Normalerweise hätte es schon nach dem ersten Test in Barcelona an dieser Stelle eine Analyse geben sollen. Allerdings waren die drei Testtage in Barcelona an Aussagekraft nicht zu unterbieten. Also warteten wir mit der Motorsport-Magazin.com-Test-Analyse noch den zweiten Test in Bahrain ab.

Allerdings muss man auch eine Woche vor dem Start in die Formel-1-Saison 2022 sagen: Sagen lässt sich eben nichts. Fast nichts jedenfalls, ein paar interessante Aspekte gibt es natürlich schon. Das Problem in diesem Jahr sind die komplett neuen Autos. Die Teams müssen erst einmal Grundlagen erarbeiten, ehe es an Rennsimulationen oder Performance-Runs geht.

Außerdem hatten die Rennställe tatsächlich etwas mehr mit der Zuverlässigkeit zu kämpfen als in den letzten Jahren. Zunächst war es das Springen auf den Geraden, das einigen Kopfzerbrechen bereitete. In Bahrain machten mehreren Teams die Bremsen zu schaffen. Deshalb lässt sich über McLaren Performance-technisch kaum etwas sagen.

Die Unzuverlässigkeit bringt ein weiteres Problem mit sich: Die Sessions wurden durch zahlreiche Rot-Phasen unterbrochen. Das entstellt selbst die wenigen Rennsimulationen teils bis zur Unkenntlichkeit.

Dazu änderten sich die Bedingungen während der drei Tage drastisch. Die Bruthitze der ersten beiden Tage kochte die Pirelli-Pneus schon nach wenigen Metern durch. Repräsentativ war deshalb nur der letzte Tag.

Man kann diese Testfahrten deshalb drehen und wenden, wie man will: Besonders aufschlussreich werden sie nie sein. Deshalb schicken wir mehr denn je voraus: Alles ist mit Vorsicht zu genießen.

Red Bull mit Update Favorit?

Nachdem sich Ferrari fünf Testtage lang zum Favoriten gefahren hatte, kam am letzten Testtag Red Bulls großes Upgrade. Auf Anhieb fuhren Sergio Perez und Max Verstappen Top-Zeiten. Der Weltmeister pulverisierte die Test-Bestzeit regelrecht.

Dass die C5 dabei aufgezogen wurden, ist eher irrelevant. Die weichste Reifenmischung bringt in Bahrain nichts. Im letzten Sektor verliert man damit schon wieder Zeit. Deshalb sind C5 und C4 in etwa gleich schnell. Der Unterschied zwischen C4 und C3 soll bei etwa 0,8 Sekunden liegen. Noch einmal 0,8 liegen zwischen C3 und C2.

Bestzeiten Testfahrten Bahrain 2022, Reifen-korrigiert

FahrerTeamZeit Reifen Korrigiert Rückstand
VerstappenRed Bull 1:31,720 C5 1:32,520
BottasAlfa Romeo 1:32,985 C3 1:32,985 0,465
SchumacherHaas 1:32,241 C4 1:33,041 0,521
NorrisMcLaren 1:33,191 C3 1:33,191 0,671
LeclercFerrari 1:32,415 C4 1:33,215 0,695
AlonsoAlpine 1:32,698 C4 1:33,498 0,978
RussellMercedes 1:32,759 C5 1:33,559 1,039
TsunodaAlphaTauri 1:33,002 C5 1:33,802 1,282
PerezRed Bull 1:33,105 C4 1:33,905 1,385
MagnussenHaas 1:33,207 C4 1:34,007 1,487
SainzFerrari 1:33,532 C4 1:34,332 1,812
VettelAston Martin 1:33,821 C4 1:34,621 2,101
GaslyAlphaTauri 1:33,902 C5 1:34,702 2,182
ZhouAlfa Romeo 1:33,959 C4 1:34,759 2,239
StrollAston Martin 1:34,064 C4 1:34,864 2,344
HamiltonMercedes1:34,141 C5 1:34,941 2,421
OconAlpine 1:34,276 C4 1:35,076 2,556
AlbonWilliams 1:35,171 C3 1:35,171 2,651
LatifiWilliams 1:35,634 C3 1:35,634 3,114
FittipaldiHaas 1:37,422 C2 1:36,622 4,102

Um ein einigermaßen repräsentatives Bild zu bekommen, haben wir die Delta-Zeiten zwischen den Reifenmischungen in der korrigierten Bestenliste des Tests auf die tatsächlichen Zeiten draufgerechnet. Als Referenz dient der C3, der am Rennwochenende als Qualifying-Reifen zum Einsatz kommen wird.

Die Verstappen-Zeit war eine Bank - aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Das sagte auch der Niederländer selbst. Abgetankt hatte man bei Red Bull längst nicht. Dass von den Top-Teams noch niemand die Karten aufgedeckt hat, zeigen die ersten Verstappen-Verfolger. Valtteri Bottas im Alfa-Sauber auf Rang zwei und Mick Schumacher im Haas auf Rang drei.

Ferrari dreht am letzten Tag Motor runter

Ferrari fehlt auf dem Test-Treppchen, weil man am letzten Tag offenbar die Motorleistung etwas zurückschraubte. Auf seiner schnellsten Runde war Charles Leclerc am Samstag an allen Geschwindigkeitsmessstellen hinter Verstappen. Am Vortag war Sainz in Relation zu Verstappen an Tag zwei noch deutlich schneller.

Ausgerechnet am repräsentativsten Testtag hat Ferrari das Pokerface aufgesetzt. Interessant übrigens: Auf seiner schnellsten Runde war Mick Schumacher an allen Messstellen der Schnellste. Das zeigt, dass Haas den Ferrari-V6 schon richtig aufgedreht hat.

Die Speed-Messungen legen auch nahe, dass Mercedes längst noch nicht alle Karten aufgedeckt hat. Russell befand sich auf seiner schnellsten Runde an allen Messstellen in etwa auf Leclerc-Niveau oder etwas darunter.

Speed-Messungen Testfahrten Bahrain 2022, Tag 3:

FahrerS1S2 Ziellinie Runde
Verstappen 237.2 264.5283.3 1:31,720
Schumacher 239.9 269.5285.7 1:32,241
Leclerc 235.4 263.8279-6 1:32,415
Alonso 237.3 264.7283.2 1:32,698
Russell 235.9 261.6278.4 1:32,759
Bottas 238.7 264.9282.5 1:32,985
Tsunoda 235.4 264.7280.0 1:33,002
Perez 236.5 266.2282.8 1:33,105
Norris 237.7 265.3279.9 1:33,191
Vettel 237.7 264.0278.4 1:33,821
Zhou 240.3 267.2279.4 1:33,959

Speed-Messungen Testfahrten Bahrain 2022, Tag 2/3:

FahrerS1S2 Ziellinie Runde
Sainz (Tag 2)234.3267.7286.3 1:33,532
Leclerc (Tag 2)235.4263.8279.6 1:32,415
Verstappen (Tag 2)234.6264.9283.9 1:34,011
Verstappen (Tag 3)237.2264.5283.3 1:31,720

Genau weil es bei den Performance-Runs so viele Unbekannte gibt, dienen die Rennsimulationen in der Regel als guter Gradmesser. Die Benzinmenge ist dort größtenteils bekannt. Wie eingangs erwähnt sind ununterbrochene Rennsimulationen leider Mangelware.

Rennsimulationen von Red Bull und Mercedes

Ein paar interessante Dauerläufe gibt es dann aber doch. Sergio Perez fuhr am ersten Testtag in Bahrain ein Zweistopp-Rennen. Eine Rot-Unterbrechung machte das etwas undurchsichtig, am Ende kam der Mexikaner in seinem Vor-Upgrade-Red-Bull aber auf einen Schnitt von 1:40,9 Minuten.

George Russell fuhr am Freitagvormittag die 57 Runden nur von zwei Boxenstopps unterbrochen. Er kam aber nur auf eine Durchschnittszeit von 1:41,8 Minuten. Da sah es bei Teamkollege Lewis Hamilton am nächsten Tag schon besser aus. Der Formel-1-Rekordsieger brauchte im Schnitt 1:41,2 Minuten für eine Runde.

Hamilton aber hatte in seiner Rennsimulationen einen rundenlangen Zweikampf mit AlphaTauri-Pilot Pierre Gasly. Der hat ihn nicht nur Zeit, sondern auch Reifenleben gekostet. Dann fehlt nicht mehr viel auf die Perez-Zeit vom Vortag. Eine Rennsimulation vom überarbeiteten Bullen gab es am Samstag nicht mehr.

Von Ferrari gibt es überhaupt keine vernünftigen Rennsimulationen. Leclerc wollte es am Freitag wohl versuchen, nach etwas mehr als der Hälfte ging ihm aber die Zeit aus. Ähnlich erging es Sebastian Vettel in seinem Aston Martin am Samstagabend. Bis dahin sah seine Rennsimulation sensationell schnell aus. Allerdings hatte er auch die mit Abstand besten Bedingungen dafür.

Ferrari und Mercedes Kilometer-Könige

Die ersten Rennen der Saison, so glauben nicht wenige im Fahrerlager, werden aber nicht durch Speed, sondern durch Zuverlässigkeit gewonnen. In dieser Disziplin lagen über die gesamten sechs Testtage Ferrari und Mercedes fast gleichauf. Bei beiden gab es keine größeren Probleme. Ferrari fuhr an sechs Testtagen 3.941 Kilometer, Mercedes nur 20 mickrige Kilometer weniger.

Red Bull kann sich mit 3.405 Kilometern auf Rang vier ebenfalls noch sehen lassen. McLaren, nach dem ersten Test noch Mitfavorit, musste erheblich federn lassen. Nur die Zuverlässigkeits-Sorgenkinder von Test 1 Alfa Romeo und Haas fuhren insgesamt weniger als McLaren. Pünktlich zum Rennwochenende kommen bei den Briten neue Bremsbelüftungen. Die waren es, warum McLaren in Bahrain kaum fahren konnte und vor dem Saisonstart noch eine größere Unbekannte sind als Mercedes.

Fazit: Wie jedes Jahr kommt die Zusammenfassung von Formel-1-Experte Johann Wolfgang von Goethe: Da steh ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor. Weil der Verfasser dieser Zeilen tatsächlich töricht ist, lässt er sich zu einem ersten Top-3-Ranking verleiten: Red Bull vor Ferrari und Mercedes.