So positive Schlagzeilen Nico Hülkenberg für seine Leistung bei seinem nächsten spontanen Kurzzeit-Comeback in der Formel 1 erntet, so hart geht die Formel-1-Szene mit Teamkollege Lance Stroll ins Gericht. Der Sohn des kanadischen Milliardärs und Teambesitzers Lawrence Stroll hatte im Qualifying zum Saisonstart 2022 in Bahrain eine empfindliche Niederlage gegen Hülkenberg eingesteckt.

Obwohl Stroll die gesamten Wintertestfahrten in Barcelona und sogar in Bahrain selbst im Aston Martin AMR22 gesessen hatte - während Hülkenberg lediglich drei Einheiten im Simulator vorzuweisen hatte und seit eineinhalb Jahren kein F1-Auto mehr bewegt hatte - besiegte der Emmericher den Kanadier aus dem Stand. Fast drei Zehntel fehlten Stroll auf Hülkenberg im Endergebnis. Immerhin im Rennen vermochte Stroll den Spieß wieder umzudrehen. Allerdings erst nach einem Verbremser Hülkenbergs durch einen gescheiterten Angriff auf Mick Schumacher im deutlich schnelleren Haas.

Formel 1, Schumacher: Stroll-Vorstellung war peinlich

An Kritik mit Stroll spart die Expertenwelt angesichts dieses internen Kräfteverhältnisses mitnichten. "Stroll sollte sich fragen, ob er sich nicht ein anderes Hobby sucht. Das war ja wirklich peinlich", poltert Sky-Experte Ralf Schumacher im "AvD Motor & Sport Magazin" auf Sport1. Genauso sieht es der ehemalige Formel-1-Pilot Karl Wendlinger im selben Format. "Das war eine tolle Leistung. Ohne Testfahrten mit einem neuen Auto und neuem Reglement", sagt Wendlinger über Hülkenbergs Kaltstart.

Und der Teamkollege? Wendlinger: "Eigentlich muss sich Lance Stroll fragen, was er bei den Testfahren gemacht hat. Ich will die Leistung von Nico gar nicht schmälern, aber da waren tagelange Testfahrten und Nico kommt und stellt Stroll in den Schatten." In Zahlen ausgedrückt: 1507 Kilometer spulte Stroll bei den Wintertestfahrten 2022 insgesamt ab - das entspricht rund fünf Renndistanzen Erfahrungsvorsprung.

Nico Hülkenberg im Interview: Qualifying hat Bock gemacht

"Mit dem heutigen Ergebnis sind wir enttäuscht. Das ist nicht, was wir nach einem positiven FP3 erwartet hatten. Wir haben noch ein paar Änderungen am Auto vorgenommen und vielleicht gingen die in die falsche Richtung", verteidigte sich Stroll nach dem Zeittraining. "Im Qualifying hatten wir dann nicht mehr den Grip, um die Performance abzurufen."

Hülkenberg gelang das besser. "Der Qualifying-Teil mit frischen, neuen Reifen, ist für mich persönlich immer eine Freude. Das ist denke ich so ein bisschen meine Spezialdisziplin, war es schon meine ganze Karriere. Weil es mir einfach sehr gut taugt und es mir nicht so schwerfällt, den Reifen und den Grip zu fühlen. Wenn Grip da ist, dann kann man gut damit arbeiten, finde ich zumindest immer. Das hat einfach Bock gemacht", sagt der Deutsche im Interview mit Motorsport-Magazin.com.

Kritik von den Experten kam allerdings nicht nur an Stroll junior, sondern auch dem Senior respektive dessen Führung des in Silverstone beheimateten Teams. "Ein kleines und effizientes Rennteam, was Aston Martins Vorgänger-Team ja war, ist nicht unbedingt gleich besser, wenn man es mit neuen Mitteln aufbläst. [...] Die haben investiert ohne Ende und es gibt es neue Tools, die hunderte Millionen gekostet haben, aber sie funktionieren nicht", kritisiert RTL- und MSM-Experte Christian Danner bei Sport1.

"Und jetzt kommt das allerschlimmste: Wenn dann derjenige, der die hunderten Millionen investiert hat, sagt: ‚Ich weiß, wie das geht, sonst hätte ich ja gar nicht das Geld.' Dann wird es richtig problematisch. Papa Stroll ist ja auch nicht gerade dafür bekannt, dass er mit besonders viel Feingefühl herangeht. " Genauso sieht es Schumacher. "Das Team hat den Faden verloren. Da wollte man zu schnell, zu viel erreichen und das funktioniert in der Formel 1 leider einfach nicht. Man kann nicht einfach viele Leute und viel Geld nehmen, in einen Topf geben, kurz umrühren und dann kommt hinten was Gutes raus", sagt ehemalige BMW-Williams und Toyota-Fahrer.

Formel-1-Experten kritisieren "Bulldozer" Aston Martin

Das wisse er aus eigener Erfahrung seiner späten Formel-1-Karriere. "Das ist ein kontinuierlicher Prozess und das muss wie ein Uhrwerk funktionieren. Und das Team wollte mit der Bulldozer-Methode rangehen und das hat schon damals bei Toyota nicht funktioniert", erinnert Schumacher. "Das Auto ist, so hört man, eine Katastrophe. Das muss alles können, was man nicht braucht. Und hinzukommt, dass scheinbar der Teambesitzer mittlerweile auch mit in den Meetings sitzt und sich äußert, wie die Dinge zu laufen haben sollen. Wenn das so ist, dann wird es wirklich sehr kompliziert."

Damit spielt Schumacher auf Aussagen des ehemaligen Teamchefs Otmar Szafnauer an, jetzt auf derselben Position bei Konkurrent Alpine. Bereits im Rahmen der Wintertestfahrten hatte der Amerikaner mit rumänischen Wurzeln mit deutlicher Kritik am Führungsstil Strolls für Aufmerksamkeit gesorgt. Zwei Päpste könnten nicht funktionieren, so Szafnauer dort. Der Teambesitzer habe sich zu sehr in das Tagesgeschäft eingemischt.

Aston Martin strauchelt: Sorgen um Sebastian Vettel

Das und ein nun auch noch bestenfalls achtschnellstes Auto vor dem bislang abgestürzten McLaren und Williams ruft deshalb gleich die ersten Sorgen um Sebastian Vettel auf den Plan. "Der wird sich überlegen, ob er die Corona-Infektion nicht über Dschidda hinauszieht", sagt Danner. "Zufrieden war er sicher nicht mit der Performance von Aston Martin. Aber er ist ja ein cleverer Bursche, das wird ihn also nicht so sehr überrascht haben. Er kennt das Auto und dass sie hinterherfahren, das hat er schon gewusst. Die Frage ist, was er jetzt macht. Erstmal muss er gesund werden. Dann ist aber noch lange nicht gesichert, dass er in Dschidda auch ins Auto zurückkehrt."

Keinen Zweifel an der Motivation Vettels hegt Wendlinger: "Er hat jetzt definitiv die Erkenntnis, dass das Auto weit abgeschlagen ist. Das war noch schwächer, als in der letzten Saison und es wird sicher schwer, da hinten wieder rauszukommen. Ich glaube aber, dass er nach seiner Genesung wiederkommt und sein Bestes gibt."

Sebastian Vettel nach Corona-Infektion wieder gesund?

Das hängt zunächst einmal ohnehin mit der bloßen Notwendigkeit eines negativen PCR-Tests auf Corona zusammen. Nico Hülkenberg bereitet sich deshalb vorsorglich schon am heutigen Dienstag im Simulator auf einen zweiten Renneinsatz vor. Mittwochabend geht es für den Emmericher dann nach Dschidda, sollten bis dahin keine positiven Nachrichten in Form eines negativen Test-Ergebnisses von Sebastian Vettel vorliegen.