Zwölf Mal in dieser Formel-1-Saison leistete sich Ferrari Fehler. Sowohl auf Seiten der Fahrer, des Teams als auch des Autos schenkten sie wichtige Punkte her. Damit sind sowohl die Fahrer- als auch die Konstrukteurs-WM in weite Ferne gerückt und Verfolger Mercedes ist mittlerweile näher an Ferrari dran als die Italiener selbst an Red Bull.

Die Pace stimmte in den meisten Fällen, doch viele andere Aspekte brachten die Italiener nicht zusammen. Ein tatsächlich fehlerfreies Wochenende lieferten sie in der bisherigen Saison nicht ab. Motorsport-Magazin.com hat sich alle Ferrari-Aussetzer genau angeschaut und eine hypothetische Rechnung aufgestellt, wo sie ohne die Fehler liegen könnten.

Australien
In Melbourne erlebte Ferrari den ersten Rückschlag der Saison. Im Qualifying musste Carlos Sainz seine erste Runde im Q3 wegen einer roten Flagge abbrechen und im zweiten Versuch leistete er sich einen Fehler in Turn 11, daher reichte es nur für Position neun. Im Rennen flog er bei einem Zweikampf gegen Mick Schumacher ab und landete im Kies - daraus konnte er sich nicht mehr befreien und das Rennen war damit vorbei.

Charles Leclerc zeigte, was möglich gewesen wäre: Platz 1 im Qualifying drei Zehntel vor Verstappen und dann das Rennen gewonnen. Ferrari hätte definitiv die Pace für eine rote erste Startreihe und einen Doppelsieg gehabt.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 18 (Sainz)

Imola
Beim Großen Preis der Emilia-Romagna wurde es richtig bitter für Ferrari. Trotz konkurrenzfähiger Autos mussten sie sich Red Bull schon im Qualifying geschlagen geben: Leclerc um acht Zehntel gegen Verstappen - Sainz crashte und wurde nur Zehnter. Allerdings fuhr der Spanier im Sprint vor auf P4.

Gleich in Runde eins wurde der Spanier von Daniel Ricciardo abgeräumt und konnte sich nicht mehr aus dem Kies befreien. Leclerc musste Platz zwei an Perez abgeben und kam aufgrund des langsameren Topspeeds das ganze Rennen nicht mehr an ihm vorbei.

Gegen Ende pushte er zu hart gegen Perez, räuberte über die Kerbs, verlor das Auto, drehte sich und beschädigte seinen Frontflügel. Das zwang ihn zu einem weiteren Boxenstopp und er kam nur auf Platz sechs ins Ziel. Aufgrund des mangelnden Topspeeds ist davon auszugehen, dass Platz drei und vier in Italien das höchste der Gefühle für Ferrari gewesen wären. Damit holte das Traditionsteam in Imola nur 8 von 27 möglichen Punkten.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 7 (Leclerc) + 12 (Sainz)

Spanien
In Barcelona folgte der nächste Nackenschlag für Ferrari. Im Qualifying stand das Team noch auf P1 und P3, doch im Rennen wurden sie böse überrascht. Aufgrund eines schlechten Starts verlor Sainz Positionen und kurz darauf leistet er sich einen Ausflug in Kurve vier ins Kiesbett, damit lag er nur noch auf Platz sieben. Leclerc hingegen konnte sich mit einer starken Pace auf Position 1 halten.

Später musste der Monegasse aufgrund eines Motorschadens in Führung liegend aufgeben und sein Teamkollege kam nur bis auf Position vier nach vorne. Ohne die Fehler hätte Leclerc sehr wahrscheinlich das Rennen gewonnen und Sainz wäre mindestens auf Platz vier ins Ziel gekommen.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 25 (Leclerc)

Monaco
Ein ganz bitteres Rennen war der Monaco-GP. Im Qualifying machte Ferrari noch die erste Startreihe klar, im Rennen ging es wieder weiter nach hinten. Die Scuderia holte Leclerc gegen Perez eine Runde zu spät an die Box - parallel schickte das Team Sainz nach seinem Stopp in den Verkehr hinter Nicolas Latifi. Beim zweiten Boxenstoppfenster verlor Leclerc ebenfalls wertvolle Zeit.

Ferrari musste beide Autos auf einmal abfertigen, da sie Leclerc zu spät mitteilten, eine Runde länger draußen zu bleiben. Diese Fehlkommunikation kostete ihn weitere 3,5 Sekunden. Mehrere strategische Fehlentscheidungen verhinderten am Ende einen möglichen Doppelsieg für Ferrari. Carlos Sainz ging zumindest noch als Zweiter über die Linie, Leclerc rutschte auf P4 ab. Das Ergebnis aus roter Sicht: 30 von 43 möglichen Punkten in Monaco und der Konkurrenz wieder ganz wichtige Zähler geschenkt.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 13 (Leclerc)

Aserbaidschan
Auch Baku war kein gutes Pflaster für Ferrari. Leclerc konnte sich im Qualifying noch die Pole holen, aber Sainz musste sich nicht nur ihm, sondern auch den beiden Red-Bull-Fahrern geschlagen geben. Leclerc hatte einen schlechteren Start als Perez und fiel hinter den Mexikaner zurück. Wenige Runden darauf musste Sainz sein Auto wegen eines Hydraulikschadens abstellen.

In Runde 20 ereilte Leclerc dasselbe Schicksal wie seinen Teamkollegen. Rauch stieg aus seinem SF-75 aus und er musste das Rennen mit einem Motorschaden beenden. Ob ein Sieg tatsächlich drin gewesen wäre, ist sehr schwer zu sagen, aber zumindest die Plätze zwei und vier hatte Ferrari in Aserbaidschan verloren.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 18 (Leclerc) + 12 (Sainz)

Silverstone
Auch in Silverstone leisteten sich die Roten schwerwiegende Patzer. Im Qualifying sicherte sich Sainz zwar die Pole, doch Leclerc leistete sich bei seinem letzten Versuch in den Kurven Maggots, Becketts und Chapel einen Fehler. Der Monegasse verlor sein Auto und musste sich Verstappen geschlagen geben. Somit startete er von Platz drei ins Rennen.

Am Start beschädigte Leclerc seinen Frontflügel und wenige Runden später verlor Sainz nach einem Fahrfehler in den Kurven Maggots, Becketts und Chapel die Führung an Verstappen. Danach diskutierten das Team und beide Fahrer zehn Runden lang am Funk über eine mögliche Stallregie, bis Sainz Leclerc aus dessen Sicht endlich vorbeiließ. Die späte Entscheidung des Teams kostete ihn jedoch wertvolle Sekunden.

In der Safety-Car-Phase entschied sich das Team, nur bei Sainz auf neue Reifen zu wechseln, während Leclerc den Restart auf alten, harten Reifen in Angriff nehmen sollte. Die Konsequenz: Der Monegasse fiel beim Neustart von Platz eins auf Platz vier zurück. Kleines Trostpflaster für die Roten: Sainz konnte das Rennen gewinnen und damit seinen ersten GP-Sieg einfahren.

Carlos Sainz gewinnt in Silverstone, Foto: Scuderia Ferrari
Carlos Sainz gewinnt in Silverstone, Foto: Scuderia Ferrari

Unterm Strich verlor Ferrari aufgrund des SafetyCars keine Punkte. Die einzig andere Option wäre es gewesen, Leclerc in die Box zu holen – dann wäre Sainz auf P4 zurück gefallen. Die Punktesumme wäre identisch, allerdings verlor Leclerc so 13 Punkte auf Verstappen und Sainz bekam 13 Zähler mehr.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 13 (Leclerc) // +13 (Sainz gewinnt dadurch)

Österreich
Selbst wenn sie gewinnen, verlieren sie. Das bewiesen die Roten beim Großen Preis von Österreich. Im Qualifying reichte es ganz knapp nur für die Startplätze zwei und drei hinter Max Verstappen. Im Rennen wurde schnell klar, dass Ferrari das schnellere Auto hatte, und Leclerc sicherte sich Platz eins.

Kurz vor Ende des Rennens befand sich Carlos Sainz auf dem besten Weg, Verstappen auf Position zwei einzuholen, als sein Motor in Flammen aufging und er seinen Boliden vorzeitig abstellen musste. Der Niederländer blieb somit auf P2 und Sainz ging komplett leer aus - dazu kam eine Gridstrafe für Sainz aufgrund eines Motorenwechsels.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 18 (Sainz)

Frankreich
Auch in Frankreich ging das Ferrari-Fiasko weiter. Aufgrund des Motorschadens von Sainz in Frankreich musste dieser von ganz hinten starten. Andernfalls wäre schon im Qualifying P1 und P3 möglich gewesen. So musste sich Leclerc von der Pole aus alleine im Rennen gegen Verstappen verteidigen.

Leclerc verlor in Führung liegend sein Auto, als Verstappen einen Undercut gegen ihn versuchte. In Kurve 11 flog der Monegasse ab und schlug in den Reifenstapel ein. Damit warf er einen möglichen Sieg weg, zudem reichte es für Sainz nur für Platz 5. Im Optimalfall wären ein Sieg für Leclerc sowie ein dritter Platz für Sainz im Bereich des Möglichen gewesen.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 25 (Leclerc) + 5 (Sainz)

Ungarn
Am Hungaroring reichte es ganz knapp nicht für die Pole, weil beide Ferrari-Fahrer ihre Reifen nicht auf die richtige Temperatur bekamen - Sainz und Leclerc mussten sich mit den Startplätzen zwei und drei zufrieden geben. Im Rennen erlebten die Fahrer dann ein Debakel: Ferrari setzte sie schon am Start auf eine falsche Strategie, der zu Folge die ersten beiden Stints auf Medium-Reifen gefahren werden sollten.

Dadurch hatte Ferrari für den dritten Stint die Wahl zwischen dem harten und dem weichen Reifen. Das Problem daran: Über einen kompletten Stint hätte der Soft-Reifen nicht gehalten, gleichzeitig erwies sich der Hard-Reifen bei anderen Fahrern als nicht konkurrenzfähig.

Charles Leclerc forderte daher, die beiden Medium-Stints möglichst lang zu ziehen, um dann auf Soft zu gehen. Allerdings konnte der Monegasse sich bei der Diskussion am Funk nicht durchsetzen. Die Strategieabteilung holte ihn im ersten Stint früher in die Box, um George Russells Undercut zu covern. Im zweiten Stint sah es genauso aus: Leclerc kam früher rein, um Verstappen zu covern.

So war Ferrari gezwungen im letzten Stint auf den Hard-Pneu zu gehen, am Ende erwies sich das als großer Fehler: Die Pace stimmte überhaupt nicht mehr und Leclerc ging sogar ein viertes Mal an die Box, um auf Soft zu wechseln. Am Ende kam Sainz auf dem bestmöglichen P4 ins Ziel. Leclerc hingegen verlor viele Positionen und landete auf P6 - für ihn wäre Platz zwei drin gewesen.

Potenziell verlorene WM-Punkte: 10 (Leclerc)

Ferrari-Fehleranalyse zeigt erschreckendes Ergebnis

Nach 13 Rennen zeigt sich unter dem Strich ein erschreckendes Ergebnis: In 9 von 13 Grands Prix ließ die Scuderia Punkte liegen. Am Ende verschenkte Ferrari durch Eigenverschulden alarmierende 163 Punkte*. Carlos Sainz verlor 65 Zähler, Leclerc sogar 111 - hinzukommt, dass die Roten diese Punkte auch noch an die direkte Konkurrenz abgeben mussten.

Insgesamt 30 Punkte gingen dadurch an Red Bull, davon 13 an Verstappen, und Mercedes profitierte sogar mit 40 Punkten von den Fehlern der Scuderia. Oder um es in anderen Zahlen auszudrücken: Zuverlässigkeits-König-Mercedes fuhr diese Saison 1.200 Rennkilometer mehr als Ferrari - Red Bull spulte 900 Kilometer mehr ab.

Bei einigen Rennen ist es schwierig, genau zu sagen, wie der Grand Prix ohne die Fehler verlaufen wäre. Daher ist es wichtig zu erwähnen: Wir können natürlich keine 100% wasserdichte Hochrechnung vorlegen - in dieser Rechnung wurde immer vom Minimum ausgegangen, was an einem optimalen Rennwochenende möglich gewesen wäre. Die Zahl könnte also noch höher sein.

*Die Gesamtpunktzahl stimmt nicht mit den Punkten von Leclerc addiert mit Sainz überein, da Ferrari in Silverstone einen Fahrer opfern musste. Entweder wäre Sainz oder Leclerc auf vier gewesen. Somit wurden nur Leclerc Punkte abgezogen - Ferrari aber nicht, andersherum hätte Ferrari genauso viele Punkte.

WM-Stände in der Formel 1 ohne Ferrari-Fehler

Wem diese Zahlen noch nicht deutlich genug waren, der sollte einen Blick auf die bereinigten WM-Stände werfen:

Fahrer-WM-Vergleich
VER258LEC289
LEC178VER245
PER173SAI221
RUS158PER156
SAI156RUS138
HAM146HAM126
Konstrukteurs-WM-Vergleich
Red Bull431Ferrari497
Ferrari334Red Bull401
Mercedes304Mercedes264

Diese Rechnung ist allerdings nicht ganz fair, da die Fehler der Konkurrenz nicht herausgerechnet wurden. Fest steht allerdings: Hätten Red Bull und Ferrari eine fehlerfreie Saison, wären beide WM-Kämpfe völlig offen und damit deutlich spannender. Bei keinem Team liegen theoretisch mögliche und tatsächliche Punkte so weit auseinander wie bei Ferrari.