Pro: Ricciardo für McLaren alternativlos

Wird Daniel Ricciardo den Erwartungen gerecht? Vermutlich nicht. Zak Brown gibt offen zu, sich mehr vom Australier erwartet zu haben. Lando Norris macht den achtfachen Grand-Prix-Sieger in jeder Hinsicht nass. Egal ob Qualifying, Rennpace oder Punktestand: Überall ist der junge Brite vorne.

Warum also sollte man überhaupt für Ricciardos Verbleib bei McLaren plädieren? Nun zum einen hat der Australier mehrfach seine Comeback-Qualitäten gezeigt. 2015 unterlag er in einem schwachen Red-Bull-Jahr Daniil Kvyat um im darauffolgenden Jahr mehr Podestplätze als Supertalent Max Verstappen zu holen.

In Monza beendete Daniel Ricciardo die längste Durststecke in der Geschichte von McLaren, Foto: LAT Images
In Monza beendete Daniel Ricciardo die längste Durststecke in der Geschichte von McLaren, Foto: LAT Images

Auch in der Saison 2021 startete er schlecht bei McLaren. Im September war es trotzdem er, der die längste sieglose Serie des zweiterfolgreichsten Rennstalls der Formel-1-Geschichte nach neun Jahren beendete. Dem Australier gelang dies auch, obwohl er durch die Corona-Krise von allen Fahrern am stärksten getroffen wurde. Durch die extrem strengen Auflagen der australischen Regierung konnte er Monate lang nicht nach Hause zu Familie und Freunden, eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung.

Ricciardo hat seine Qualitäten auch neben der Rennstrecke. Trotz der mageren Ergebnisse der letzten Monate ist er weiterhin einer der populärsten Charaktere der Formel 1 und damit für Sponsoren attraktiv. Letztens war er beispielsweise in der beliebten amerikanischen 'Daily Show' zu Gast und zeigte Moderator Trevor Noah, wie ein 'Shoey' geht.

Vor allem eins spricht am Ende für Ricciardo: McLaren fehlt es an Alternativen. Sämtliche Spitzenpiloten haben langfristige Verträge bei konkurrenzfähigeren Teams. Einzig Pierre Gasly wird derzeit mit Woking in Verbindung gebracht. Der Franzose ist ein solider Punktefahrer mit gelegentlichen Highlights, aber auch nicht mehr. Dazu müsste man sowohl Ricciardo, als auch Gasly, aus ihren Verträgen bis 2023 lösen, eine kostspielige Angelegenheit.

Ansonsten kommt niemand wirklich in Frage, um Ricciardo zu beerben. Die Indycar-Piloten Colton Herta und Pato O'Ward sind zwar mit McLaren verbunden, aber ohne jegliche Rennerfahrung in der Formel 1. Da bliebe höchstens noch eine Rückkehr von Fernando Alonso übrig, falls dieser den Platz für Oscar Piastri bei Alpine räumen muss. Doch der Spanier hat schon 2007 und 2018 verbrannte Erde bei McLaren hinterlassen. Der Australier ist momentan nicht gut genug, aber er ist auch alternativlos.

Tobias Mühlbauer

Contra: Ricciardo in der Negativspirale

Eigentlich muss man den quirligen Australier - der uns mittlerweile seit über einem Jahrzehnt in der Königsklasse unterhält - ja mögen. Starallüren sucht man bei ihm vergeblich, verbale Entgleisungen sind mehr als selten und sein legendäres Grinsen ist mittlerweile wohl schon jedem ins Gedächtnis gebrannt.

Menschlich gesehen ist Ricciardo also ohne Zweifel nach wie vor eine Bereicherung für die Formel 1, aus sportlicher Sicht wird die Luft aber langsam immer dünner für den Piloten, der seit 2021 für das Team-Papaya an den Start geht. Der jüngste Erfolg, den noch jeder von uns im Kopf haben dürfte, war sein Sieg in Monza 2021 - der für McLaren ohne Zweifel einen Befreiungsschlag darstellte. Davor und danach sieht es in der Statistik des Sunnyboys aus "Down Under" aber leider wesentlich schlechter aus: Seine letzte Podestplatzierung vor dem Monza-Triumph war nämlich ein dritter Platz in Imola 2020 für Renault - seine persönliche "Durststrecke" dauerte somit ganze 17 Rennen lang an.

Und seit diesem Überraschungs-Sieg in Monza kam dann auch nicht mehr viel. Inzwischen liegen nämlich bereits wieder 14 Grands Prix hinter uns, in denen er es nur 4-mal in die Punkte geschafft hat: Russland 2021 (P4), USA 2021 (P5), Saudi-Arabien 2021 (P5) und Australien 2022 (P6). Ganze 8-mal konnte er keine Zähler anschreiben und 2-mal kam er (aus technischen Gründen) nicht ins Ziel. Die letzte Serie an Rennen, die für den Australier ähnlich schlecht gelaufen ist, hatte er 2019 bei seinem Einstieg bei Renault, wo er aber am Ende der Saison wieder an Pace zulegen konnte.

Und genau hier liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer. Sieht man sich seine Saison bei Renault 2019 nämlich genauer an, wird erkennbar, dass er zwar schlecht gestartet ist, am Ende aber gut zulegen konnte - und auch 2020 ging es dann direkt stark weiter, obwohl sein damaliges Auto insgesamt schwächer war als sein derzeitiger Firmenwagen. Aktuell stellt sich seine Situation hingegen genau gegenteilig dar: Sieht man von seinen Anfangsjahren in der Königsklasse ab, in denen er in wenig konkurrenzfähigen Boliden saß, ist es das erste Mal in seiner Formel-1-Karriere, dass er an ein schwaches Saisonende ebenso schwach anknüpft. Weder die Saisonpause noch sein neuer Rennbolide konnte daran etwas ändern.

Beim Grand Prix in Imola 2022 räumte Daniel Ricciardo bereits in der Eröffnungsrunde Carlos Sainz ab, Foto: LAT Images
Beim Grand Prix in Imola 2022 räumte Daniel Ricciardo bereits in der Eröffnungsrunde Carlos Sainz ab, Foto: LAT Images

Angesichts dieser Entwicklung wäre es fahrlässig von McLaren, sich nicht langsam nach einem Ersatz für Daniel Ricciardo umzusehen, falls dieser das Ruder auch in naher Zukunft nicht herumreißen können sollte - wenn nötig auch außerhalb der Formel 1.

Markus Golob