Mercedes erlebte in Saudi-Arabien auch beim zweiten Rennen einen Schlag in die Magengrube. "In Demut üben" könne man sich, sagte Teamchef Toto Wolff nach einem desaströsen Wochenende, bei dem George Russell im Niemandsland hinter Red Bull und Ferrari ins Ziel fuhr, während sich Lewis Hamilton nach Setup-Experimenten überhaupt nur auf P10 wiederfand, nachdem er in Qualifying schon in Q1 ausgeschieden war.

In Saudi-Arabien hatte das Team erneut Experimente mit Aerodynamik und Setup am Auto durchgeführt. Kleinere Flügel, weniger Abtrieb, alles hatte jedoch nichts gebracht. "Momentan machen wir Babyschritte, also müssen wir ein paar große Sprünge machen", fordert Russell nach dem Rennen. Mercedes' nach eigenen Maßstäben riesiges Defizit liegt vor allem an einem Problem.

"Wenn wir das Springen lösen, dann würde das schätze ich 99 Prozent unserer Probleme lösen", lautet Russells Urteil nach Saudi-Arabien. Mercedes plagt sich seit dem Saisonstart mit dem Problem des 'Bouncings' auf der Geraden, einem Aero-Phänomen, bei dem das Auto auf und ab springt.

Niemand kämpft so sehr damit wie Konstrukteurs-Weltmeister. "Es ist ein echt schmaler Grat, das Auto ins richtige Fenster zu bekommen", sagt Russell. Das Qualifying von Jeddah war dafür der beste Beweis. Hamilton fiel nach Setup-Experimenten sofort mehr als sechs Zehntel zurück und hatte keinen Grip mehr auf der Hinterachse.

Mercedes versteht Bouncing-Problem nicht

Das Qualifying illustrierte auch: Mercedes tappte weiter im Dunkeln. Man schien sich nach Bahrain zu erhoffen, dass der flachere Kurs von Jeddah, wo obendrauf mit weniger Abtrieb gefahren wurde, das Problem zumindest abschwächen würde. Dem war nicht so. Die Autos schienen zwischen zu starkem Bouncing und einfach zu schwacher Pace zu schwanken, je nachdem in welche Richtung man mit der Abstimmung ging.

Der Mercedes-Heckflügel von Saudi-Arabien war auffällig klein, Foto: LAT Images
Der Mercedes-Heckflügel von Saudi-Arabien war auffällig klein, Foto: LAT Images

"Manchmal ändern wir das Setup, und denken, dass es besser werden sollte, und es wird etwas schlimmer", erklärt Russell das Dilemma. "Es scheint unberechenbar. Viele Faktoren spielen rein, zwischen der mechanischen Steifheit des Autos, der Steifheit des Unterbodens, dem Design des Unterbodens, den Reifendrücken." Mercedes muss das Auto höher legen, um das Bouncing abzuschwächen, was die Setupfindung zum Balanceakt sondergleichen macht.

Momentan verbringt Mercedes nun viel Zeit damit, an den Rennwochenenden mit dem Auto zu experimentieren. Sie sind so weit hinter den Top-vier, und weit genug vor dem Mittelfeld, dass sie sich Risiken erlauben können. Russell vermutet, dass man schnell viel Rundenzeit finden wird, wenn man das Bouncing erst einmal gelöst hat. Toto Wolff mahnt zur Vorsicht: "Wir fahren das Auto nicht so, wie wir es fahren wollen. Daher ist es sehr schwer einzuschätzen, was unser Rundenzeit-Defizit wäre, wenn wir das Auto tiefer fahren könnten."

Wie groß sind die Mercedes-Probleme wirklich?

So bleibt der Zeitrahmen für eine Lösung vage. "Ja, es ist unglaublich schwer", gesteht Russell. "In den Windkanälen zeigt es sich nicht so klar wie auf der Strecke, die Windkanäle sind isolierte Umgebungen." Deshalb waren alle Teams schon bei den Testfahrten vom Problem überrascht worden. Mercedes traf es insbesondere, weil man die Einsatz-Spezifikation erst bei dem zweiten Test kurz vor Bahrain auf die Strecke brachte.

"Der Rückstand ist zu groß, um in den nächsten Rennen dabei zu sein", bilanziert Toto Wolff jetzt. "Melbourne wird kein Zuckerschlecken, das muss man realistisch so sagen." Auch wenn mit Hochdruck an Lösungen gearbeitet wird. Zentral ist erst das Verstehen des Bouncings, sowie das Verringern des Luftwiderstandes, denn genau deshalb fuhr Mercedes überhaupt in Saudi-Arabien mit einem verhältnismäßig kleinem Heckflügel. In Summe hat das Auto zu viel Luftwiderstand.

Daher ergänzt sich die Handling-Schwäche auch mit geringem Topspeed. Am Motor soll es nicht liegen, unterstreicht Wolff immer wieder, auch wenn Mercedes hier die Spitzenposition verloren hat: "Ich glaube, es ist wichtig, jetzt nicht auf einzelne Bereiche des Autos mit dem Finger zu zeigen. Wir operieren als Team gemeinsam und ich glaube, dass wir insgesamt Defizite haben, die wesentlich größer sind als ein Motorendefizit." Durch das Bouncing kann man außerdem nicht einschätzen, wie es um die anderen Probleme des Autos genau steht.

Mercedes trifft noch keine WM-Einschätzungen

Trotzdem - es sind erst zwei von 23 geplanten Rennen gefahren. Die WM wird noch nicht abgeschrieben, auch wenn Team und Fahrer momentan nicht darüber nachdenken wollen. "Wir dürfen nicht in die Falle tappen, dass wir aufgrund der jetzigen Performance einschätzen, wie wir in der Mitte oder am Ende der Saison ausschauen werden", mahnt Wolff. Schließlich ist Mercedes noch immer die dritte Kraft hinter Ferrari und Red Bull.

"Wir sind definitiv nicht erledigt", glaubt auch Russell. "Selbst wenn wir die nächsten fünf, sechs Rennen so weitermachen, sind wir wohl noch immer in Schlagdistanz. Es gibt keinen Grund, warum wir das nicht drehen können. Mal schauen, wie es zur Saisonhalbzeit aussieht."