Das beinharte Duell zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen in Brasilien ist am Donnerstag in Katar noch immer das vorherrschende Thema - nicht nur im Steward-Büro, wo Mercedes-Verantwortliche per "Right of Review" mit möglicherweise neuen Beweisen versuchen, doch noch ein Verfahren gegen Verstappen für dessen Abdrängen seines Titelrivalen in Runde 48 zu erwirken, sondern auch in den Pressekonferenzen mit den Fahrern.

Die betreffende Szene in Kurve vier selbst gesehen haben will Sebastian Vettel nicht einmal. Immerhin sei er ja mindestens eine Runde zurück gewesen, scherzt der Deutsche. "Aber sie haben um die Führung gekämpft, das ist natürlich jedes Renen der größte Kampf", sagt Vettel. Ein Urteil, ob Verstappens Manöver legal gewesen sei, lässt sich Vettel mangels Studium der Szene allerdings nicht entlocken.

Vettel: Ich glaube nicht, dass sich etwas ändert

Zu einem Punkt nimmt Vettel allerdings Stellung: Mercedes' Protest. Davon hält der viermalige Formel-1-Weltmeister wenig, obwohl - oder weil - einst Ferrari den Deutschen selbst mit demselben Mittel herausboxenwollte, aber scheiterte. "Ich denke, es ist ein bisschen unnötig", meint Vettel auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com, wie ihm dieses zuletzt gern genutzte Mittel gefalle. Immerhin protestierte Red Bull 2021 bereits in Silverstone gegen Hamiltons Strafe für den Unfall mit Verstappen, wollte mehr und scheiterte wie einst Ferrari mit Vettel.

Mercedes geht gegen Verstappen vor! Doch noch eine Strafe? (02:00:00)

Bei Fälle gingen also ohne Änderung über die Bühne. Genau das erwartet Vettel auch im aktuellen Fall aus Brasilien. "Die Zeit vergeht, aber was ändert sich? Ich glaube nicht, dass sich etwas ändert", erklärt Vettel, warum er dieses Mittel für unnötig hält.

Fernando Alonso: Warum plötzlich eine Strafe?

Genauso sieht es Fernando Alonso. "Es sollte jetzt nichts passieren. Ich weiß nicht genau, ob es zu schlimm war, aber die Stewards haben dort keine Strafe ausgesprochen, also schätze ich, dass es jetzt auch keine Strafe geben wird", meint der Spanier. Der mögliche Unterschied: Im Rennen standen noch nicht sämtliche Kamera-Aufnahmen zur Verfügung, vor allem die Onboard-Verstappens. Auch Alonso will die Szene selbst allerdings gar nicht gesehen haben. "Ich bin direkt von Brasilien hierher und war die ganze Zeit teils im Fitnessstudio, teils am Strand, also hatte ich keine Gelegenheit. Aber selbst wenn ich jetzt weiß, dass es heute eine Anhörung oder so gibt, werde ich keine Meinung haben, denn ich weiß nicht genau was passiert ist", sagt der Spanier.

Anders als der Deutsche und der Asturier beschäftigte sich Daniel Ricciardo sehr wohl mit dem WM-Duell. "Es war sicherlich hart und eng - um das Offensichtliche festzuhalten", sagt der Australier. Als ehemaliger Teamkollege Verstappens könne er kaum mehr sagen als alle anderen. "Wir alle kennen Max als Fahrer, der immer schon aggressiv war. Aber er ist mit der Zeit gereift und ist in weniger Vorfälle verwickelt. Aber er hat noch immer diese Aggressivität."

Daniel Ricciardo: Verstappen-Manöver war über dem Limit

Ein deutliches Urteil zu Verstappens Bremsmanöver will allerdings auch Ricciardo nicht abgeben. "Wie auch immer das Manöver war, nenne es richtig oder falsch, sie kämpfen da um den Sieg und den Titel, da versuchst du alles, um vorne zu bleiben", sagt Ricciardo. Doch eine Tendenz gibt Ricciardo zu Protokoll - und die fällt etwas anders aus als bei den Nicht-Beobachtern Vettel und Alonso. Eine Neuverhandlung samt Strafe würde Ricciardo nachvollziehen können. "Dieses Manöver hat beide rausgenommen, also war es vielleicht über dem Limit. Ich würde sagen, dass es zu hart war, denn keiner hat die Kurve bekommen", sagt Ricciardo.

Russell: Verstappen hätte sofort bestraft werden sollen

Für George Russell liegt der Fall völlig klar. "Ob es im Nachhinein eine Strafe gibt, weiß ich nicht. Hätte es sofort eine Strafe geben sollen? Ich denke, ja. Denn du kannst nicht einfach 25 Meter später als auf jeder anderen Runde bremsen und den anderen von der Strecke zwingen", sagt der künftige Mercedes-Fahrer. "Das ist kein faires Racing. Es ist härteres Racing, aber kein faires Racing."

Folgen für zukünftige Manöver erwartet Ricciardo nicht: "Ich denke nicht, dass sich die Herangehensweise ändern wird. Ich bin nicht in der Position, dass ich um einen WM-Titel kämpfe, aber ich denke, dass du bis zum Ende kämpfst. Ich weiß nicht, ob sich das ändert, wenn es wieder passieren würde."

Ferrari-Fahrer: Bei Straffreiheit ändert sich das Racing

Anders könnte es aussehen, sollte es bei Straffreiheit bleiben - dann sehen zumindest die Ferrari-Fahrer Tür und Tor für ähnliche Aktionen geöffnet. "Du musst dich an jede Situation und Entscheidung, die die Stewards treffen, anpassen", sagt Charles Leclerc und erinnert an seinen Zweikampf mit Verstappen beim Österreich-GP 2019. Auch damals setzte Verstappen ein sehr hartes Manöver, drückte Leclerc von der Strecke und kam ohne Strafe davon. Leclerc zeigte Unverständnis, reagierte allerdings.

"Sobald ich wusste, dass das keine Strafe für Max war, bin ich nach Silverstone und habe meine Fahrweise geändert", erinnert Leclerc. "Wir versuchen immer, am Limit dessen zu fahren, was uns erlaubt ist. Und das werde ich auch tun, wenn in diesem Fall diese Dinge erlaubt sind ... Auch nach Österreich 2019 sei die Ganghart härter geworden so Leclerc. "Aber ich denke, dass das gut für die F1 und die Show war. Diese Situation war jetzt aber etwas anders. Ich warte jetzt einfach ab, was die Stewards denken."

Leclerc sieht in diesem Fall allerdings auch eine Gefahr, die der Show nicht unbedingt zuträglich wäre. "Wenn es erlaubt ist, dann wird Überholen über die Außenbahn sehr schwierig werden", warnt Leclerc. "Aber wie auch immer es ausgeht, ich passe meinen Fahrstil einfach an. Für mich ist beides in Ordnung. Für mich ist die Hauptsache, dass ich als Fahrer klar weiß, woran ich bin."

Genau sieht es Carlos Sainz. "Ein Fahrer nutzt jede Gelegenheit zu seinem Vorteil. Wenn du weißt, dass das beim letzten Rennen nicht bestraft wurden, dann weiß ich auch, dass ich etwas ähnliches machen kann, wenn ich in einer ähnlichen Situation bin", sagt der Spanier. "Das innere Auto hat immer die Möglichkeit, das andere Auto weit zu schicken, aber wenn das innere Auto auch weit geht, müssen wir das klarstellen", fordert Sainz. Das soll nun auch im Fahrermeeting mit Rennleiter Michael Masi besprochen werden.