Sebastian Vettel zählt neben Lewis Hamilton zu den politisch meinungsfreudigsten Piloten der Formel 1. Insbesondere auf das Thema Klimawandel und Umweltschutz hat sich der viermalige F1-Weltmeister und bekennende Grünen-Wähler eingeschossen. Erst zuletzt warnte Sebastian Vettel in Miami wieder vor dem Klimawandel. Kurz zuvor trat Vettel als Botschafter des BioBienenApfels, ein Projekt zur Förderung von Blumenwiesen, in München auf. Bereits im Vorjahr schrieb der Hesse nach dem Formel-1-Rennen in Silverstone als Müllsammler auf der Tribüne Schlagzeilen.

Klimaschutz und Formel 1, wie passt das - trotz aller Selbstvorgaben der F1 zu Dekarbonisierung und zunehmender Elektrifizierung ab 2026 - zusammen? Dieser Frage musste sich Vettel am Donnerstagabend bei einem Auftritt in der großen politischen Talkshow "Question Time" der britischen BBC - hierzulande vergleichbar mit "Anne Will" oder "Maischberger" - stellen. Zum ersten Mal sah sich Vettel Nachfragen zu diesem Widerspruch zwar nicht ausgesetzt, doch diesmal fielen die Antworten selten deutlich aus.

Sebastian Vettel: Ich bin kein Heiliger

"Es ist interessant, dass Sie viel über Energiefragen gesprochen haben, aber Sie sind ein Formel-1-Fahrer und das ist eine der am meisten Benzin verschwendenden Sportarten der Welt", richtete Moderatorin Fiona Bruce das Wort an den 34-Jährigen. "Das ist wahr", gestand Vettel unumwunden auf diese Konfrontation. Bruce hakte nach: "Macht Sie das nicht zu einem Heuchler?" Die erneute Provokation parierte Vettel gar nicht erst, sondern stieg voll darauf ein. "Das macht es! Macht es!" Lachen im Publikum brandete auf. "Und ihr habt Recht. Ihr habt Recht, wenn ihr lacht", ergänzte Vettel.

Tatsächlich stelle er sich diese Fragen tagtäglich selbst, so Vettel und räumte ganz klar ein: "Ich bin kein Heiliger. [...] Aber es stimmt. Das ist etwas, das ich mich selbst frage." Das Benzinverbrennen in der Formel 1? Vettel: "Ja. Und um die Welt zu reisen. Es gibt gewisse Dinge, die meiner Kontrolle unterliegen und manche, die es nicht tun." So sei es eben auch seine Leidenschaft, ein Formel-1-Auto zu bewegen. "Ich liebe es. Jedes Mal, wenn ich ins Auto steige, liebe ich es. Aber wenn ich aus dem Auto aussteige, denke ich natürlich auch: 'Ist das etwas, was wir machen sollten - um die Welt reisen und Ressourcen verschwenden?'", sagte Vettel.

Vettel: Ohne Unterhaltung wie Formel 1 würden wir alle verrückt

Andererseits könne man für den Klimaschutz nicht sämtliche Aktivitäten einstellen, so Vettel. "Auf der anderen Seite unterhalten wir die Leute auch. Während Covid waren wir eine der ersten Sportarten, die wieder losgelegt hat. Als allen die Köpfe explodiert sind, gab es wieder Formel-1-Rennen", erinnerte Vettel. Es gebe da viele Beispiele, nicht nur Sport, sondern auch Kultur und Comedy. Vettel: "Die Leute haben das vermisst. Wenn wir das generell nicht mehr hätten, würden wir vielleicht verrückt werden!"

Formel 1 & Umweltschutz: Ist Vettel deshalb ein Heuchler? (02:00:00)

Dennoch hinterfrage er sich selbst bei vielen kleinen Themen. "Dingen, die ich besser machen kann. Muss ich jedes Mal ein Flugzeug nehmen? Nicht, wenn ich mit dem Auto fahren kann. Es gibt Dinge, die ich kontrollieren kann, und andere Dinge, die außerhalb meiner Kontrolle liegen", sagte der Deutsche, an diesem Donnerstag in London per Bahn unterwegs. Nicht nur zur Talkshow, sondern auch zu einem Besuch jugendlicher Straftäter in einem Gefängnis in Feltham, welche Vettel mit einer neuen Mechanik-Werkstatt bei der Rückkehr ins Leben unterstützen will. Noch dazu besuchte Vettel zur Eröffnung eines neuen Therapierraums eine inklusive Grundschule im Stadtteil Waterloo. Zuletzt hatte Aston Martin in Miami der Carol City Middle School einen Besuch abgestattet.

Vettel besorgt um Zukunft: Klima, Energie und Russland

Um die Zukunft mache er sich große Sorgen, ergänzte Vettel. "Wenn es um Themen wie Energie und die Abhängigkeit von Energie geht und was wir da in Zukunft machen", sagte Vettel. "Wir müssen in Sachen Energie aufhören, abhängig zu sein. Und das können wir. Denn es gibt Lösungen dafür", ergänzte Vettel auch im Hinblick auf russisches Gas. "Wir sollten davon nicht abhängig sein. Wir müssen in den nächsten Gang schalten und uns bereit machen für die Zukunft", sagte Vettel, der einen möglichen Russland-GP boykottiert hätte.

Jeder müsse dafür seinen eigenen Weg finden, so Vettel. Großbritannien etwa sitze gewissermaßen auf einer Goldmine, so der Deutsche. "Das ist Wind, ihr habt die Möglichkeit, über Windkraft eure Energiemenge zu erhöhen", sagte Vettel. Woanders - das britische Wetter kennt der Aston-Martin-Pilot genau - könne man dagegen auf Solarenergie setzen. Vettel: "Jedes Land hat seine Stärken und Schwächen."

Vettel kritisiert Brexit: Es geht nur zusammen!

Dennoch müsse die Welt gemeinsam an einem Strang ziehen. Genau deshalb kann Vettel den Brexit - ebenfalls Thema der Talksendung - nicht nachvollziehen. "Mir sind nicht alle Details vertraut und es gibt ein paar Dinge, die auch besser sein mögen. Ich bin da nicht der beste Richter", schickte Vettel voraus. "Aber ich bin generell interessiert. Manchmal sitze ich da, höre mir das an und frage mich, warum euch das größere Bild fehlt. Wir sprechen über Energiekosten und im größeren Bild ist es klar, dass es nicht nachhaltig ist, Gas, Öl und Kohle aus dem Boden zu holen."

Deshalb müsse auch Großbritannien jetzt die Umstellung auf andere Energiequellen stemmen. Wegen des Brexits leider im Alleingang, so Vettel. "Wenn ich mir die Größe der Probleme auf so vielen Ebenen ansehe, ob Umwelt oder soziale Gerechtigkeit ... das müssen wir zusammen machen! Wir werden das nicht jeder allein hinkriegen. Deshalb verstehe ich den Brexit und dieses 'wir kümmern uns um uns selbst und alles wird toll' nicht", sagte Vettel und ergänze unter erneuten Lachern: "Ich bin wie gesagt nicht mit allen Details vertraut, aber was das größer Bild angeht ... Jetzt seid ihr in diesem Chaos, jetzt müsst ihr auch damit klarkommen!"