn sah es für Aston Martin noch weit schlimmer aus, als es der Halbzeitzwischenstand vermuten lässt. Der AMR22 war deutlich zu langsam für Punkte. Nur beim Rennwochenende in Imola konnte Sebastian Vettel, auch dank zahlreicher Zwischenfälle der Konkurrenz, einen ordentlichen achten Rang belegen. Abhilfe schaffen sollte das große Update-Paket in Barcelona, welches von vielen Beobachtern als Red-Bull-Kopie angesehen wurde. Seitdem konnte der Anschluss ans Mittelfeld hergestellt werden, doch weiter nach vorne ging es nur sporadisch. Vor allem im Qualifying hinkt der Bolide hinterher, weil die Reifen schlecht auf Temperatur kommen. Im Rennen wird dies dann oft zum Vorteil, da die Pneus zumeist weniger stark abbauen als bei der Konkurrenz.

Wenigstens einen großen Erfolg konnte Aston Martin 2022 dennoch verbuchen, allerdings neben der Rennstrecke. Als Sebastian Vettel vor dem Ungarn Grand Prix seinen Rücktritt erklärte, stand man für das Jahr 2023 zunächst ohne Spitzenpiloten da. Das Team verkündete jedoch schon einen Tag nach dem Rennen auf dem Hungaroring eine kleine Sensation: Fernando Alonso wird ab dem nächsten Jahr Sebastian Vettel ersetzen. Der zweifache Champion aus Spanien unterschrieb gleich für mehrere Jahre.

Wenig Licht und viel Schatten

Baku erneut das Highlight:
Wie schon im Vorjahr wusste Sebastian Vettel beim Stadtrennen in Baku zu überzeugen. 2021 holte er dort einen zweiten Platz. Im weniger konkurrenzfähigen AMR22 fuhr der viermalige Weltmeister trotz eines Ausfluges in den Notausgang immerhin auf Platz 6, die beste Platzierung der Saison.

In Baku sorgte Vettel für das bisherige Sasionhighlight, Foto: LAT Images
In Baku sorgte Vettel für das bisherige Sasionhighlight, Foto: LAT Images

Ansonsten blieben Höhepunkte aus. Viele zehnte Plätze stehen zwar in der Statistik als Punkteresultat, doch nach vorne ging es dadurch in der WM-Tabelle nicht. Der Aston Martin funktioniert auf engen Strecken besser. Da das Auto aber eine Qualifyingschwäche hat, wird es auch dort zu einer schweren Aufgabe, Zählbares einzufahren.

Schwarzes Wochenende in Melbourne:
Angesicht der schwachen Pace des Autos gab es zahlreiche Pleiten, doch beim Australien Grand Prix ging wohl alles schief, was schiefgehen konnte. Beide Aston Martins strandeten schon im Training, doch danach kam es noch schlimmer. Lance Stroll kollidierte im Qualifying mit dem Williams von Nicholas Latifi und auch Sebastian Vettel kam nicht über Q1 hinaus. Im Rennen verunfallte dann Vettel, während sein kanadischer Teamkollege eine 5-Sekunden-Strafe erhielt und mit Platz 12 die Punkte verfehlte.

In Melbourne erlebte das Team ein Wochenende zum Vergessen, Foto: LAT Images
In Melbourne erlebte das Team ein Wochenende zum Vergessen, Foto: LAT Images

Eine weitere große Enttäuschung erlebte das Team aus Silverstone beim Qualifying in Montreal. In den Trainings, bei nassen und trockenen Bedingungen, lief der Aston Martin noch wie eine Rakete. Sebastian Vettel war so weit vorne wie noch nie zuvor in der Saison zu finden. Er belegte einmal P4 und einmal sogar P3. Dann schieden beide Astons sang und klanglos im Q1 aus. Falsch gewählte Reifendrückte sorgten für den Absturz.

Vettel mit einigen Highlights, Stroll wie üblich

Sebastian Vettel:
Wenn bei Aston Martin noch jemand die Kohlen aus dem Feuer holen kann, dann Sebastian Vettel in seiner letzten Formel-1-Saison. Dabei sah es zu Saisonbeginn alles andere als gut aus für den Heppenheimer. Aufgrund einer Corona-Erkrankung musste er die ersten beiden Saisonrennen auslassen. Was bei seinem ersten Einsatz in Australien passierte, haben wir bereits ausgeführt. Im weiteren Saisonverlauf fing sich Vettel jedoch und bekam Teamkollege Lance Stroll in den Griff. Obwohl er nicht bei jedem Rennen Spitzenleitungen bringt, spricht der WM-Stand eine deutliche Sprache: Mit 16 Punkten hat der Deutsche vier Mal so viele Zähler auf dem Konto wie der Kanadier.

Durchschnittsnote MSM-Fahrerranking: 2,74 (P10)

Lance Stroll:
Stroll liefert wieder das ab, was man vom Kanadier seit Jahren kennt. Im Qualifying schwach, kann er im Rennen doch hin und wieder zu Punkten fahren. Vier Punkte hat er eingefahren und alle kommen sie von zehnten Plätzen. Für bessere Platzierungen braucht der Kanadier ein besseres Auto. Zu Highlights wie Vettel ist er nicht in der Lage. Sein Platz für 2023 ist natürlich trotzdem nicht gefährdet, ist doch sein Vater der Teambesitzer.

Durchschnittsnote MSM-Fahrerranking:3,57 (P19)

Kommentar: Platz 7 für Aston Martin noch in Reichweite, aber kaum realistisch

Motorsport-Magazin.com meint: Das Problem von Aston Martin liegt vor allem im Qualifying. Im Rennen können die grünen Boliden meist mit der Mittelfeld-Konkurrenz mithalten, doch wenn Vettel und Stroll von weit hinten starten, wird es selbst in der überholfreundlicheren Formel 1 des Jahrgangs 2022 schwer. Bekommt das Team auf eine Runde nicht die Kurve, so wird eine Verbesserung nach der Sommerpause schwer. Punktetechnisch liegt der siebte Platz noch in Reichweite. Haas hat mit 34 Zählern einen Vorsprung von 14 Punkten auf Aston Martin. Dazwischen liegt auch noch AlphaTauri mit 27 Punkten.

Kann Aston Martin diesen siebten Platz also noch angreifen? Vermutlich nicht. Haas ist zwar wenig konstant, doch an bestimmten Wochenenden sind die US-Renner in der Lage die Big Points einzufahren, die man bei Aston nur in Baku holte. AlphaTauri ist aktuell der realistischere Gegner. Die Scuderia aus Faenza blieb in den letzten fünf Rennen punktelos, doch in diesem Zeitraum konnte auch Aston Martin nur fünf Zähler aufholen. Für einen echten Angriff benötigt das Team auch einmal satte Punkte und darf nicht nur am Ende der Top-10 die letzten Zähler abgreifen. Vielleicht kann Sebastian Vettel dies bei der Rückkehr zu seiner Spezialstrecke in Singapur erreichen und noch einmal für ein Highlight in seinem letzten Formel-1-Jahr sorgen. Ein größerer Schritt nach vorne hingegen ist kaum zu erwarten, denn Aston Martin konzentriert sich bereits größtenteils auf die Entwicklung des nächstjährigen Autos.