Red Bull, Max Verstappen und der Red Bull Ring im österreichischen Spielberg - in der Formel 1 eigentlich eine herausragende Kombination. Vier Siege feierte der Niederländer hier bereits, und 2022 sah es nach einer Pole am Freitag und nach einem Sieg im Sprint am Samstag eigentlich nach dem nächsten Triumphzug aus.

Doch tausende nach Österreich gepilgerte Niederländer mussten zusehen, wie Ferrari und Charles Leclerc Verstappen im Rennen keine Chance ließen. Leclerc überholte den Red Bull drei Mal auf der Strecke und hatte vom Start bis ins Ziel fast immer die Oberhand. Woran lag das? Die Rennanalyse von Motorsport-Magazin.com betreibt Ursachenforschung.

Verstappen-Pole und Sprint-Sieg machen falsche Hoffnungen

Dass es kein Spaziergang werden würde, hatte sich schon am Freitag abgezeichnet. Ferrari hatte die Pace für die Pole, doch kein Glück mit zwei roten Flaggen in Q3. Leclerc und Teamkollege Carlos Sainz waren gerade aus der Box gekommen, als zwei Minuten vor Schluss abgebrochen wurde. Mit Reifen, die nach einer Runde Bummeltempo nicht mehr im perfekten Zustand waren - und in Q3 ist in der Formel 1 immer Perfektion vonnöten - kamen sie trotzdem bis auf Hundertstel an Verstappen heran.

Am Samstag fuhr Verstappen dem Ferrari-Duo dann im Sprint anfangs zwar davon, aber die Scuderia war über sich selbst gestolpert. Sainz kam besser weg, scheiterte mit einer Attacke an Verstappen, und duellierte sich daraufhin erst einmal mit Leclerc, wodurch Verstappen sich einen kleinen Puffer auffahren konnte.

Danach blieb die Reihenfolge Verstappen-Leclerc-Sainz eingefroren. Kein Auto schien einen klaren Vorteil beim Verschleiß der Medium-Reifen zu offenbaren. Red Bull sah in den Daten praktisch idente Reifenabnutzung. Trotzdem klang bei Ferrari am Samstagabend leiser Optimismus durch.

Denn Leclerc konnte zwar Verstappen nicht angreifen, hatte aber auch keine Probleme damit, dem Red Bull zu folgen. Ferrari ahnte, dass Team und Fahrer beim Setup einen Volltreffer gelandet hatten. An Sprint-Wochenenden ist das bekanntlich schwierig, da die Autos nur ein 60-Minuten-Training haben, ehe Parc-Ferme-Bedingungen gelten. Leclerc und die Ingenieure setzten sich am Samstagabend noch einmal zusammen und analysierten, wie per Fahrstil in den Kurven eins, drei und zehn noch mehr zu holen war.

Verstappen-Reifen brechen im Rennen sofort ein

Nach dem Start in den eigentlichen Grand Prix dauerte es keine sieben Runden, ehe sich Verstappens Niederlage abzuzeichnen begann. Wieder konnte Leclerc dranbleiben - und diesmal gab es keine teaminternen Querelen. Obendrauf wurde Verstappen langsamer. Nach ersten tiefen 1:10er-Zeiten begann er ab Runde sieben abzurutschen. Bald war er eine halbe Sekunde langsamer.

In Runde zehn ritt Leclerc die erste Attacke, Verstappens Funkspruch signalisierte den Anfang vom Ende: "Den kann ich nicht lange halten." In Runde zwölf überholte ihn Leclerc. Der Reifenverschleiß des Red Bull war im Rennen deutlich schlimmer als am Vortag, trotz identer Medium-Reifen.

"Sobald wir in der Position waren, haben wir sofort auf eine Zweistopp umgestellt, aber sie hatten ausreichend Pace, um mit ihrer Zweistopp abzudecken", muss Red-Bull-Teamchef Christian Horner einräumen. Verstappen stoppte schon in Runde 13. Leclerc aber ging, endlich in Führung, sofort wieder eine höhere Schlagzahl. Sowohl er als auch Sainz pendelten sich wieder im mittleren 1:10er-Bereich ein. Bei ihnen gab es keinen Reifeneinbruch. Leclerc wartete mit dem ersten Stopp bis Runde 26, Sainz bis 27. Verstappens zweiter Stopp folgte in Runde 36, die Ferraris kamen erst in den Runden 49 und 50.

Sie hatten sich so einen massiven Reifenvorteil erarbeitet. Das Restrisiko, dass Verstappen durch die frühen Stopps starke Undercuts und damit eine große Lücke auffahren könnte, verpuffte. Der Red Bull kam auch auf neuen Hard-Reifen nicht auf Touren. Zwar fuhr er schneller als Leclerc, aber nicht signifikant schneller. Verschleiß setzte bald wieder ein und die Balance des Autos war nicht berechenbar, sowohl auf der Vorder- als auch auf der Hinterachse.

Die einzig verbleibende Herausforderung für Leclerc war, dass er Verstappen zwei weitere Male auf der Strecke überholen musste. Dank des Reifenvorteils aber kein Problem. Beim ersten Mal verteidigte sich Verstappen nicht einmal, beim zweiten waren die Bemühungen sinnlos. Der Red Bull hatte keine Traktion mehr. Wäre Carlos Sainz nicht einem Motorschaden zum Opfer gefallen, hätte er ebenso leichtes Spiel gehabt.

Unter dem dadurch entstandenen Virtual Safety Car behielt Ferrari diesmal einen kühlen Kopf. Man holte Leclerc rein, weil man richtig gefolgert hatte, dass Verstappen so oder so stoppen würde. Auf alten Hard-Reifen draußen zu bleiben wäre für den Niederländer sinnlos gewesen. Leclerc wäre weniger als zehn Sekunden hinter ihm wieder auf die Strecke gekommen und hätte ihn auf neuen Medium in den zehn verbleibenden Runden wieder abgefangen. Nach dem Neustart brachte Leclerc den Sieg trotz eines Problems mit dem Gaspedal, das nicht mehr in die Nullstellung zurückwollte, über die Linie.

Erst Rennen macht Ferrari-Vorteil offensichtlich

Wie konnte der Red Bull nach der guten Leistung im Sprint so einbrechen? Es läuft auf die Rahmenbedingungen und auf das Auto-Setup hinaus. Von Samstag auf Sonntag regnete es in der Nacht, viel Gummiabrieb wurde von der Strecke gewaschen. Die Temperaturen waren gesunken. Und im Sprint fährt man nicht mit vollen Tanks, das Auto ist also am Start deutlich leichter.

Das alles sorgte am Sonntag für schwierigere Grip-Bedingungen. Dass Red Bull wohl beim Setup nicht ganz so gut aufgestellt war wie Ferrari wurde offensichtlicher. "Ich glaube, das Problem ist, dass diese Reifen ziemlich sensibel sind", meint Christian Horner. "Wenn du nicht im richtigen Fenster bist, dann bezahlst du das beim Verschleiß."

Max Verstappen konnte sich ohne Traktion nicht gegen Charles Leclerc wehren, Foto: LAT Images
Max Verstappen konnte sich ohne Traktion nicht gegen Charles Leclerc wehren, Foto: LAT Images

"Wir hatten vielleicht schon im Sprint gestern einen kleinen Vorteil beim Reifenverschleiß", vermutet Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. "Der war heute noch offensichtlicher, weil wir vom Start weg Druck auf Max gemacht haben und ihn dazu gezwungen haben, schneller zu fahren, wodurch seine Reifen noch mehr verschlissen sind."

"Ich glaube, heute waren wir auch nicht nur wegen dem Auto schnell - die zwei Fahrer haben was Setup, Balance, Reifenverständnis und Reifenmanagement angeht ein fantastisches Wochenende abgeliefert", lobt Binotto außerdem sein Fahrerduo Leclerc und Sainz. Besonders letzterer sah hier erneut gut aus. Nicht ganz so gut wie Leclerc, aber er konnte immer mithalten und mit Druck auf Verstappen aufbauen.

Letztes Puzzleteil ist der neue, schlankere Ferrari-Heckflügel. Leclerc fuhr ihn in Kanada, seit Silverstone ist er auf beiden Autos. Red Bulls großer Topspeed-Vorteil ist dahin. "Ich glaube, sie haben noch immer einen kleinen Vorteil, aber der ist sehr klein oder vernachlässigbar", schätzt Binotto.

Fazit: Ferrari hat in Österreich ein perfekt ausbalanciertes Auto getroffen. Leclerc hätte wohl auch den Sprint gewonnen, wenn er an Verstappen vorbeigekommen wäre. Am Sonntag sorgte eine Kombination aus veränderten Bedingungen und ein besser eingestellter Leclerc dafür, dass aus einem leicht schnelleren ein unschlagbares Auto wurde. Bei Red Bull gibt es nun Sorgen, denn eigentlich hatte das Team die Reifen 2022 immer gut im Griff. Österreich verlangt nach einer eingehenden Analyse.

Ferrari abgefackelt, Strafen für die Top-3! Was war da los? (09:21 Min.)