Die Formel 1 wurde bei den ersten Testfahrten in Barcelona von einem 40 Jahren alten Aerodynamik-Phänomen überrascht. "Bouncing", das durch einen Strömungsabriss im Unterboden verursachte Hüpfen der Autos bei Topspeed auf der Geraden, zog alle Aufmerksamkeit auf sich.

Das Problem rührt vom wieder erlaubten Ground Effect her, dem Erzeugen von Abtrieb mittels Tunnels im Unterboden. Obwohl es in der ersten Ground-Effect-Ära vor dem Verbot des Konzepts 1983 schon bekannt war, überraschte es die Formel 1 2022 dennoch. Das sorgt vor dem zweiten Test in Bahrain für Spannung. Wie kam es dazu, und was sind die Auswirkungen und Lösungen?

Formel 1 von Bouncing-Problem überrascht - warum?

Alle Teams eint eine gewisse Überraschung. "Wir haben über dieses Phänomen in den letzten Monaten diskutiert, aber keines unserer Werkzeuge, weder der Windkanal noch andere Simulationen, haben uns einen Hinweis darauf geliefert", gesteht Alfa Romeos Technischer Direktor Jan Monchaux.

Alle versuchen, die Autos möglichst tief zu fahren, dann funktioniert der Ground Effect am besten. Hier stößt das Aero-Simulationswerkzeug CFD an seine Grenzen. Viele Faktoren - Reifensteifheit, Chassisbewegung, aber auch Externes wie Bodenwellen oder Wind - spielen bei der realen (und sich andauernd leicht ändernden) Bodenfreiheit eine Rolle. Und im Windkanal sind Teams bei der Höhe vorsichtig, um sich Equipment und Modelle nicht zu beschädigen. Fazit: Je näher das Auto dem Boden kommt, desto schwieriger werden Prognosen. Das Risiko für Instabilität steigt.

Folglich war das Problem erst auf einer echten Rennstrecke mit einem echten Auto klar zu definieren. An und für sich ist es ein klares: Zu große Kraft bei zu schnellen Luftströmungen unter dem Auto bedeutet, dass sich der Luftstrom von Aero-Oberflächen löst, worauf das Auto Abtrieb verliert, nach oben hüpft, die Luft sofort wieder anliegt, und das Auto zurück auf die Strecke gesaugt wird. "Bouncing".

Wie schwerwiegend ist das Problem für die Formel 1?

Von außen sah das bei den ersten Testfahrten ungemütlich für Auto und Fahrer aus, sollte aber nicht gleich überbewertet werden. "Es beeinflusst die Rundenzeit nicht wirklich, solange es das Auto nicht beschädigt", meint Williams-Pilot Alex Albon. Einzige Auswirkung von Bedeutung: "Es macht das Ankommen in Kurve eins etwas interessanter!"

Dieser Bremspunkt war bislang das größte Problem. Je höher das Tempo, desto extremer das Bouncing, und am Bremspunkt ist das Tempo am höchsten. Das macht das Anbremsen, bei dem der Abtrieb ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, unberechenbarer, und das schadet dem Vertrauen des Fahrers in die Bremse.

Manche Fahrer blicken sorgenerfüllt in die Zukunft. Barcelona ist eine flache Strecke und wurde 2018 neu asphaltiert, und das Problem tritt überwiegend auf der Zielgeraden auf. Dann gibt es Orte wie Baku, wo die Zielgerade deutlich welliger, und das Tempo deutlich höher ist. "Es hat das Potential, ein echtes Sicherheitsproblem zu werden, wenn es außer Kontrolle gerät", urteilt Mercedes-Pilot George Russell. "Und natürlich, wenn du mit Vollgas auf der Geraden fährst und es anfängt, dann willst du nicht vom Gas."

Formel 1 sucht (und findet?) Lösungen

Russells letzter Satz verdeutlicht ein typisches F1-Problem: Wer einmal Performance hat, will sie nicht mehr hergeben. Die Fahrer gehen nicht vom Gas - und die Ingenieure wollen nicht unbedingt die einfache, logische Lösung für das Problem anwenden: Auto höher legen, Aufhängungssetup versteifen, und dann damit herumspielen, bis der beste Setup-Kompromiss gefunden ist. Diese Kombination kostet nämlich Abtrieb, Performance, und Rundenzeit.

So beginnt die Suche nach Alternativen, mit Seitenblick auf den McLaren MCL36, der vom Start weg sichtlich stabiler lag. Dessen Technischer Direktor James Key stapelt tief: "Ich würde liebend gerne sagen, dass wir sehr clever waren, aber in Wahrheit ist es sehr schwer zu simulieren." McLaren brachte während dem Test auch Teile, die das Problem verschlimmerten.

Hüpft die Formel 1 in Bahrain noch?

"Ich würde vermuten, dass wir das primär mit Modifikationen am Unterboden in den Griff bekommen", lautet das Fazit von Alfas Cheftechniker Jan Monchaux. "Das wird uns näher ans Optimum bringen." Bei mehreren Teams steht für den letzten Test, und für das erste Saisonrennen, ohnehin eine aerodynamische Überholung des Autos an. Die seitliche Kante des Unterbodens rückt in den Fokus, um den Luftfluss hier mit Modifikationen zu stabilisieren.

McLarens Unterboden geriet in Barcelona in den Fokus, Foto: LAT Images
McLarens Unterboden geriet in Barcelona in den Fokus, Foto: LAT Images

Wer das Problem in den Griff bekommt, ohne die Fahrzeughöhe hochzuschrauben oder das Fahrwerkssetup zu versteifen, ist im Vorteil. Ganz ohne diesen Standard-Lösungen wird es aber nicht gehen, glaubt Monchaux: "Beim gegenwärtigen Stand der Regeln werden wir wohl auch etwas höher fahren als ursprünglich erwartet. Die Frage ist - wie viel höher? Drei bis fünf, oder 20 Millimeter? Ich hoffe fünf, dann müssen wir weniger umbauen."

Es ist also noch viel zu früh, ein Team wie McLaren als Favorit zu deklarieren. "Ich glaube nicht, dass das Phänomen ausgelöscht werden kann, da geht es um Physik", urteilt McLaren-Mann Key. "Es wird immer eine gewisse Reaktion auf die Bodennähe geben, weil es Ground-Effect-Autos sind." Die werden immer verhältnismäßig tief liegen. Bis wann und wie stark die Teams das Phänomen abschwächen werden können, da sind sich alle noch uneins. Vielleicht Bahrain, vielleicht dauert es ein paar Rennen.

Einen Vorschlag gab es noch - aktive Radaufhängung, welche die Höhe während der Fahrt adjustiert. "Dann könnte es mit dem Finger gelöst werden", meint George Russell. Die ersten Entwicklungen auf diesem Gebiet kamen Anfang der 80er eben auch dadurch zustande, dass die Teams nach Wegen suchten, den Bouncing-Effekt zu bekämpfen. Nur dürfte das in der modernen Formel 1 nicht zurückkommen. Zu groß wäre die nötige Regeländerung, um die seit den 90ern verbotene Technologie wieder einzuführen. Und zu teuer die Implementierung.