Jetzt ist es gewiss: Tausende McLaren-Fans müssen sich in der Formel-1-Saison 2022 vorerst auf ein jähes Ende des klaren Aufwärtstrends der vergangenen Jahre einstellen. Nachdem Lando Norris und Daniel Ricciardo mit den Rängen P13 und P18 schon im Qualifying zum Saisonstart in Bahrain weit hinter den Hoffnungen und Erwartungen an den Auftakt in die neue F1-Ära zurückblieben, lief es im Rennen sogar noch schlechter. Mit P14 für den Australier und P15 für den Briten ließ McLaren auf der Strecke einzig den Williams von Nicholas Latifi und Sebastian Vettels Ersatzmann Nico Hülkenberg hinter sich.

"Was wir heute erlebt haben, war einfach eine Fortführung der Herausforderungen, denen wir uns schon das ganze Wochenende ausgesetzt sahen", kommentiert Teamchef Andreas Seidl das bittere Ergebnis. "Wir haben schon erwartet, dass es ein sehr schwieriges Rennen für uns werden würde." Doch so schwer? Das dann auch wieder nicht. Vor allem zwei Faktoren bereiteten McLaren in Bahrain noch härtere Zeiten als ohnehin schon befürchtet - Kühlung und Reifenwahl.

Formel 1 Bahrain: McLaren kämpfte schon in erster Runde gegen Überhitzung

"Wir mussten das ganze Rennen über verschiedene Parameter managen, was uns zusätzlich Performance gekostet hat. So waren wir in keiner Position, nach vorne zu kommen", berichtet Seidl von diversen Überhitzungsproblemen. Bereits in der ersten Runde wies das Team deshalb Daniel Ricciardo an, auf die Kühlung zu achten. Diesmal erstreckten sich die Probleme über die längst bekannte Problematik an den Vorderbremsen hinaus.

Diese Probleme hatten McLaren bereits bei den Testfahrten - alles andere als buchstäblich - kalt erwischt. Die Bremsbelüftungen sorgten im heißen Bahrain für viel zu geringe Kühlung. Beim sehr viel kälteren Test in Barcelona hatte es das Problem noch nicht gegeben. Die Folge: Longruns, geschweige Rennsimulationen, waren beim zweiten Test nicht möglich. Immer wieder wurden die Vorderbremsen zu heiß. Die Probleme kamen derart unerwartet, dass es selbst bis zum Rennwochenende nicht zu einer vollständigen Lösung reichte. Mit einem Metall-Behelf aus dem 3D-Drucker bestritt McLaren den Bahrain-GP. Ein Upgrade aus Karbon für das nächste Rennen am kommenden Wochenende in Saudi-Arabien? Noch ungewiss.

Vorderbremsen längst nicht Mclaren einziges Problem

Doch waren es im Rennen in Bahrain hinter dem gesamten Mittelfeldpulk nun eben nicht einmal nur diese Probleme. "Zusätzlich zu den Problemen, die wir das Wochenende über sowieso schon hatten, mussten wir auch noch verschiedene Parameter managen, um die Temperaturen zu kühlen. Das hat uns noch mehr Performance gekostet", betont Seidl. Damit sei es schon gleich zu Beginn des ersten Stints losgegangen. "Der lief deshalb schon viel schlechter als wir dachten."

Was alles noch schlimmer machte: Weil McLaren mit derartigen Problemen nicht gerechnet hatte und wegen der schon schlechten Ausgangslage antizyklisch fahren wollte, um so später profitieren zu können, starteten Ricciardo und Norris das Rennen als einzige Fahrer auf der mittelharten Reifenmischung statt der weichen Reifen. "Wir dachten, dass wir mit dem Abbau der Softs [bei der Konkurrenz] dann später im ersten Stint Chancen haben, um von dem geringeren Abbau der Mediums zu profitieren", schildert Seidl den grundsätzlich nicht unüblichen Ansatz. "Aber im Rückblick hat uns die Reifenwahl für den Start auf jeden Fall mehr gekostet als erwartet", ergänzt der McLaren-Teamchef.

McLaren verzockt Strategie: Zu langsam, um von Medium zu profitieren

Mit dem Traktionsnachteil des härteren Reifens am Start verloren Norris und Ricciardo zunächst gleich in der Startphase noch weiter an Boden. Zudem erhofften Crossover-Punkt, an dem der Medium gegenüber dem abbauenden Soft im Vorteil ist, kam es für McLaren jedoch nie richtig. "Als wir mit den Reifen dann einen Vorteil gegenüber denen auf den abbauenden Softs hatten, hatten wir mit unseren grundlegenden Problemen einfach nicht genug Grip und Performance im Auto, um überholen zu können, obwohl wir näherkamen." Heißt: McLarens Pace war einfach zu langsam, verschärft noch durch die unerwartet stark ausgeprägten Kühlerfordernisse.

"Wir sind weit weg von der Pace und so war es viel zu schwierig, Reifen zu sparen", klagt Lando Norris aus Fahrer-Perspektive. "Es ging nichts schief. Unser Auto ist einfach nicht schnell genug. Nicht genug Abtrieb, zu wenig Grip", schildert der Brite. "Wir haben einfach sehr viel Arbeit zu erledigen. Ganz einfach. Da gibt es gar nicht so viel zu sagen. [...] Das war überhaupt nicht, was wir wollten. Ein sehr hartes Rennen. [...] Wir haben heute alles gegeben, aber es ist gerade einfach nicht genug."

Lando Norris gefrustet: Nur Rennende positiv

Der Frust ist dem Briten in jeder Aussage anzuhören. Welche Worte er für das Rennen findet? Norris: "Next!" Ob es denn irgendetwas Positives gebe? "Das Ende des Rennens, das ist positiv!" Zuvor hatte Norris nur unangenehme Dinge erlebt. "Ich habe alles gespürt. Untersteuern, Übersteuern, Verbremser. Es ist einfach sehr hart, das Auto ist so schwer zu fahren. Es ist so leicht, da Fehler zu machen, sich zu verbremsen und durchdrehende Räder zu bekommen. Das Auto ist so viel schwieriger als es sein sollte", klagt Norris.

Wie geil ist die neue Formel 1 2022? | Bahrain GP Reactions: (25:00 Min.)

Teamkollege Daniel Ricciardo scheint die neue McLaren-Realität schon besser akzeptiert zu haben. "Es klingt sehr einfach, aber das oberste Ziel war heute, eine Renndistanz zu schaffen und einfach über das Auto lernen", sagt der Australier. "Positiv ist, dass wir es jetzt endlich geschafft haben, mit zwei Autos eine Renndistanz mit diesem neuen Auto zu fahren, auf der wir auch die verschiedenen Reifenmischungen probieren konnten", bestätigt Seidl diesen einzigen Lichtblick. Tatsächlich war das McLaren wegen der genannten Probleme bei den Testfahrten nie auch nur im Ansatz gelungen.

McLaren fährt erste Renndistanzen

Ricciardo am allerwenigsten. Wegen einer Corona-Infektion verpasste der Routinier den zweiten F1-Test vollständig. "Für mich war es gerade nach letzter Woche gut, einfach diese Fitness reinzubekommen", sagt Ricciardo, der über das Rennen hinweg tatsächlich alle drei Reifemischungen durchdeklinierte. "Also haben wir jetzt immerhin viel Feedback. Und mir ist auch ziemlich klar, wo im Rennen unsere Schwächen lagen, also werden wir versuchen daran zu arbeiten", sagt Ricciardo. "Aber ich weiß, dass das in der Formel 1 nie so schnell geht."

Immerhin auch einige Stärken will der Australier am MCL36 ausgemacht haben. "Ein paar Stärken in ein paar Kurven", heißt das bei Ricciardo. "Wir müssen jetzt sehen, wie das Auto auf verschiedenen Streckenlayouts funktioniert", ergänzt Seidl. "Es sieht so aus, als hätte diese Strecke hier uns den Schwächen unseres Autos besonders ausgesetzt", sagt der Bayer. Darauf verlassen könne und wolle sich McLaren allerdings nicht. Seidl: "Es ist auch klar, dass es unsere Ambition sein muss, auf jeder Art Layout ein konkurrenzfähiges Auto zu haben."

Enttäuschend und schmerzhaft

Die erste Möglichkeit für zumindest leichte Besserung hat McLaren nun am kommenden Wochenende in Saudi-Arabien. Darauf hofft auch Norris. "Für die Zukunft gibt es immer Hoffnung. So denke ich immer. Nicht an das Gegenteil. Es ist eine lange Saison und ich vertraue auf die Leute im MTC (McLaren Technology Centre), dass sie das hinbekommen", sagt der Brite.

Nur die andere Strecke allein wird allerdings längst nicht alles lösen können. Längst hat McLaren grundlegend große Probleme erkannt. "Wir wissen, dass wir in Sachen Performance ein Problem im Paket haben. Das ist enttäuschend und schmerzhaft für alle im Team - und auch für unsere Fans. Aber zusammen mit Lando und Daniel sind wir voll engagiert, herauszufinden, was diese Probleme sind und Lösungen zu finden", sagt Seidl. Nicht zuletzt Norris und Ricciardo hätten besseres Material von McLaren verdient. Frust sei da nur verständlich. Seidl: "Danke auch an sie, dass sie da weiter gepusht haben und positiv bleiben."