Nur 0,293 Sekunden fehlten Max Verstappen im Qualifying zum Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring auf die Pole Position von Mercedes-Pilot Valtteri Bottas. Rechnet man die ideale Rundenzeit aus, betrug der Rückstand des Red-Bull-Fahrers auf den besten Mercedes-Fahrer, jetzt Lewis Hamilton, gerade einmal 0,181 Sekunden. So nah gekommen war Verstappen den Weltmeistern in keinem der vorherigen zehn Zeittrainings der F1-Saison 2020.

Im Rennen hielt der Niederländer lange Zeit den Anschluss. In der Schlussrunde nagelte Verstappen zudem die schnellste Rennrunde zusammen. So entriss er Hamilton den zusätzlichen WM-Punkt für diese Leistung und verfiel am Boxenfunk in einen geradezu euphorischen Jubel: "Jawoll Jungs! Schnellste Runde, so geht das!“

Red Bull im Aufwind: Siege im letzten Saisondrittel?

Später gaben Verstappen und Teamchef Christian Horner zu Protokoll, es allmählich auf Augenhöhe mit Mercedes zu schaffen. Beide äußerten sich zuversichtlich für das letzte Saisondrittel. Auch dank der jüngsten Updates. Noch auf dem Nürburgring hatten die Bullen neue Teile an den RB16 geschraubt. Horner sprach sogar von einem RB16B, generell habe Red Bull auch die Eigenarten des Boliden besser verstanden.

Diese Entwicklung ist der Konkurrenz mitnichten entgangen. Überrascht oder gar verängstigt zeigt sich Mercedes deshalb allerdings nicht. „Es tendiert dazu, ein Muster zu sein, dass Red Bull in Richtung Saisonende aufholt, das ist nur gut für die Weltmeisterschaft“, sagte Motorsportchef Toto Wolff nach dem engsten Qualifying des Jahres. Die Gründe dafür würden allerdings nicht nur bei Red Bull liegen.

Mercedes denkt schon an Formel-1-Saison 2021

„Wir verfahren nach der Strategie, die wir für richtig halten. Wir balancieren dieses und nächstes Jahr aus und das zeigt sich dann eben auch anhand der Ergebnisse auf der Strecke“, erklärte Wolff. „Deshalb kann man auch sehen, dass sich die Performance der Teams in Relation zueinander ändert. Wir haben immer einen sehr starken Start und Mittelteil der Saison - wer auch immer weiterentwickelt, ist dann am Ende stark.“

Heißt konkret: Mercedes entwickelt den W11 inzwischen weitaus weniger weiter als Red Bull den RB16. „Ich denke, dass sie gerade schneller entwickeln als wir“, sagte Andrew Shovlin. „Das sehen wir fortwährend. Aber um ehrlich zu sein, haben wir das auch in den meisten der vergangenen Jahre beobachtet. Sie neigen dazu, nicht so stark zu beginnen wie wir. Mir fällt kaum ein Jahr ein, in dem sie gegen Ende nicht auf Augenhöhe mit uns waren“, ergänzte Mercedes’ leitender Ingenieur an der Strecke.

Wolff: Updates für W11 schon lange eingestellt

Wenn dieser Trend weitergehe, würden die verbleibenden Rennen immer schwieriger werden. Shovlin: „Es wird härter, die Pole am Samstag zu behalten und am Sonntag zu gewinnen.“ Wolff erwartet nichts anderes. Der Wiener stört sich daran allerdings kaum. Das sei einkalkuliert und gründlich überlegt. Tatsächlich, so verriet Wolff, hat Mercedes die Produktion von Updates für den W11 sogar schon vollständig gestoppt - und das nicht erst gestern.

„Wir haben sie schon vor einiger Zeit eingestellt und das ist in der Vergangenheit immer der Fall gewesen“, sagte Wolff nach dem Rennen in der Eifel. „Das war eine sehr gut durchdachte Entscheidung, denn nicht in jeder Meisterschaft kannst du es dir leisten, das Buch zu früh zu schließen.“ Heißt: Mercedes erachtete seinen WM-Vorsprung bereits frühzeitig als ausreichend, um dieses Risiko eingehen zu können und den Fokus auf 2021 zu lenken.

Red Bull entwickelt RB16 durch: Hilft für 2021

Dabei bleibt das Reglement für die kommende Saison sogar weitgehend stabil. Durch Einsparmaßnahmen wegen der Corona-Krise sind Entwicklungen am Chassis nur in begrenzter Form erlaubt, über ein Token-System. Red Bull verfolgt deshalb den Ansatz: Was dem RB16 hilft, hilft auch dem 2021er Bullen.

„Die [Entwicklung] geht für dieses Jahr noch weiter, weil das Auto nächstes Jahr gleichbleibt“, sagte Motorsportberater Dr. Helmut Marko im Interview mit Motorsport-Magazin.com. „Natürlich ist es anders, aber generell: Alles, was man - und das war schon immer unsere Philosophie - an Verbesserungen in der Saison noch erzielen kann, können wir noch ins nächste Jahr mitnehmen.“

Aero-Einschnitte 2021: Mercedes geht auf Nummer sicher

Mercedes sieht das offenbar anders. „Die Regeln ändern sich für kommendes Jahr doch ziemlich, deshalb haben wir uns - wie in vorherigen Jahren - entscheiden, den Fokus auf das nächstjährige Auto zu lenken“, erklärte Toto Wolff die gegenüber Red Bull andere Herangehensweise.

Geändert hat sich inzwischen tatsächlich Einiges. Aus Sicherheitsgründen muss nicht nur der Unterboden abgeschnitten werden, wie zunächst bekannt wurde. Noch dazu verankerte die FIA in einem zweiten Schritt weitere Einschnitte am Unterboden, darüber hinaus auch an Bremsbelüftungen und Diffusor, im Technischen Reglement für 2021. Zusammengenommen sollen die Änderungen den Autos zehn Prozent Abtrieb nehmen.

Hintergrund: Pirelli wird durch die auf 2022 verschobene 18-Zoll-Revolution und die 2019 für 2020 abgeschmetterten Änderungen der Konstruktion 2021 das dritte Jahr in Folge mit einem nahezu gleichen Produkt aufwarten - während die Boliden-Entwicklung voranschreitet. Damit entsteht ein potenzielles Sicherheitsrisiko, weil die Pneus ursprünglich nicht für einen derartigen Zuwachs an Speed - und damit eine größere Krafteinwirkung - ausgelegt waren.