Lewis Hamilton feierte in Katar hoch überlegenen seinen siebten Sieg in der Formel-1-Saison 2021. Viereinhalb Zehntelsekunden brummte der amtierende Weltmeister seinem WM-Widersacher Max Verstappen schon im Qualifying auf. Durch das Gelbvergehen des Niederländers verlor Verstappen nachträglich seine schnellste Runde, auf dem Papier standen also sogar mehr als sechs Zehntel Rückstand. Doch schon das reale Kräfteverhältnis war ein Schock für Red Bull. Viereinhalb Zehntel, das sind in der Formel 1 ganze Dimensionen.

Die Mercedes-Ingenieure wunderten sich genauso. Eigentlich hatten sie ein bis zwei Zehntel Vorsprung erwartet. "Wir dachten nie, dass es so viel werden würde", sagt Andrew Shovlin. Der leitende Strecken-Ingenieur bei Mercedes führte den gegenüber den Simulationen mehr als doppelt so großen Vorsprung Hamiltons vor allem auf den Faktor Fahrer zurück. Hamilton habe den Unterschied ausgemacht, so Shovlin.

Mercedes verzichtete in Katar wegen Layout auf stärksten Motor

Was definitiv nicht dahintersteckte und erst nach dem Rennen herauskam: Hamiltons erstmals in Brasilien neu eingesetzter Motor spielte diesmal keine Rolle. Mit dem frischen Aggregat hatte der Brite im Qualifying in Sao Paulo ebenfalls viereinhalb Zehntel Vorsprung auf Verstappen herausgefahren - und das sogar auf der in der Interlagos gegenüber Losail mehr als einen Kilometer kürzeren Strecke. Doch in Katar setzte Mercedes diesen Motor nicht einmal ein.

"Wir fahren noch mit zwei [Motoren], und hier fuhr er wegen der Natur der Strecke mit dem weniger kraftvollen der beiden im Auto", berichtet Shovlin. Mercedes entschied sich wegen des Streckenlayouts von Katar also gegen den leistungsstärkeren, weil frischeren Motor aus Brasilien. Hintergrund sind die kommenden Rennen in Saudi-Arabien und Abu Dhabi. Dort ist maximale Leistung mehr gefragt als im ersten der drei Wüstenrennen. "Was das angeht sind wir gerade gut aufgestellt", frohlockt Shovlin.

Toto Wolff: Granate für Saudi-Arabien und Abu Dhabi aufgespart!

Das Fehlen des Brasilien-Motors würde auch Hamiltons nicht mehr so überragenden Topspeed wie in Brasilien erklären. Diesen Unterschied hatte Red Bull, hoch erfreut, eigentlich auf einen sich angeblich weniger verformenden Heckflügel am W12 zurückgeführt - nachdem die FIA in Katar auf Red Bulls Zweifel an der Legalität des Mercedes-Flügels mit neuen Testverfahren experimentiert hatte. So verzichtete Red Bull auf einen zuvor schon angedrohten Protest. Mercedes wollte nichts von einem Einfluss dieser Tests auf Flügel(wahl) und Topspeed wissen. Stattdessen rückt nun der Motor in den Fokus.

Deshalb freut sich Toto Wolff umso mehr auf die nun kommenden Rennen. "Die richtige Granate kommt wieder in Saudi-Arabien und Abu Dhabi", sagt der Mercedes-Teamchef bei Sky über den neuen Motor. "Den haben wir uns für die letzten Rennen aufgespart!" Red Bull ist alarmiert, beruhigt aber: Ganz so überlegen wie in Brasilien wird dieser Antrieb nicht mehr sein.

Mercedes bleibt vorsichtig: Austin als mahnendes Beispiel

Das muss der Motor allerdings vielleicht auch nicht: Ohnehin schätzen beide - Mercedes und Red Bull - die Silberpfeile in Saudi-Arabien stärker ein. Das ging bereits aus Aussagen hervor, lange bevor Mercedes in Brasilien einen neuen Motor in Umlauf brachte. Dieser Faktor kommt nun schlicht noch hinzu. "Ich denke, die Strecke sollte unserem Auto liegen", sagt Shovlin. "Und für Lewis haben wir dort nun wieder seinen stärkeren Motor im Auto - das wird ihm einen hilfreichen Boost geben."

Dennoch reist Mercedes nicht blauäugig zum vorletzten Saisonlauf. "Saudi sollte eine gute Strecke für uns sein, aber wir kennen dieses Jahr ... Wenn wir denken, dass etwas gut ist, dann kann es genau andersherum laufen", warnt Wolff. "Aber es gibt lange Geraden und wir werden für Saudi-Arabien wieder unser scharfes Werkzeug, den Motor, auspacken."

Guter Start in Saudi-Arabien essentiell

Auch Shovlin bleibt besonnen - vor allem nach den Erfahrungen beim USA-GP. Nach Austin reiste Mercedes als leichter Favorit, doch plötzlich war gegen Max Verstappen nichts auszurichten. "Wir haben gesagt, dass wir in Austin ein gutes Setup zusammenbekommen sollten und Red Bull einen Kampf liefern können. Aber sie hatten dort die Nase vorne", erinnert Shovlin. "Deshalb sind wir lieber vorsichtig, wenn wir auf eine Strecke kommen und denken, dass alles gut für uns laufen sollte ..."

Auch vor dem Rennen auf dem ultraschnellen Straßenkurs von Jeddah wird Mercedes nun jeden einzelnen Stein umdrehen. " Die nächsten Tage wird da sehr viel los sein", sagt Shovlin. "Wir müssen sicherstellen, dass wir jede Gelegenheit nutzen, dort in guter Form anzukommen. Auf einem neuen Kurs ist es für die Lernkurve eine große Sache, in guter Form loszulegen. Wenn du gleich mit einem guten Auto beginnst, kannst du es dann einfach optimieren."