Fahrkomfort wird in der Formel-1-Saison 2022 kleiner geschrieben als in den Jahren zuvor. Die neuen 18-Zoll-Räder sind nicht nur schwerer als ihre über Jahrzehnte gedienten Vorgänger, sie sind auch weniger gutmütig, starrer, schlucken Bodenwellen schlechter und sorgen so für ein insgesamt härteres Fahrverhalten.

Noch dazu stimmen die Teams die 2022 rund 50 Kilogramm schwerere Generation von Formel-1-Autos bewusst tief, aber hart ab. So will man dem sogenannten Porpoising- oder Bouncing-Effekt der Autos [das vertikale Springen bei hoher Geschwindigkeit], eine Folge des in diesem Jahr dank Venturi-Kanälen zurückgekehrten Ground Effects, entgegensteuern - und gleichzeitig den Ground Effect selbst durch die geringe Bodenfreiheit maximal nutzen.

Carlos Sainz: Auf lange Sicht kann das nicht gut sein

Schwerer, tiefer, härter und teilweise springend - so lassen sich die neuen Formel-1-Autos 2022, mit Unterschieden je nach Team, allgemein charakterisieren. Die meisten Fahrer empfinden das als unangenehm. Carlos Sainz geht noch weiter. Der Spanier fürchtet angesichts der größer gewordenen körperlichen Belastung langfristig um die Gesundheit seiner Zunft.

"In Miami waren die Kerbs in der langsamen Schikane echt massiv und in Imola gab es ein paar Bodenwellen die körperlich wehgetan haben", nennte Sainz einige Beispiele. Um den jüngst ultimativen Härtetest Monaco allein gehe es also längst nicht, so der Ferrari-Fahrer. "Alles ist steifer und ich kann es fühlen. Dafür musst du tatsächlich zusätzlich arbeiten und das kann auf lange Sicht sicher nicht gut sein", sagt Sainz.

Welchen Preis zahlen Formel-1-Fahrer für die Ausübung des Sports?

Deshalb fordert der Spanier nun eine Debatte. "Wir müssen deshalb über den physischen Tribut sprechen, den wir für diese Autos zahlen", meint der Ferrari-Pilot. "Wir müssen als Formel 1 darauf schauen, welchen Preis die Fahrer in ihrer Formel-1-Karriere mit ihren Rücken und ihrer Gesundheit zahlen sollten, wenn sie diese Fahrzeugphilosophie fahren müssen." Auch wenn das Racing erfreulicherweise tatsächlich besser geworden sei. Sainz: "Aber die Autos sind jetzt derart steif, dass du dich fragen musst, ob Fahrer das eine ganze Karriere aushalten müssen."

Eine Expertenmeinung dazu habe er noch nicht eingeholt. "Ich habe meine üblichen Checks gehabt, meinen Rücken. Und ich fühle es. Ich brauche keinen Expertenrat, um zu wissen, dass es hart wird, zehn Jahre so zu fahren wie jetzt", sagt Sainz. "Dann muss man sich sehr Gedanken über seine Mobilität und Flexibilität machen." Deshalb müsse er in seine körperliche Gesundheit investieren. "Aber wir müssen eine Diskussion darüber anregen. Für mich ist das eine Frage der Philosophie, über die alle nachdenken müssen", fordert Sainz.

Sainz fordert Debatte um aktuelle Formel-1-Philosophie

Dass so mancher Fahrer dabei über den eigenen Schatten springen muss, ist Sainz bewusst. "Es ist wahrscheinlich eine Frage, über die wir als Fahrer nicht gerne sprechen: Niemand will schwach erscheinen, aber ich bin fit, einer der fittesten Fahrer, denke ich", sagt Sainz. "Und ich hatte noch nie irgendwelche Probleme während der Rennen [vor 2022]. Aber es geht darum, langfristig zu denken - zum Wohle von uns allen." Auch die FIA müsse mit ins Boot geholt werden. Zuvor wolle Sainz allerdings mit seinen Fahrerkollegen sprechen, um einen gemeinsamen Standpunkt zu finden.

Im Kreis der anderen Fahrer gehen die Meinungen allerdings leicht auseinander. Das beginnt bereits bei Charles Leclerc. Obwohl der Monegasse das gleiche Auto pilotiert wie Sainz, stört sich Leclerc weniger an der neuen Bouncing-Belastung. "Ich denke, das hängt auch vom Fahrer ab, denn Carlos scheint da etwas sensibler für zu sein, zumindest verglichen mit mir, der da nicht so sehr zu kämpfen hat", sagt der WM-Zweite. "Ich bin da einfach gar nicht anfällig. Ich weiß nicht, warum, aber ich spüre solche Dinge einfach nicht." Für ihn sei es nicht einmal ein großer Unterschied zum Vorjahr. "Aber ich stimme ihm auf jeden Fall zu, dass das etwas ist, das mit diesen Autos nicht passieren sollte", ergänzt Leclerc zum Thema Bouncing. Immerhin gebe es andere Teams, die noch immer mehr darunter zu leiden hätten als Ferrari.

Mercedes-Fahrer klagten in Monaco sogar ohne Bouncing

Besonders extrem hatte bis zuletzt Mercedes zu kämpfen. Ab Barcelona bekamen die Silberpfeile das Springen in den Griff, in Monaco zeigte sich allerdings, dass der F1 W13 insbesondere in engen Kurven, auf Bodenwellen und auf Kerbs, extrem unangenehm zu fahren ist. Lautstark beklagten sich Hamilton und Russell dort am Boxenfunk. Vor allem beim Thema Bouncing stimmt Lewis Hamilton Carlos Sainz zu. "Ja, möglicherweise könnte das langfristige Folgen haben", sagt der Rekordsieger der Formel 1. Bouncing sei Hardcore. "Aber zumindest wir sind jetzt okay damit, denke ich", ergänzt Hamilton, ohnehin überzeugt von einem rundum gesunden eigenen Rücken.

Teamkollege George Russell stimmt zu. "Wenn du die Gerade mit 200 Meilen die Stunde runterfährst und hoch und runter auf den Boden geknallt wirst, dann würdest du es dir natürlich nicht so aussuchen. Und diese Autos sind extrem starr, sie sollen gar nicht komfortabel zu fahren sein", sagt der Brite und zieht einen Fußballvergleich. "Ich weiß nicht welche Ära es war [...], aber sie hatten auch mal heftig schwere Fußbälle und es wurde erforscht, dass es da durch Kopfbälle gesundheitliche Konsequenzen gab, sodass sie es geändert haben. Und die Formel 1 ist der Mittelpunkt der Innovation. Es gibt also keinen Grund, warum wir da keine wissenschaftliche Lösung finden sollten."

Sergio Perez: Jedes Team kann selbst entscheiden, wie weit es geht

Für Monaco-Sieger Sergio Perez handelt es sich mehr um eine eigene Entscheidung betroffener Fahrer und Teams. "Wenn du die Autos und die Aero vorantreibst, dann wird es ein Problem", sagt Perez. "Deshalb denke ich, dass es gerade am Fahrer und Team ist, zu entscheiden, wie weit du es treibst oder wie viel du aushalten kannst. Aber für uns ist das keine große Sorge."

Auch Mick Schumacher, härter abgestimmte Autos noch aus der Formel 2 - schon seit 2020 mit 18-Zöllern unterwegs - gewohnt, klagt persönlich über keine sonderlichen Probleme. "Aber als Sport sollten wir mit solchen Problemen gar nicht erst umgehen müssen. Die Autos sollten so gut konstruiert sein, dass wir das Problem nicht haben. Und ich bin auch sicher, dass wir es in Zukunft nicht mehr haben", sagt Schumacher.

Formel-1-Fahrer rechnen ohnehin mit schneller Lösung durch Entwicklung

Auch Fernando Alonso meldet keine größeren Probleme in der Alpine. "Für ist es in Ordnung, aber wir sind uns bewusst das andere Teams größere Probleme haben", sagt der Spanier. Mehr Sorgen bereitet Alonso derzeit das hohe Gewicht der Fahrzeuge bei Unfällen wie den für viele Fahrer schockierenden Crashs Mick Schumachers in Monaco und Jeddah. Teamkollege Esteban Ocon sieht es etwas kritischer. "Sie sind auf den Wellen steifer und liegen tiefer auf dem Boden. Das sind harte Treffer", kommentiert der Franzose die neuen Autos.

Aus dem Alfa-Romeo-Lager kommen entspannte Töne. Nach extremen Problemen mit einem springenden Auto, die bei den Testfahrten zeitweise sogar die Haltbarkeit des Boliden überforderten, hat Sauber das Hüpfen inzwischen gut im Griff. "Bei uns ist es vernünftig gewesen", sagt Valtteri Bottas. "Und ich glaube, mein Rücken ist sowieso schon seit 2015 zerstört. Also weiß ich nicht, ob es noch einen Unterschied macht!"

Pierre Gasly teilt dagegen die Sorgen Sainz'. "Langfristig, sollten die Autos zehn Jahre so bleiben, könnte es eine große Sorge werden", meint der Franzose. Allerdings habe sich die Situation seit Jahresbeginn bereits gebessert. "Aber natürlich ganz unterschiedlich von einem Auto zum anderen. Trotzdem kann man natürlich darüber reden, aber ich glaube, dass wir dieses Problem bis Ende des Jahres ohnehin nicht mehr haben."

Sebastian Vettel: Jeder Sport belastet deinen Körper

Nicholas Latifi teilt die Sorgen bei einem langfristigen Bestehen der Probleme. "Langfristig besteht schon die Möglichkeit negativer Effekte, wie einer Degeneration der Bandscheiben und sowas", fürchtet der Kanadier. Allerdings führt Latifi das mehr auf die grundsätzliche Charakteristik eines Formel-1-Autos zurück, schon lange vor den neuen Regeln 2022. "Unabhängig von den diesjährigen Autos denke ich, dass es negative Folgen haben kann, dieses Autos zu fahren - mit so hohen G-Kräften über so viele Jahre."

Sebastian Vettel schließt sich dem an. "Ich denke jeder Sport belastet deinen Körper, je nach Sport. Ich denke, dass es Carlos um die Belastung der Wirbelsäule ging. Und die ist zwischen den Wirbeln extrem groß, wenn du es mit anderen Sportarten vergleichst", sagt der Aston-Fahrer. Nur bis zu einem gewissen Punkt könne man Selbstvorsorge betreiben. Wie Gasly oder Schumacher erwartet allerdings auch Vettel, dass speziell der Bouncing-Effekt ohnehin bald verschwinden wird. "Das sollte nicht für immer so bleiben, die Teams werden das schon lösen", sagt Vettel.

Mehr Regeneration nötig? Verstappen verneint, Bottas bejaht

Für Max Verstappen existiert das Thema nicht. "Wenn wir über unsere Körper sprechen ... ich meine, wenn du das mit anderen Sportarten vergleichst, dann haben wir doch sehr viel Glück damit, was wir machen", winkt der Weltmeister ab. Auch längere Erholungsphasen gebe es bei ihm 2022 nicht: "Nicht wirklich - wenn du eine gute Massage hast!" Grundsätzlich sei das Problem ohnehin leicht zu lösen: Einfach hoch mit der Bodenfreiheit am Heck, rät Verstappen. Wohlwissen um die drastischen Konsequenzen für die Performance des Fahrzeugs.

Max Verstappen weiß genau, wie er selbst nach anstrengenden Rennen wie hier Miami regenerieren kann, Foto: LAT Images
Max Verstappen weiß genau, wie er selbst nach anstrengenden Rennen wie hier Miami regenerieren kann, Foto: LAT Images

Bottas hingegen berichtet durchaus von längeren Regenerationsphase. "In Sachen Fahrkomfort ist es auf jeden Fall das schwierigste - oder anspruchsvollste - Auto, das ich in meiner Karriere je hatte", berichtet der Finne trotz der Besserungen bei Alfa Romeo. "Es gab ein paar Rennen, nach denen ich mich etwas angeschlagener gefühlt habe als in den Vorjahren. Aber ich denke, dass der Körper sich daran gewöhnt. Es könnte nach gewissen Rennen einfach ein bisschen mehr Erholungsarbeit fordern."

Alonso: Formel 1 im Vergleich zu Kart, IndyCar oder Langstrecke noch immer komfortabel

Wie Verstappen und Vettel verweist auch Ocon auf größere Belastungen in anderen Sportarten, schon innerhalb des Motorsports. "Ich bin zehn Jahre oder so keinen Wettbewerb mehr mit einem Kart gefahren, war jetzt aber einen Tag mit Fernando auf seiner Kart-Strecke", berichtet der Franzose. "Und ich habe vergessen wie hart und steif das ist und wie viele Schläge ich da bekommen habe als ich jünger war, im Kartsport. Vergleichen damit ist das hier sehr komfortabel!"

Alonso sieht das ähnlich. "Ich denke nicht, dass die Autos zu stark für den Körper sind. Klar, der Bouncing-Effekt ist unkomfortabel, aber ich bin nicht sicher, dass es verglichen mit früheren Autos insgesamt so anders ist", meint Alonso. Alles Meckern auf hohem Niveau.

Über mangelnden Komfort in Formel 1 kann sich Alonso auch nach seiner Dakar-Teilnahme kaum noch beklagen, Foto: ASO/Dakar
Über mangelnden Komfort in Formel 1 kann sich Alonso auch nach seiner Dakar-Teilnahme kaum noch beklagen, Foto: ASO/Dakar

So schildert der Spanier diverse schlimmere Karriere-Stationen: "Als ich 2001 mit dem Minardi angefangen habe. Dieses Auto war nicht sehr komfortabel! Und da hatten wir noch keine Servolenkung oder sowas. Das war sehr physisch. Oder im IndyCar, da ist es noch 100-mal schlimmer. Oder auf der Langstrecke. Du fährst 24 Stunden lang mit Sebastian Buemis Sitz, weil du ihn mit deinem Teamkollegen teilen kannst. Oder im Kartsport als wir daran gewöhnt waren uns bei den Tests jeden Winter eine oder zwei Rippen zu brechen. Dagegen haben wir gegenwärtig noch jede Menge Komfort!