Der Kampf um die Formel-1-Weltmeisterschaft 2021 heizt sich mit dem nahenden Saisonfinale am 12. Dezember in Abu Dhabi mit nahezu jedem Rennwochenende weiter auf. Immer intensiver, immer heißer bekriegen sich Max Verstappen und Lewis Hamilton auf der Strecke, aber auch Mercedes und Red Bull auf dem sportpolitischen und technischen Parkett.

Insbesondere in Katar ging es an diesem Freitag hoch her: Parallel zur Urteilsverkündung der Stewards zum - letztlich abgelehnten - Mercedes-Antrag einer Neubetrachtung von Verstappens Manöver in Runde 48 des Brasilien-GP gegen Hamilton lieferten sich in der offiziellen Teamchef-Pressekonferenz Toto Wolff und Christian Horner ein direktes Verbalduell erster Güte. Motorsport-Magazin.com liefert die wichtigsten Aussagen zu Themen wie weiteren Protestabsichten, persönlichen Feindseligkeiten und mehr.

Mercedes-Protest gegen Verstappen nur aus Prinzip

Den vielleicht interessanten Punkt lieferte Toto Wolff gleich zu Beginn der: Mercedes will die Neubetrachtung der Rennszene aus Interlagos nicht gefordert haben, um das Ergebnis zu verändern, sondern aus prinzipiellen Gründen und um die fahrerischen Spielregeln für den bevorstehenden WM-Krimi zwischen Hamilton und Verstappen abzustecken. "Die Intensität ist hoch, da ist das normal", kommentierte Wolff die Gründe für den Protest.

Immerhin könne am Ende selbst das kleinste Bisschen den Unterschied machen. "Das ging schon in beide Richtungen. Auch Max hat schon Punkte für Crashs verloren, für die er nicht allein verantwortlich war", stichelte Wolff sofort in direkt in Richtung Horner. Gemeint war damit natürlich auch der Unfall mit Hamilton in Silverstone. Hier sah Red Bull die Schuld vollends auf Seiten des Briten, protestierte dort im Nachgang seinerseits gegen Hamilton, ebenfalls ohne Erfolg.

Horner stichelt: Max hat in Mexiko gezeigt, dass man außen überholen kann

Also ging es Mercedes nun doch um Punkte? Nein, meinte Wolff. "Wir erwartet, irgendetwas von diesem Recht auf Neubetrachtung zu gewinnen, es geht uns ums Prinzip und die Philosophie", betonte der Mercedes-Teamchef nur Minuten vor dem abgeschmetterten Antrag. "Denn dann ist außen Überholen fast unmöglich, weil der Innere die Kurve komplett kontrolliert. [...] Wir wollen das einfach zu Ende bringen und ein Urteil haben und uns für die nächsten Rennen anpassen", sagte Wolff. "Einige Fahrer sind der gleichen Meinung, deshalb wollen wir, dass das nochmal angesehen wird."

Damit verwies Wolff mitunter auf Charles Leclerc. Der Ferrari-Pilot hatte am Donnerstag vor den Folgen für das Racing gewarnt, sollte Verstappens Manöver so weiter durchgehen. Als Racer hat Wolff nach dem Urteilsspruch nun weiterhin dieselben Sorgen, allerdings ist zumindest das Spielfeld wie gewünscht abgesteckt.

Die Gegenseite teilt diese Sorgen nicht. "Was Totos Kommentar angeht, dass überholen außenherum unmöglich ist: Ich denke Max hat in Mexiko in Kurve eins klar gezeigt, dass Überholen außen möglich ist", stichelte Horner. In Mexiko hatte Verstappen vom dritten Startplatz gleich beide Mercedes auf der Außenseite kassiert.

Horner: Muss Toto nicht den Hintern küssen wie andere Teamchefs

Damit war der Nährboden für eine vergifte halbe PK-Stunde gelegt. Besonders deutlich wurde das bei konkreten Nachfragen zur Beziehung der Team-Häuptlinge. Ist der gegenseitige Respekt mittlerweile auf der Strecke geblieben? "Ich denke Respekt und Beziehung sind zwei unterschiedliche Dinge", sagte Horner. "Natürlich ist der Respekt da - für das, was Mercedes und Lewis Hamilton geleistet haben. Aber ich muss nicht mit Toto zum Dinner gehen, ich muss ihm nicht den Hintern küssen oder so, wie es andere Teamchefs vielleicht machen ..."

Freunde werden Wolff und Horner also nicht mehr. "Toto und ich sind andere Charaktere. Wir gehen auch unterschiedlich vor. Verbringe ich Weihnachten mit Toto? Vielleicht nicht", sagte der Brite. "Von meiner Perspektive ist es ein harter Wettbewerb. So ist die Formel 1 eben. Du musst da nicht der beste Kumpel deines Gegners sein. Wie solltest du auch? Es wäre in vielerlei Hinsicht unehrlich, da eine Fassade zu faken, wenn du gegeneinander antrittst."

Immerhin bei dieser Einschätzung liegen Horner und Wolff auf einer Linie. "Die Konkurrenz ist einfach so groß. Da kannst du nicht erwarten, dass du mit deinem Rivalen zum Dinner gehst, mit dem rivalisierenden Team, deinem Feind in diesem sportlichen Wettbewerb - unabhängig von Personen und Charakteren. Alles andere wäre nicht normal. So einfach ist das", sagte Wolff. Negative Vibes gebe es dabei nicht einmal. Wolff: "Die Emotionen sind ziemlich neutral."

Red Bull zweifelt weiter: Mercedes-Heckflügel legal?

Feindselig geht es dennoch zu. Besonders wenn es um eine weitere Protestmöglichkeit geht, die bereits seit Wochen über dem Fahrerlager schwebt. Red Bull bezweifelt, dass Mercedes zuletzt verbesserte Topspeeds auf legale Weise erzielt, sondern mit zu stark verformbaren Heckflügeln. Und das mittlerweile nicht nur hinter den Kulissen. "Es ist bei weitem der politischste Titelkampf, in den wir je involviert waren. Ist unser Auto innerhalb der Regeln? Absolut", versicherte Horner. "Haben wir Bedenken wegen ihres Speeds auf den Geraden, den es seit Budapest gibt und der sich in den letzten Rennen gezeigt hat? Absolut."

Daher erwarte man von der FIA als Prüf- und Polizei-Organ des Sports, sicherzustellen, dass alle Autos den Regeln entsprechen. "Da sind wir sehr, sehr stark auf die FIA angewiesen, dass es fair zugeht", sagte Horner. Genauso wie Wolff in Sachen Zweikämpfe geht es hier dem Briten um dieselben Spielregeln. "Wir wollen einen fairen Fight in diesen letzten Rennen", sagte Horner. Wie Wolff will man eine WM-Entscheidung am grünen Tisch vermeiden. Horner: "Wer immer am Ende gewinnt, soll nicht im Raum der Stewards oder am Sportgerichtshof gewinnen. Es sollte auf Strecke passieren. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass diese Autos komplett überwacht werden, dafür geht es um zu viel. Da muss es dieselben Voraussetzungen geben."

Horner: Du kannst es an den Schleifspuren sehen

Bei alldem will sich Red Bull im Zweifel aber nicht nur auf die FIA verlassen. "Würden wir protestieren? Absolut. Wenn wir glauben, dass das Auto nicht den Regeln entspricht, dann protestieren wir", betonte Horner. Und das erscheint aktuell nicht allzu weit entfernt. Normal sei der Mercedes-Speed auf den Geraden, insbesondere in Brasilien, jedenfalls nicht mehr, so der der Brite. Genauso hatte sich nach dem Rennen schon Red Bull Motorsport-Leiter Dr. Helmut Marko im Interview mit Motorsport-Magazin.com ausgedrückt.

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"Das konnte ja jeder sehen", ergänzte nun Horner. 27 km/h mehr würden nicht nur von Hamiltons frischem Motor kommen. "Du kannst an den Schleifspuren auf den Heckflügel-Endplatten sehen, dass es sich verformt. Da ist uns sehr klar, was da vor sich geht. Aber das ist dann an der FIA. Aber wenn du denkst, dass es nicht den Regeln entspricht, was ein Wettbewerber macht, dann protestierst du", sagte Horner.

Marko: Etwas kommt in Bewegung ...

Wie kurz Red Bull davor steht? Noch fehlen offensichtlich die letzten, finalen Beweise. "In Bewegung" sei die Geschichte allerdings, ergänzte Marko in Katar im MSM-Interview. "Und wenn ich das richtige verstanden habe, hat die FIA das jetzt auch aufgenommen." Wie es nun weiter geht? "Es hängt davon ab, was dieses Wochenende passiert", sagte Horner. "Davon, was wir hier sehen und auch von den Analysen, die wir schon vorgenommen haben." Nur Katar allein spiele keine Rolle. Damit müsse Mercedes leben. "Sie haben unserem Auto diese Saison ja auch viel Aufmerksamkeit gewidmet", erinnerte Horner an Mercedes' Argwohn über Red Bulls Flügel zu Beginn des Jahres. "Und wir machen jetzt dasselbe."

Für Wolff ist das in einem derartigen WM-Kampf nachvollziehbar. "Du willst verhindern, dass die Konkurrenz da einen Vorteil hat", sagte der Wiener. Red Bull wirft Wolff allerdings eine gewisse Paranoia vor. "Wenn du von Skepsis geleitet bist, weil die jemand etwas gesteckt hat und du dann erwartest, dass das dann die Ursache ist, dann solltest du es versuchen", lud Wolff regelrecht zu einem Protest ein. Zuletzt hatte es Gerüchte gegeben, ein ehemaliger Mercedes-Mitarbeiter habe Red Bull Hinweise gegeben.

Wolff stichelt zurück: Dann protestiert doch!

"Aber wir wurden 14 mal mit diesem Flügel kontrolliert. Die FIA hat alle Zeichnungen", betonte Wolff. "Da gibt es nichts, was Red Bull da sieht. Wir würden uns freuen, es [die Zeichnung] auszuschneiden und es dir nach Milton Keynes zu schicken", stichelte Wolff direkt in Richtung Horner. Der reagierte mit einer einfachen Frage: "Wie erklärst du dann die Schleifspuren auf dem Heckflügel?" Wolff parierte. "Ich denke, die sind einfach innerhalb des Erlaubten. Deshalb ist alles okay", versicherte der Mercedes-Leiter.

Generell nutzte Wolff die Gelegenheit für eine Grundsatzansage. "Niemand würde hier mit einem illegalen Motor oder Heckflügel auftauchen", sagte Wolff. "Dafür ist die Welt heute zu transparent. Du wärst verrückt, bei so einer Sichtbarkeit eine derartige Entscheidung zu treffen mit etwas Illegalem aufzutauchen. 100 Prozent!"

Wolff kontert Horner: Zuhause habe ich mehr Druck!

Eines sei allerdings klar: "Dieser Kampf läuft auf allen Ebenen ab. Sportlich, politisch, technisch. Und wer auch immer da am Ende gewinnt, hat es auch verdient. Denn es war auf einem sehr hohen Level." Wolff weiter: "Es ist klar, dass es hart ist. Es geht um die WM in der höchsten Klasse des Motorsports. Was als olympisches Boxen angefangen hat, ist zu Profi-Boxen geworden und jetzt zu MMA. Aber das ist okay. Wir sind im Ring und versuchen unseren bestmöglichen Job zu machen. Die Ellbogen sind draußen, weil die Regeln es erlauben. Der Fehdehandschuh ist geworfen. Aber nichts anderes war zu erwarten."

Doch kann Mercedes damit umgehen? Nach vielen Jahren der Dominanz? In diese Richtung stichelt Horner derzeitig mit großer Passion. "Es war interessant, nach dem Sprint letztes Wochenende Totos Kommentare am Boxenfunk zu hören", amüsierte sich Horner über Wolffs "Fuck them all" nach Hamiltons großer Aufholjagd nach der Disqualifikation im Qualifying. Horner. "Wir haben hart gearbeitet, sie sind das erste Mal unter Druck. Da ist es interessant zu beobachten, wie die Leute darauf reagieren."

An Wolff prallt das einfach ab. "Ich fühle keinen Druck", kommentierte Wolff. seine zuletzt sehr aufbrausenden Emotionen wie den zum Meme gewordenen Finger in die Kamera nach Hamiltons Führungsgewinn gegen Verstappen in Sao Paulo. "Ich fühle viel mehr Druck in anderen Bereichen meines Lebens. Das hier ist lächerlich im Vergleich dazu, was ich da im Privaten erlebe", sagte der Österreicher. "Ich bin sehr leidenschaftliche und verteidige meinen Stamm und meinen Fahrer. Wenn ich denke, dass es gegen mich geht, dann siehst du eben die Emotionen. Da musst du authentisch sein."

Protest kostet Red Bull Zeit: Hat Mercedes nur abgelenkt?

Zurück zum großen Thema Right of Review: Wollte Mercedes am Ende nur Red Bull beschäftigen und von sportlichen Belangen ablenken? Jedenfalls habe man selbst nicht einen für die Performance relevanten Ingenieur für den Protest abgestellt, so Wolff - weil Mercedes eben ohnehin keine Änderung erwartet haben will. Doch Red Bull konnte nicht genauso verfahren. Für den Fall der Fälle musste man sich eine Verteidigung zurechtlegen.

"Das hat sich jetzt alles verlaufen, aber es ist natürlich blöd, weil unsere Ingenieure statt sich um das Auto zu kümmern eventuelles Belastungsmaterial sichten mussten", klagte Marko. "Es ist frustrierend, dass das so lang dauert. Die Diskussion startete schon gestern", ergänzte Horner. Allzu viel geschadet zu haben scheint es nicht. Im ersten Training in Katar eröffnete Max Verstappen mit einer Bestzeit, im zweiten lag der Niederländer bei einer Bestzeit durch Valtteri Bottas zumindest noch vor Lewis Hamilton.